Vor der Premiere
Wie ein Barock-Oratorium zu Theater für heute wird
Einen "Lebensweg unter einem Brennglas" will Regisseur Jan Eßiger (links, mit dem Rücken zur Kamera) in Händels " Il trionfo del Tempo e del Disinganno" herausarbeiten. Für die musikalische Umsetzung zeichnet Felix Pätzold (zweiter von rechts), Erster Kapellmeister des Theaters Koblenz, veranntwortlich.
Arek Glebocki für das Theater Koblenz

In Händels „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ streiten allegorische Figuren über Vergnügen, Schönheit, Zeit und Erkenntnis: In Koblenz entsteht eine Inszenierung, die daraus ein packendes Musiktheater für unsere Zeit schmieden will.

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Wenn sie die Worte „Händel“ und „Oratorium“ hören, denken viele sicherlich ein weiteres Wort mit: „Halleluja“, den gewaltigen Jubelchor aus dem „Messias“ von Georg Friedrich Händel. Aufmerksamen Theaterbesuchern sind dann noch einige weitere großartige Oratorien des Komponisten bekannt – auch in Koblenz, wo im vergangenen Jahr die spektakuläre Produktion von Händels 1739 uraufgeführtem Oratorium „Saul“ zu erleben war, entstanden drei Jahre vor dem „Messias“, aber mit sprichwörtlichen Pauken und Trompeten, virtuosen Arien und großen Chören – und sogar einem „Halleluja“.

Nach dem großen Erfolg von „Saul“ in Koblenz war es für alle Freunde von Barockmusik eine spannende Nachricht, dass das Theater sich gleich in dieser Spielzeit an einen weiteren Händel heranwagt – und durchaus eine Überraschung, dass es wieder keine seiner vielen prachtvollen und erprobt theaterwirksamen Opern ist, sondern ein weiteres Oratorium. Allerdings eines, das lange Jahrzehnte quasi vergessen war: 1707, mehr als 20 Jahre vor „Saul“, hatte der gerade mal 22 Jahre alte Komponist in Italien das Stück „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ auf das Libretto eines römischen Kardinals verfasst.

Die großen Fragen des Lebens werden auf der Zelttheaterbühne in einer Küche verhandelt.
Arek Glebocki für das Theater Koblenz

Die Verortung in Rom erklärt auch, warum Händel, der zuvor in Hamburg einige Opern in italienischer Machart zur Aufführung gebracht hatte, hier ein Oratorium vertonte: In Rom war die vermeintlich unmoralische Oper verboten – doch die reichen und kunstsinnigen Adelsfamilien überboten sich mit inszenierten, üppig besetzten Oratorienwerken, bei denen es sich also kaum um ein anderes Genre, sondern eher um einen charmanten Etikettenschwindel handelte.

Das in der Theaterpraxis oft einfach nur „Il Trionfo“ genannte Stück sollte in der Fastenzeit zur Aufführung kommen, doch aus nicht bekannten Gründen scheiterte dieser Plan – und eine Aufführung zu Händels Lebzeiten ist nicht belegt. Im Gegensatz zu der Tatsache, dass der Komponist dieses Werk offenbar sehr schätzte und noch mehrfach umarbeitete. In Koblenz kommt die Version der geplanten Uraufführung auf die Bühne – soweit sich diese aus überlieferten Abschriften rekonstruieren lässt, Originalhandschriften liegen im Fall des Stücks, das auf Deutsch wohl am ehesten mit „Der Triumph der Zeit und der Erkenntnis“ zu übersetzen ist, keine vor. Allein das hat die Stückwahl für den musikalischen Leiter, den Koblenzer Ersten Kapellmeister Felix Pätzold, der schon mit „Saul“ erfolgreich war, zu einer reizvollen Herausforderung gemacht.

Geplant war die Uraufführung von „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ für die Fastenzeit in Rom des Jahres 1707 - wer hätte geahnt, dass diese Musik 318 Jahre später in einem Koblenzer Theaterzelt erklingen würde?
Arek Glebocki für das Theater Koblenz

Wer vermutet, dass der junge Händel vielleicht noch nicht ganz so meisterhaft komponieren konnte, sollte sich von Pätzolds Begeisterung zumindest neugierig machen lassen: Das Stück, so seine Überzeugung, enthält ganz besonders exquisite Musik, einige der schönsten Arien Händels überhaupt – und auch seine persönliche Lieblingsnummer am Ende der Oper. Und in einer langsamen Arie begegnet einem sogar die wunderschöne Melodie, die Händel zuvor schon einmal verwendet hatte und die mir dem Text „Lascia ch´io piango“ in seiner Oper Rinaldo weltberühmt werden sollte.

Der Regisseur Jan Eßinger hat am Theater Koblenz bislang Benjamin Brittens „Albert Herring“ und den „Freischütz“ von Carl Maria von Weber in eindrucksvollen Bildern inszeniert – dieses Oratorium ist für ihn etwas Außergewöhnliches, schon deshalb, weil die vier Figuren des Stückes Allegorien sind: Figuren, die abstrakte Begriffe verkörpern, um moralische oder religiöse Botschaften verständlich zu machen. Für das Publikum des Barockzeitalters war das gelebter Alltag – für uns ist es vom heutigen Theaterverständnis recht weit entfernt. Dabei ist Eßinger überzeugt: „Die Themen, die von diesen vier Allegorien verhandelt werden, stellen dieselben Fragen wie wir heute. Was möchte ich erreichen im Leben? Bin ich spontan und setze auf ,carpe diem´oder brauche ich mehr Sicherheit? Bin ich eher kopf- als bauchgesteuert?“

Der Schönheit wird im Laufe von "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ bewusst, dass ihr dasselbe Schicksal blüht wie allen anderen Menschen -- und so würde Regisseur Jan Eßinger als Titel des Stücks in seiner Interpretation "Die Reise der Schönheit zu sich selbst" vorschlagen.
Arek Glebocki für das Theater Koblenz

Als er sich entschieden hat, das Stück in dieser Richtung zu inszenieren, hat sich für Eßinger daraus ein „tragikomisches Kammerspiel“ entwickelt, in dem ausgerechnet die Figuren, die die Schönheit und die Zeit verkörpern, ein Paar sind. Und das, so der Regisseur, „geht nicht immer gut“. Sein Setting: Die vier Freunde treffen sich in der Küche und wollen eigentlich ausgehen. Doch wie das Leben so spielt: Eine Diskussion entsteht, die immer hitziger und emotionaler wird. Vier Charaktere mit ganz unterschiedlichen Erwartungen an das Leben treffen aufeinander – und die Schönheit wird am Ende den Entschluss fassen, dass ihr Lebensweg anders verlaufen wird, als sie es sich im Rausch des jugendlichen Vergnügens zuvor vorgestellt hatte. So könnte für Eßinger der Titel in seiner Lesart gut „Die Reise der Schönheit zu sich selbst“ lauten – eine Lebensreise durch die großen Fragen, die jeden Menschen bewegen, in zwei spannenden Stunden mit Barockmusik.

Und für deren Umsetzung steht auch Dirigent Felix Pätzold vor einigen besonderen Herausforderungen. Zuerst vor denen, die er mit großer Freude in der Vorbereitung der Aufführung absolviert, wenn es um die Auswahl der Musik geht, die man in die Aufführung aufnehmen will. Händel war ein umfassender Theaterpraktiker, der seine Werke an jeweils zu Verfügung stehende Solisten, Orchester und weitere Aufführungsumstände anpasste – und so kann sich auch Pätzold in bester Gesellschaft wissen, wenn er den Notentext nach den Koblenzer Gegebenheiten adaptiert. So werden etwa in Hinsicht auf den bühnendramatischen Fortgang einige wenige Wiederholungen in den zahlreichen Arien weggelassen. Und auch die für diesen Stil so wichtigen Verzierungen der Gesangslinie hat Pätzold mit den vier Solisten gemeinsam erarbeitet.

Unter besonderen Umständen

Eine besondere Herausforderung wird in diesen Tagen vor der Premiere am 15. Mai angegangen: Die besondere Raumsituation im Theaterzelt auf der Festung Ehrenbreitstein macht nicht nur eine individuelle Verstärkung von Orchester und Solisten nötig, sondern verlegt auch die Kommunikation zwischen Dirigent und Bühnen auf elektronische Umwege. Eine Umgewöhnung für die Ausführenden, von den das Publikum im Idealfall dann nichts mitbekommen wird, wenn 318 Jahre nach der geplanten Uraufführung Händels Musik zu „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“ unter einem Zeltdach zu neuem Leben erwachen wird.

Es gibt noch wenige Restkarten für die Premiere am 15. Mai um 19 Uhr, weitere Termine, Infos und Tickets unter www.theater-koblenz.de