Anrechtskonzert in Koblenz
Wiedersehen macht Freude
Tianwa Yang ist eine dermaßen souveräne Künstlerin, dass selbst eine gerissene Saite die virtuose Geigerin nicht aus dem Konzept bringen kann. Dafür gab es vom begeisterten Publikum, von Dirigent Garry Walker und auch von den Musikerinnen und Musikern der Rheinischen Philharmonie enormen Beifall.
Kevin Rühle. Kevin Ruehle

Korngold, Prokofjew, Rachmaninow: Das siebte Anrechtskonzert des Musik-Instituts Koblenz wurde zum Abend der spektakulär großen Gefühle, zu denen sich außerplanmäßig noch ein Überraschungsmoment in Form eines Saitenrisses hinzugesellte.

Aktualisiert am 09. März 2025 13:54 Uhr

Über dem siebten Anrechtskonzert des Musik-Instituts Koblenz könnte als Motto gut das Schlagwort „Kontinuität“ stehen: In der Rhein-Mosel-Halle gab es nicht nur ein Wiedersehen mit Garry Walker am Pult des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie, dessen Chefdirigent der Schotte von 2017/18 bis 2021/22 war. Zusätzlich hierzu gab es auch die Wiederbegegnung mit der Geigerin Tianwa Yang: Sie hatte 2020 an gleicher Stelle mit großem Erfolg Sergej Prokofjews zweites Violinkonzert interpretiert – jetzt kehrte sie für das erste Violinkonzert des Komponisten zurück.

„Was könnte also schiefgehen?“, könnte man sich fragen, und dann in Romanlänge und krimigleich davon erzählen, dass ziemlich zu Beginn des Prokofjew-Werks eine Geigensaite der Solistin reißt, diese in atemberaubender Windeseile und wie 1000-mal geübt mit dem Konzertmeister hinter ihr das Instrument tauscht und dann den langen ersten Satz zu Ende bringt, bevor sie kurz abtritt, um ihr eigenes, vertrautes Instrument zu ertüchtigen und auf diesem das Konzert zu vollenden.

Nur minimale Irritation

Doch das wäre eine irreführende Schwerpunktsetzung: Das Wunderbare liegt an diesem Abend ja nicht im ungewollten Stunt der Solistin. Sondern in der Tatsache, dass Yang eine so überlegene und souveräne Künstlerin ist, dass man – hätte man das „Geige wechsel dich“-Spiel nicht mit eigenen Augen gesehen, sondern nur zugehört – von all dem, abgesehen von einem kurzen Krack-Geräusch und dem minimal kurzen Aussetzen der Solistin beim fliegenden Instrumentenwechsel, kaum etwas bemerkt hätte.

Und so kann von diesem Konzert außer der Schrecksekunde vor allem die Begeisterung über das technisch unanfechtbare Spiel Tianwa Yangs bleiben, die immense Virtuosität mit einem sehr beseelten, attraktiven Klang vereint. Prokofjew hat in seinem 1923 uraufgeführten Violinkonzert-Erstling so mannigfaltige Ideen – und Anforderungen! – verwoben, dass es eine Freude ist, sie in dieser ausgewogenen und gleichzeitig himmelstürmenden Interpretation zu erleben.

Garry Walker, von 2017 bis 2022 Chefdirigent des Staatsorchester Rheinische Philharmonie, war als Gast zur Reihe der Anrechtskonzerte zurückgekehrt -- und zeigte sich als überlegender Gestalter des spätromantisch-neoklassizistischen Programms.
Kevin Rühle. Kevin Ruehle

Ausgewogen und himmelstürmend: Das wäre ein weiteres mögliches Motto für dieses Konzert, dessen Programm von der Spätromantik ausgehend Blicke in neuere Entwicklungen der Musik wirft – den Boden der Tonalität aber nicht verlässt, was als gemeinsame Antwort auf die Gretchenfrage der Musik nach 1900 die drei Werke des Abends vereint.  In Erich Wolfgang Korngolds Ouvertüre zur Filmmusik von „The Sea Hawk“ von 1940 klingt vieles nach, was schon 1920 seine Oper „Die tote Stadt“ zum Welterfolg machte. Spätromantische Opulenz, die immer wieder an Richard Strauss erinnert, dazu reihenweise eindrucksvolle Melodien, die den kompletten Freibeuterfilm durchziehen. Kein Wunder, dass der Österreicher, der auf der Flucht vor den Nazis in Hollywood erfolgreich untergekommen war, für sein Schaffen zwei Oscars erhielt und als einer der wichtigsten Köpfe der Filmmusikgeschichte gilt.

In dieser klangprallen Ouvertüre zeigt die hellwache Rheinische Philharmonie unter Leitung von Garry Walker schon alle Qualitäten auf, die auch beim umfangreichsten Werk des Abends, der Sinfonie Nr. 2 e-Moll, op. 27, von Sergej Rachmaninow zum Tragen kommen. Das lesenswerte Programmheft des Konzerts betont, dass es in diesem immerhin gut eine Stunde dauernden Stück auf die „richtige Balance“ ankommt – und weist darauf hin, dass Rachmaninow hier Interpreten oft zur Übertreibung verleitet.

Ein überlegener Gestalter am Pult

Gegen solche Versuchung jedoch zeigt sich Garry Walker am Dirigentenpult erwartungsgemäß immun: Er gibt dem langen Werk gemeinsam mit dem in bestechender Form spielenden Orchester Struktur und bruchlose, klare Form – und feiert, wo immer es Rachmaninow verlangt, Klangfülle, ohne übereilt in Klangrausch zu verfallen. Immer bleibt noch die Ahnung, dass es noch eine Steigerung geben kann, die schließlich auch erfüllt wird. Ein beeindruckender Abschluss eines Konzertes, in dem das Publikum allen Ausführenden ausnehmend engagiert applaudiert – was von der Extraportion Adrenalin in der ersten Hälfte natürlich noch beflügelt wird.