Jenes Lied, das nun landauf, landab auf Impfgegner- und Querdenkerdemos zum Einsatz kommt. „Ich kann das nicht zulassen“, sagt Fietz. „Ich kann nicht zulassen, dass diese Menschen sich mit Bonhoeffer gleichsetzen.“
Per Zufall ausgewählt
Das erste Mal sei das als „Bonhoeffer-Lied“ bekannte Stück seines Wissens nach im November 2020 auf einer als Gottesdienst getarnten Veranstaltung der Querdenker in München gesungen worden. „Diese Demonstration wurde gegen Ende von der Polizei wegen Abstandsverstößen aufgelöst, als zufälligerweise auch ‚Von guten Mächten wunderbar geborgen‘ gesungen wurde. Natürlich gab es von diesem Abbruch Videoaufzeichnungen, die in der Querdenker-Szene gehandelt wurden mit dem Clickbait-Aufruf: ‚Bei diesem Lied schritt die Polizei ein‘, was – wie viele der Informationen aus dieser Szene – nur Teilinformationen wiedergibt“, so Fietz.
Über diese Videos seien er und seine Familie, die gemeinsam den Abakus-Verlag in Greifenstein im Westerwald (Lahn-Dill-Kreis) betreiben, von einem Nutzer bei Twitter informiert worden. „Wir haben umgehend angefangen, das Einzige zu tun, was uns möglich war: Wir haben das Video und Ausschnitte aus dem Video auf allen Plattformen aufgrund eines Copyrightverstoßes gemeldet“, erklärt der Musiker. „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ sei zwar ein beliebtes Kirchenlied, dessen Textrechte inzwischen ausgelaufen sind, aber die in den Videos gesungene Melodie stamme von Fietz, der weiterhin alle Rechte besitze und somit festlegen könne, an wen Filmnutzungsrechte vergeben werden – und an wen eben nicht.
Als christlicher Musiker sieht sich Fietz in einer schwierigen Situation: „Wir wissen, dass unsere Lieder vielen Menschen Trost spenden und gerade ‚Von guten Mächten wunderbar geborgen‘ oft in der Pandemie gesungen wird, um Menschen durch diese schwere Zeit zu begleiten. Diese Videos lassen wir in der Regel nicht sperren.“ Er sehe sich aber auch konfrontiert mit einer neuen Art, wie „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ genutzt wird. „Der christliche Zuspruch, der vielen Menschen in schwierigen Situationen hilft, wird hier ganz klar missbraucht“, sagt Fietz.
„Querdenker, unter ihnen Menschen, die die Einschränkungen bedingt durch die anhaltende Pandemie mit der Verfolgung in der NS-Zeit gleichsetzen, und Menschen, die den ideologischen Gedanken der NS-Zeit sogar offen zugewandt sind, denken, sie wären wie Bonhoeffer Freiheitskämpfer gegen ein Regime, das sie unterdrückt.“ Die Vorstellung, Bonhoeffers Text für diese eigene Ideologie zu verdrehen, empfinden er und seine Familie „moralisch, sozial und auf Basis unseres Glaubens als nicht akzeptabel“.
Deshalb haben Fietz und seine Familie immer dann, wenn sie von einem neuen Video erfahren haben, die jeweilige Internetplattform darüber informiert, dass es für die verwendete Musik keine Nutzungsrechte gibt. Damit hat die Familie zunehmend auch die Wut der Querdenker auf sich gezogen, wie Fietz erklärt: „Man wird konfrontiert mit beleidigenden Kommentaren bei unseren Onlinekonzerten, unfreundlichen E-Mails und Anrufen, verleumderischen Videos, absichtlich negativen Bewertungen, und es wurde sogar erreicht, dass meine Facebook-Seite so oft gemeldet wurde, dass Facebook sie automatisch gesperrt hat. Wir haben dagegen natürlich Einspruch eingelegt, aber Facebook hat darauf auch Monate später nicht reagiert“, erzählt der Kirchenmusiker.
Geschlagen geben möchte er sich dennoch keinesfalls. „Wir sind bereit, viel in Kauf zu nehmen, um das Andenken Dietrich Bonhoeffers zu schützen. Wir möchten, dass ‚Von guten Mächten wunderbar geborgen‘ weiterhin die Menschen positiv begleitet, und dass es ihnen Trost in schweren Zeiten spendet.“
Die Intention, Trost zu spenden und die Menschen zusammenzubringen, sieht Fietz durch die politische Nutzung seines Stückes ins Gegenteil verkehrt: „In meiner Jugend empfand ich schon einen Rechtsruck in der Gesellschaft“, erklärt er dazu. „Deshalb wollte ich Bonhoeffers Texte und vor allem seine Inhalte den Menschen über die Musik zugänglich machen.“ Das ist ihm auch gelungen: „Es gibt über 70 Vertonungen von ‚Von guten Mächten wunderbar geborgen‘. Und ausgerechnet meine wurde so bekannt.“ Im vergangenen Jahr wurde das Stück sogar zum beliebtesten Kirchenlied Deutschlands gewählt.
Auch in den Kirchen Mittelhessens wird das Bonhoeffer-Lied gern gespielt. „Viele wünschen es sich bei Trauerfeiern, und es gehört zum Repertoire des Silvestergottesdienstes“, erklärt Klaus Neumeister, evangelischer Pfarrer in Gladenbach. Auch er kritisiert scharf, dass ausgerechnet Bonhoeffers Texte bei Querdenker-Veranstaltungen benutzt werden. „Den Text hat Dietrich Bonhoeffer zum Jahreswechsel 1944/45 im Nazigefängnis geschrieben. Es ist also in ganz schwierigen Zeiten entstanden, kurz vor seiner Hinrichtung“, so der Theologe. „Ganz plakativ gesprochen handelt es davon, dass alle bösen Mächte weichen und von der guten Macht Gottes verdrängt werden.“
Videos sperren lassen ist möglich
Dass Querdenker und Impfgegner diese Zeilen für sich vereinnahmen würden, sei für ihn inakzeptabel. „Ich finde es sehr gut, dass Siegfried Fietz klar Stellung bezieht.“ Und das werden Fietz und seine Familie auch weiterhin tun: „Wir werden weiter jedes Video sperren lassen, in dem das Lied gegen unseren Willen benutzt wird.“ Dass seine Lieder auf Querdenker-Demos gesungen oder gespielt werden, sei für ihn allerdings kaum zu verhindern. „Von den Veranstaltern werden wir natürlich nicht vorab darüber informiert, ob ein Lied von uns bei einer Demonstration gesungen werden soll. Wenn wir vorab informiert würden, würden wir diesen Einsatz immer ablehnen.“ Und das mit einem Ziel: „Wir wünschen uns, dass ‚Von guten Mächten wunderbar geborgen‘ weiterhin alle Menschen begleitet, die Trost brauchen und dass wir das Lied möglichst bald wieder – für alle sicher – zusammen singen können.“