Auch Christian Petzolds auf der Berlinale vorgestellter Streifen "Undine" wagt keine Experimente
Wenn sich deutsches Kino am Mythos versucht
Hochkarätig besetzt: Paula Beer spielt die Titelrolle in Christan Petzolds Wettbewerbsbeitrag „Undine“. Foto: Christian Schulz/Schramm Film/Berlinale/dpa
dpa

Berlin. Überraschung bei der Berlinale: In "Undine" setzt sich der Regisseur Christian Petzold mihilfe starker Schauspieler mit einem Sagenstoff auseinander. Was passiert, wenn der zeitgenössische deutsche Film auf einen Mythos trifft?

Von der Berlinale berichtet unser Filmexperte Wolfgang M. Schmitt

Um die Wiederverzauberung der Welt ging es bereits in dem Berlinale-Film „Onward – Keine halben Sachen“ von Disney. Die Zivilisation, so erklärt eine Stimme aus dem Off anfangs, habe rasante Fortschritte gemacht, zu dem Preis aber, dass die Magie aus unserer Welt verschwunden ist. Es war immer schon Disneys Anliegen, der rationalen Gesellschaft das Märchen- und Zauberhafte entgegenzusetzen. Doch wie geht der deutsche Film mit ebendieser Sehnsucht um, zumal ein Film der sogenannten Berliner Schule, die vor knapp 25 Jahren stilprägend und auch international breit rezipiert wurde? Die Werke von Regisseuren wie Angela Schanelec, Thomas Arslan, Christian Petzold oder Christoph Hochhäusler konzentrierten sich auf das Ereignishafte im Alltäglichen, das Ungewöhnliche inmitten des Gewöhnlichen, gegossen wurde dies in eine spröde, gern grobkörnige Form – viele ungeschminkte Gesichter und strähnige Haare vor Raufasertapeten oder hinter blinden Fensterscheiben.

Christian Petzold, der 2000 mit „Die innere Sicherheit“ berühmt wurde und zuletzt vor zwei Jahren sein Meisterwerk „Transit“ auf der Berlinale präsentierte, zeigt nun im Wettbewerb sein neues Werk. „Undine“ ist ein Liebesfilm, der in der deutschen Gegenwart angesiedelt ist, jedoch zugleich eine Remythologisierung betreibt. Die von Paula Beer gespielte Titelfigur verweist nicht zufällig auf den Undine-Mythos, nach dem die Nymphe in tiefen Gewässern haust und einem untreuen Mann den Tod bringt. Zu Beginn des Films sitzt Undine ihrem Freund in einem Berliner Café gegenüber und erfährt, dass er nun eine andere hat. Sie weigert sich, dies anzuerkennen und rät ihm, die Sache sofort zu beenden, sonst müsse sie ihn töten.

Magisch wird hier plötzlich jener mit Bedacht gewählte, Farben wie Dunkelrot, -grün, und -blau liebende Realismus von Petzold. Und dann taucht ein von Franz Rogowski gespielter Industrietaucher. Das Aquarium in dem Restaurant bricht auseinander, beide werden sie überflutet vom Mythos und von der Liebe, die sich auf den ersten Blick manifestiert.

Die Idee ist hinreißend: Die Welt mythologisch zu romantisieren, verschwindet doch die große Liebe zunehmend und übrig bleibt die Hoffnung auf das nächste Onlinedate. Doch die Ausführung ist hölzern und langatmig, beinahe jede Szene hat etwas Gewolltes.

Jeder Mythos ist selbstverständlich ein Konstrukt, das behauptet und dann vielleicht geglaubt wird, bei Petzold aber gerät die Behauptung allzu plakativ. Das können Paula Beer und Franz Rogowski, zweifellos die interessantesten deutschen Schauspieler ihrer Generation, mit ihrem ambivalenten, verliebten Spiel nicht retten.

Ein Treten auf der Stelle

Ihre Eleganz jedenfalls hat Petzolds Werk nicht, das mitunter wie ein mythologisch beschwerter Fernsehfilm wirkt, der die profane Bildsprache der Berliner Schule kaum hinter sich lassen kann. Verglichen mit den frühen Filmen dieser Stilrichtung, scheint sich gar nicht so viel geändert zu haben. Mit anderen Worten: Das deutsche Kino tritt hier auf der Stelle, wieder einmal. Das aber gilt für etliche Filme im Wettbewerb. Zu sehen ist zwar sehr wertiges, aber ebenso braves Kunsthandwerk. Keine Experimente! Das passt wieder ganz gut in unsere Zeit, die aber eigentlich solche bräuchte.