Unterwegs mit „Rent an Artist“
Wenn gemietete Künstler inneren Reichtum schenken
Die menschliche Begegnung steht beim Projekt "Rent an Artist" im Mittelpunkt. Ein Prinzip, das sich überaus symbolträchtig auch in dieser Skulptur manifestiert, die (von links) Eva-Maria Weiss, Reinhold und Sigrid Hergarten sowie die Performancekünstlerin Evamaria Schaller mithilfe von Gartengeräten konstruiert haben.
Stefan Schalles

Bei „Rent an Artist“ bieten Künstler auf Bestellung originelle Services an. Mit Evamaria Schaller geht es im Brohltal etwa an die kreative Gartenarbeit. Und schnell wird klar, warum der Wert des Projekts nicht in Geld bezahlt werden soll – und kann.

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Am Ortsrand von Dedenbach steht ein terrakottafarbenes Haus, davor ein Garten mit feurigen Glanzmispeln und tanzenden Mohnblumen, eine frühlingsgrüne Hecke unter dem rauschenden Dach aus Birkenblättern, zwischen deren blassweißen Stämmen eine Holzschaukel einlädt zur Fernsicht auf endlose Felder, die sanften Züge des Vinxtbachtals, dahinter weit über den Rhein hinaus bis in den fernen Westerwald. Wer an diesem Tag vorbeikommt an jenem Garten, wird sich wundern, zweifellos, vielleicht gar die Augen reiben ob der Menschen, die dort mit Heckenscheren durch die Lüfte schneiden, mit Schaufeln und Hacken über den Rasen wirbeln.

Doch: Was auf den ersten Blick nach Wahnsinn aussieht, ist in Wirklichkeit Methode. Bald schon stehen die Füße wieder still, liegen die Werkzeuge unbewegt in den Händen. Evamaria Schaller, die den Wasserschlauch eben noch konzentriert zeremoniell über den Boden geschlängelt hat, zeigt den Tanzpartnern nun ihr ausgelassenes Grinsen. „Es war spannend zu sehen, wie ihr diese Alltagsgegenstände in der Choreografie umfunktioniert habt“, sagt sie, „wie die Werkzeuge durch euer Handeln auch mit einer neuen Bedeutung aufgeladen wurden.“

Die Gabe als kulturelles Phänomen

Die flotte Sohle mit den Gartenutensilien, sie ist nur ein Teil einer großen Liveperformance, die an diesem Nachmittag unter Schallers Anleitung zur Inszenierung findet. Die Österreicherin ist hierzu eigens ins Brohltal gereist, im Rahmen des Projekts „Rent an Artist“, als Künstlerin zur Miete also. Andernorts war sie in dieser Rolle tags zuvor bereits für eine kreative Kochshow gebucht, nun performt sie auf Bestellung von Sigrid und Reinhold Hergarten – die mit dem Haus im Grünen – in Dedenbach.

Wobei das vom ArtLab im Kunstpavillon Burgbrohl aufgelegte Projekt nicht den sonst gängigen marktwirtschaftlichen Prinzipien folgt, vielmehr auf einer „Dynamik des Gebens“ beruht, wie die Künstlerische Leiterin Karin Meiner betont: „Die Teilnehmer“, erklärt sie, „vereinbaren mit den Künstlern eigenständig die für das Angebot zu erbringende Gegenleistung. Es geht hierbei nicht um Geld, sondern vor allem um Gabe und Gegengabe als kulturelles Phänomen, um Austausch und beiderseitige Inspiration, um die menschliche Begegnung und das, was währenddessen passiert.“

Sieht verrückt aus, hat aber seine Bedeutung: Mit Gartengeräten in den Händen führen die Projektteilnehmer eine Tanzchoreografie der etwas anderen Art auf.
Stefan Schalles

Oder anders ausgedrückt: Die immateriellen Werte überwiegen die monetären in diesem Fall nicht nur theoretisch. Was sich so bald auch in Dedenbach zeigt, wo die Performancegruppe – im Übrigen komplettiert von Eva-Maria Weiss, einer Freundin der Hergartens – die Gerätschaften inzwischen getauscht und ihrem neuen Nutzer mit guten Wünschen überreicht hat. Die Schaufel – „Auf dass du damit alle Probleme aus dem Weg räumst“ – gegen Arbeitshandschuhe – „Ich wünsche dir immer genug Handlungsspielraum“ – und so weiter.

Begonnen hatte die Performance derweil gut zwei Stunden zuvor mit der Wahl von geschätzten und unliebsamen Werkzeugen, unter deren Einsatz in der Folge Beete umgeschichtet und Göttinnenstatuen geschmückt, Skulpturen gebaut und materialgerechte Garten-Protest-Slogans entworfen werden.

Zwischen Wahl und Verwendung der Werkzeuge werden zu Beginn der Performance - quasi zum Warmwerden - auch noch geeignete Stellen gesucht, an denen neue Pflanzen Platz finden könnten.
Stefan Schalles

Aktionen, die teils Überwindung kosten und doch stets zuverlässig durch Freude entlohnen, mit denen Evamaria Schaller aber vor allem auch eine demonstrative Absicht verfolgt, denn: „Das, was wir hier spielerisch machen“, erklärt sie, „unterscheidet sich im Grunde nicht großartig von meiner Arbeit als Performancekünstlerin. Auch ich beschäftige mich mit alltäglichen Materialien und schaue, wie sie sich anders nutzen oder umdeuten lassen, was sie außer ihrer zugeschriebenen Funktion noch können, um dadurch immer wieder auch gewohnte Muster aufzubrechen.“

Womit der authentische Einblick in die kreative Arbeit, der damit einhergehende Perspektivwechsel quasi die eigentliche Dienstleistung darstellen. Die von Sigrid Hergarten frisch zubereiteten Muffins wiederum sind Teil der „Bezahlung“. Wenngleich der im Austausch implizierte Wert von „Rent an Artist“ erst bei deren Verzehr so richtig zum Vorschein kommt.

„Ich durfte eure Gastfreundschaft erfahren, wunderbare Menschen kennenlernen, ihr habt mir Wertschätzung und Zeit geschenkt, und damit Dinge, die man mit Geld ebenso wenig bezahlen kann wie die Eindrücke, die uns von diesem Tag in Erinnerung bleiben werden.“
Evamaria Schaller

Die von Karin Meiner akzentuierte Begegnung – auf der Terrasse inmitten des Gartens entfaltet sie sich frei. Zunächst noch entlang der Oberfläche, bei einem Gespräch über die attraktive Wohnlage, den grenzenlosen Ausblick, die wahrnehmbare Stille, die hier nur durch das Zwitschern der Vögel gestört scheint, wird bald jedoch persönlicher, vertrauter, als Sigrid Hergarten auf die lange Ehe mit ihrem Mann zurückblickt oder von der nahenden Weltreise ihres Sohnes berichtet.

Und schließlich kommen – mit Blick auf die Künstlervermietung – auch sehr offenherzige, emotionale Worte zur Sprache. Der Nachmittag mit Evamaria Schaller sei ein „unvergessliches Erlebnis“ gewesen, sagt Reinhold Hergarten, woraufhin seine Frau umgehend beipflichtet und ergänzt: „Wir haben uns direkt angesprochen gefühlt von dem Projekt, auch wenn wir uns gar nicht so recht vorstellen konnten, was uns erwartet, aber jetzt, nach dieser Fantasiereise, kann ich sagen: Es hat mir richtig gutgetan, und es war spannend, den Garten mal aus einer ganz anderen Perspektive wahrzunehmen.“

Fröhlich und offenherzig geht es bei selbst gemachten Muffins und Kaffee auch auf der Terrasse zu.
Stefan Schalles

Erfreulich, sagt Sigrid Hergarten, sei für sie zudem auch gewesen, „dass wir dabei viel gelacht haben, dass das Miteinander so leicht war, weil wir nämlich genau von dieser Heiterkeit viel mehr bräuchten auf der Welt“. Und Schaller selbst? Die legt als Reaktion auf die wertschätzenden Worte noch einmal recht eindringlich dar, was das Projekt aus ihrer Sicht ausmacht, sagt, die hierbei in den Mittelpunkt gestellte Gabe sei „etwas enorm Wichtiges, weil das Geben ohne Erwartung einer konkreten Gegenleistung sehr erfüllend ist und viel mehr über einen Menschen aussagt als Worte“.

Der eigentliche Wert? Ist für Schaller folglich ein ideeller, denn: „Wir kannten uns vorher nicht, und trotzdem habt ihr mich hier bei euch zu Hause in euren intimsten Bereich gelassen“, betont sie. „Ich durfte eure Gastfreundschaft erfahren, wunderbare Menschen kennenlernen, ihr habt mir Wertschätzung und Zeit geschenkt, und damit Dinge, die man mit Geld ebenso wenig bezahlen kann wie die Eindrücke, die uns von diesem Tag in Erinnerung bleiben werden.“

Als finale Gegengabe wartet auf Evamaria Schaller am Abend noch eine Klangmassage in der Entspannungspraxis von Sigrid Hergarten.
Stefan Schalles

„Energiegeladen“, fügt die Künstlerin noch an, fahre sie nun nach Hause, „weil ich von euch so viel erhalten habe, das eigentlich zutiefst menschlich ist, aber heute eben doch immer seltener zu finden“. Und apropos: Eine einstündige Klangmassage wartet zu diesem Zeitpunkt – als finaler Teil der Gabe – noch auf Schaller, verabreicht von Sigrid Hergarten in der von ihr betriebenen Entspannungspraxis im Souterrain des Hauses.

Die Künstlerin hat sich dort wenig später bereits auf einer Liege eingerichtet, unmittelbar vor einer riesigen Klangschale, mit kindlicher Vorfreude im Gesicht. Ein emotional ansteckendes Bild, bei dem einem unweigerlich zwei kurze Sätze in den Sinn kommen, die Sigrid Hergarten schon früher an diesem Nachmittag formuliert hatte: dass man sich im Leben immer wieder auf Neues einlassen müsse. Ihre Anleitung zum Glück. Vor allem aber jene nachfolgende Bekundung, die – ursprünglich auf ihr eigenes Befinden gemünzt – in dieser Form wohl von allen Beteiligten mitgetragen werden dürfte: „Der Tag“, war sich Hergarten nach der Performance sicher, „hat mich im Innern mit Reichtum erfüllt.“

„Rent an Artist“: Von der Kunst des Gebens

Einen Künstler mieten? Das war schon 1982 möglich, nachdem Boris Nieslony und das Künstlerhaus Hamburg die Art-Service Association (ASA) ins Leben gerufen hatten. Der Grundgedanke war seinerzeit, das kreative Wirken auf die organisatorische und mentale Arbeit auszudehnen und dabei auch den eigenen künstlerischen Gestaltungsraum zu erweitern. 1984 veröffentlichte die ASA in der Zeitschrift „Kunstforum International“ dann ihr erstes „Menü“. Das Konzept damals wie heute: Der angebotene originelle Service wird nicht mit Geld bezahlt, sondern in Form einer eigenen Serviceleistung, Stichwort: Gabe.

Das ArtLab im Kunstpavillon Burgbrohl knüpft mit „Rent an Artist“ nun an eben dieses Prinzip an. Nach Evamaria Schaller werden hierzu in den kommenden Wochen noch die chinesische Installationskünstlerin Yingmei Duan ( 30. Juni bis 5. Juli) und der Performancekünstler Matthias Schamp (22. bis 28. September) in der Region erwartet. Kontakt und Infos vermittelt das ArtLab unter Tel. 02636/2640.