Dass dennoch der Geist des US-Künstlers gegenwärtig scheint, hat vor allem mit der gerade beginnenden Veranstaltung zu tun: „Paint like Warhol“ lautet deren Arbeitstitel. Es ist wieder mal „ArtNight“ in Koblenz. Rund 20 Leute haben sich dazu eingefunden. Die meisten davon sind Frauen, viele im Alter zwischen 40 und 50. Einige von ihnen, das erfährt man im Gespräch, sind bereits zum wiederholten Mal dabei.
An der Wand links des Tisches mit den Malfarben erklärt uns Gruppenleiterin Rotha Garenn das Motiv. Auf dem Programm steht heute eines der wohl bekanntesten Warhol-Werke: die tausendfach vervielfältigte Abbildung Marilyn Monroes, ein Kinostandbild aus dem Film „Niagara“. Auf die Rückseite unserer Leinwände ist eine Skizze des Originals angebracht. Im Gegenlicht der Lampe scheint diese auf der Zeichenoberfläche durch. Erinnerungen an Malen nach Zahlen kommen auf. Doch dem Autor dieser Zeilen, künstlerisch weitestgehend talentfrei, soll das gerade recht sein.
Malen als Geschäftsmodell?
An der Leinwand veranschaulicht Garenn derweil ein letztes Mal die Technik zur Nachahmung des von Warhol verwendeten Siebdrucks – den Pinsel in schwarze Farbe tunken, gründlich abtupfen und in einem Rutsch über das Papier ziehen –, dann geht es endlich los. Zunächst werden die Konturen der Augen nachgezeichnet, anschließend die des Mundes. Schwingt bei den ersten Strichen noch die Angst der frühzeitigen Verunstaltung des Monroe-Antlitzes mit, wird die Pinselführung schon bald sicherer. Die Hilfslinien erfüllen ihren Zweck – auch wenn sie teilweise nur schwer hinter der Leinwand zu erkennen sind –, und nach etwa 15 Minuten keimt eine (durchaus überraschende) Vorahnung: Am Ende könnte tatsächlich das entstehen, was entstehen soll. Gegründet wurde „ArtNight“ im Jahr 2016 von Aimie Carstensen-Henze und David Neisinger. Die beiden veranstalteten damals in Berlin einen Probedurchlauf, luden Freunde ein und ließen sie eine Frau mit Hund am Strand malen. Die Reaktionen waren wohlwollend, mehr aber auch nicht. Carstensen-Henze und Neisinger kündigten trotzdem ihre Jobs und riefen ein Start-up-Unternehmen ins Leben.
Dabei ist das Format alles andere als neu. Bereits seit 2012 firmieren in den USA ähnliche Malabende unter dem Etikett „PaintNite“, bei denen es unter dem Slogan „Drink Creatively“ (kreativ trinken) allerdings mehr um Alkohol denn um Kunst geht. Die Zahlen sprechen indes für sich: Das Unternehmen weist mittlerweile einen Jahresumsatz von rund 60 Millionen Dollar aus. Dass das Geschäftsmodell auch in Deutschland funktioniert, verrät ein Blick auf die „ArtNight“-Internetseite: Knapp drei Jahre nach der Gründung bietet das Start-Up mittlerweile in zahlreichen deutschen, aber auch österreichischen Städten Kurse an.
In Koblenz finden teilweise drei solcher Events pro Woche statt. Die Themenpalette umfasst dabei neben Warhols Marilyn Monroe auch Motive wie „Frida Kahlo vor grüner Wand“, „Modern Abstract“ oder Werke des geheimnisumwobenen Street-Art-Künstlers Banksy. Die Kartenpreise für die Veranstaltungen, die meist von jungen Künstlern angeleitet werden, liegen zwischen 34 und 39 Euro (für Fortgeschrittenenkurse). Die Nachfrage ist immens: Ein Großteil der Veranstaltungen ist bereits Wochen im Voraus ausgebucht.
Auf den Leinwänden der Teilnehmer in Koblenz hat das Gesicht der Hollywooddiva in der Zwischenzeit erkennbare Formen angenommen. Augen, Mund und Nase der Monroe haben wir auf Papier gebracht, Schattierungen an Hals und Haaransatz mit dickem Pinsel aufgetragen, die Frisur mit schwarzen Strichen konturiert. Der nächste Schritt ist nun das Ausmalen der umrissenen Flächen. Garenn erklärt, wie die passende Hautfarbe angemischt wird, schreitet durch die Reihen, lobt, gibt Tipps.
In der Gruppe herrscht derweil ausgelassene Stimmung. Über die Tische hinweg wird geredet, gescherzt. Einzelne stehen auf, um Inspiration bei den Werken anderer einzuholen. Die Sitznachbarin ist mit dem bisher Geleisteten ganz zufrieden. Auch für sie ist es nicht die erste „ArtNight“, immer wieder begeistert sie sich für die tolle Atmosphäre bei den Veranstaltungen. Ihre Freundin – ebenfalls eine „Wiederholungstäterin“ – hadert zwar noch mit dem Motiv („Marilyn, du machst mich fertig“), genießt aber dennoch das gemütliche Beisammensein. Zwischendurch fällt in Gesprächen immer wieder das Wort „Entspannung“.
Am Ende sind alle zufrieden
Doch auch wenn letztlich der Spaß im Vordergrund steht, soll die Kunst natürlich nicht zu kurz kommen. Deren Umsetzung gestaltet sich erstaunlich gut. Anfängliche Befürchtungen sind längst verflogen. Nach gut drei Stunden prangt Marilyns Gesicht von den meisten Leinwänden in zartem Rosa, die Lippen leuchten knallig rot, die Augenlieder blau (bei anderen auch grün oder golden).
Die Mehrheit der Teilnehmer ist zu diesem Zeitpunkt bei den Haaren angekommen. Erneut werden Farben auf der Suche nach dem perfekten Ton vermischt, dann großflächig aufgetragen. Anschließend gilt es, die schwarzen Konturen in der blonden Pracht nachzuzeichnen, die Ohrringe fehlen noch – wie sie verwirklicht werden, macht wiederum Gruppenleiterin Garenn vor. Den Abschluss bildet dann nach mehr als vier Stunden der Hintergrund, und fertig ist das eigene (Kunst-)Werk.
Während die letzten Pinselstriche auf den Malereien trocknen, bleibt genügend Zeit für gegenseitige Glückwünsche zum eigenen Schaffen. Garenn versichert uns mehrfach, wir könnten stolz sein. Ob das wirklich so ist, wissen wir nicht, aber zumindest scheint am Ende jeder (auch der Autor) mit sich zufrieden, sogar die skeptische Dame, die zwischenzeitlich doch arg mit sich und dem Motiv gerungen hatte, lächelt wieder.
„Mit unseren lokalen Veranstaltungskonzepten wollen wir noch viele weitere Menschen begeistern, glücklich machen und positive Erinnerungen kreieren“, heißt es auf der „ArtNight“-Internetseite. Diese Zielsetzung mag pathetisch klingen und wirkt in Teilen theatralisch. Fest steht jedoch: Wer bei der Abendgestaltung etwas Neues ausprobieren will, verbringt bei einer „ArtNight“ auch als künstlerischer Laie einen angenehmen Abend.
Weitere Informationen und Karten für die Veranstaltungen finden Sie im Netz unter www.artnight.com