Tag der Architektur
Wenn ein Neubau auch ein Schutzraum ist
Die besten Ausblicke auf die umliegenden Weinberge sind im Haus Glasner in Dernau durch entsprechend platzierte Panoramafenster inszeniert.
Veit Landwehr, Bildpark

41 Bauprojekte landesweit erlauben beim Tag der Architektur am Wochenende den Blick hinter die Fassade. Auch das Haus Glasner im Ahrtal, das gegen Jahrhundertfluten gerüstet ist, bei der Flutkatastrophe 2021 aber in Mitleidenschaft gezogen wurde. 

Lesezeit 4 Minuten

Das Gebäude ist noch ausgesprochen jung, ist aber schon museumsreif: Das Haus Glasner in Dernau im Landkreis Ahrweiler ist eines von 80 Beispielen, die noch bis Ende Januar 2026 in der Ausstellung „We/Trans/Form“ der Bundeskunsthalle in Bonn als „vorbildliche Beschäftigung mit den Herausforderungen des Klimawandels“ vorgestellt werden. Wer das außergewöhnliche Wohnhaus noch besser kennenlernen will, hat dazu am kommenden Wochenende Gelegenheit: Das Haus Glasner ist eines von 41 Projekten in Rheinland-Pfalz, die beim bundesweiten Tag der Architektur ihre Türen für die interessierte Öffentlichkeit öffnen und zum Blick hinter die Fassaden einladen.

Das Spektrum dort vorgestellter aktueller Bauprojekte reicht dabei vom modernen Haus Glasner mit seinem Stahlbetonsockel und aufgesetztem Holzbau über gemeinschaftliches Wohnen wie beim „49°Nord“ in Mainz, bei dem sich 16 Familien ein Haus mit Gemeinschaftsraum Büroflächen, Dachterrasse und Werkstatt teilen, bis hin zu zahlreichen Umbau-Projekten. Was alle Bauprojekte vereint, ist das Motto „Vielfalt bauen“ – und laut der veranstaltenden Architektenkammer der Umgang mit Themen wie etwa Kostensteigerung, Ressourcenknappheit,  Mangel an bezahlbarem Wohnraum – und die Klimakrise.

Der Sockel aus Stahlbeton ist als „kalter Baukörper“ konzipiert, der im Fall von Hochwassser mit geringsmöglichem Schaden geflutet werden kann, auf den Sockel ist ein Holzhaus gesetzt.
Veit Landwehr, Bildpark

Das Thema Klima hat auch die Baugeschichte des Hauses Glasner weit langwieriger und schwieriger gestaltet als geplant, erzählt sein Architekt Florian Hertweck. Er ist Professor an der Universität Luxemburg und leitet den Masterstudiengang Architektur, im Zentrum seiner Forschung steht „die sozial-ökologische Transformation von urbanen und suburbanen Räumen“. Und als er das Bauvorhaben in Dernau anging, hatte er eine Sache im Hinterkopf, die beim Baubeginn 2019 kaum jemand auf dem Schirm hatte: die Hochwassergefahr.

Es war wohl Intuition: Denn obwohl es im Ahrtal in den letzten 500 Jahren rund 70 dokumentierte Hochwasserereignisse gab, liegt der Neubau in einer Baulücke in Dernau – weit weg von der Ahr - außerhalb der sogenannten HQ100-Zone. Mit HQ100 wird im Bauwesen und im Hochwasserschutz ein Hochwasser mit einer statistischen Wiederkehrzeit von 100 Jahren bezeichnet. Ist ein Gebiet entsprechend ausgewiesen, dürfen vielerorts in ihm gar keine neuen Gebäude entstehen oder aber müssen so errichtet werden, dass sie einem HQ100-Ereignis standhalten können.

Ein Höchstmaß an Privatsphäre bietet der zentrale Innenhof, um den sich alle Räume des oberen Stockwerks gruppieren.
Veit Landwehr, Bildpark

Dass Architekt Hertweck trotzdem auf Nummer sicher gehen wollte, hat einen biografischen Hintergrund: „Ich bin selbst in Bonn am Rhein aufgewachsen“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Sein Vater war ebenfalls Architekt und hatte in einem Überschwemmungsgebiet gebaut: „Das sollte man ja eigentlich nicht machen, und so weiß ich aus Erfahrung, dass man in solchen Gebieten nur etwas mit Resilienz bauen sollte.“

Diese Widerstandskraft strahlt das Haus Glasner ganz massiv aus: Der Sockel aus Stahlbeton ist als „kalter Baukörper“ konzipiert. Das heißt: Er enthält ausschließlich Funktionsräume, die notfalls geflutet werden können. Florian Hertweck erklärt, was das konkret für die Planung und Nutzung bedeutet: „Man muss so bauen, dass im Falle des Falles der geringstmögliche Schaden eintritt. In diesem kalten Baukörper dürfen keine Leitungen liegen, kein Strom, keine Heizung, keine Wärmedämmung. Es sollte alles so sein, dass man nach einer Flut mit dem Hochdruckreiniger durchgehen kann und nach einem Tag dann wieder alles erledigt ist.“

Genau so hatte er das Haus Glasner konzipiert: Hinter der markanten Metallschiebetür liegen Stellplätze und Funktionsräume, auf dem Sockel ist ein Holzhaus aus Stapeldecken und Holzständerwänden aufgesetzt, das einen intimen Hof umschließt, der an den in der Region einst sehr beliebten Typus des Hofhauses anschließt und viel Privatsphäre bietet. Nach hinten finden sich ein Kinder- und ein Spielzimmer, zur Straße führen Wohn- und Esszimmer sowie der Elternbereich. Und besonders schön sind die besten Ausblicke auf die umliegenden Weinberge durch entsprechend platzierte Panoramafenster inszeniert.

Doch bei aller Vorsicht konnte auch das Haus Glasner nicht hundertprozentig gegen die verheerende Ahrflut bestehen, die 2021 allein in Rheinland-Pfalz 135 Menschen das Leben kostete und Tausende Häuser beschädigte. Zwar konnte sich die Bauherrenfamilie im oberen Stockwerk aufhalten, während das komplette Erdgeschoss geflutet war. Doch am Ende waren es wenige Zentimeter zuviel: Das Wasser drang zwischen Bodenplatte und Estrich ein und durchnässte die Wärmedämmung. Die immense Nachfrage nach Handwerkerleistungen verzögerte die Sanierung erheblich – eine Erfahrung, die Tausende Familien in der Region teilen nach dieser Katastrophe, die mit aller Brutalität daran erinnert, wie wichtig der Hochwasserschutz beim Thema Bauen ist.

Das Haus Glaser in der Bonner Straße 29 in 53507 Dernau ist im Rahmen des Tags der Architektur am Sonntag, 29. Juni, von 14 bis 18 Uhr zu besichtigen. Viele der weiteren 40 Projekte in Rheinland-Pfalz öffnen ihre Türen auch am Samstag, 28. Juni. Alle Projekte und weiteren Informationen finden sich online unter www.diearchitekten.org