Es geht ruhig zu im Haus in der Corte San Lorenzo in der Stadt Lucca in der Toskana. Kleine Besuchergruppen geben sich die Türe in die Hand in der original hergerichteten Wohnung im historischen Stadtzentrum, in der Giacomo Puccini am 22. Dezember 1858 das Licht der Welt erblickte und seine ersten Lebensjahre verbrachte. Geboren wurde er als Spross einer Reihe von Komponisten sakraler Musik – 65 Jahre später verlässt er die Welt als einer der erfolgreichsten Opernkomponisten aller Zeiten.
Er starb 1924 über der Arbeit an seiner letzten, unvollendeten Oper „Turandot“ – und so wird in diesem Jahr ein Puccini-Jubiläumsjahr begangen, über dessen Sinnhaftigkeit man diskutieren könnte. Bedarf es eines Gedankjahr, wo doch an den Opernhäusern landauf, landab ohnehin Puccini quasi in Dauerschleife läuft? Diese Frage zu beantworten, sind Theater und weitere Kulturveranstalter aufgerufen – um etwa mit Aufführungen der weniger bekannten Werke Puccinis, von der im Schwarzwald und in Mainz spielenden Feenoper „Le Villi“ bis zur Wildwestoper „La Fanciulla del West“, Repertoirelücken zu schließen. Oder aber, um andere Raritäten zum Vorschein zu bringen – wie jetzt zur Eröffnung des vom SWR, der Villa Musica und den Veranstalterkommunen getragenen Festivals RheinVokal in Bad Ems.
Dass der 19. Festivaldurchgang in der Bäderstadt startet, ist ein ermutigendes Zeichen – war Bad Ems zwischenzeitlich doch aus dem Kreis der RheinVokal-Festivalkommunen entfleucht und nun wieder zurückgekehrt. Ein Gewinn für die Stadt und das Festival, das den glanzvollen Auftakt im passend strahlenden historischen Marmorsaal begehen konnte.
Mehr als ein reines “Best-of"
Die Festivalspielzeit hat sich dem diesjährigen rheinland-pfälzischen Kultursommermotto „Sterne des Südens“ verpflichtet wie sonst wohl keine Reihe im Land – das Eröffnungskonzert passt dazu in seiner kompletten Hinwendung zu Giacomo Puccini. Aber RheinVokal wäre nicht RheinVokal, wenn es eben nicht etwas Besonderes bieten würde – und so gab es mehr als ein reines „Best-of“ der vermeintlich schönsten Nummern zu erleben, obwohl bekannte Solonummern und Duette einen Großteil des Programms ausmachten.
Für diese Opernseligkeit sorgten Ausschnitte aus „La bohème“, „Madama Butterfly“ und „Tosca“ – und das wohl unvermeidliche „Nessun dorma“ aus „Turandot“. Denn diese mittlerweile populärste Tenorarie des kompletten Opernrepertoires hat Puccini noch vor seinem Tod vollendet – und sie wird in diesem Jahr auch in unzähligen Konzerten weltweit zu hören sein. Die Welt wartet – nicht auf das sagenumwobene hohe C, sondern einen Halbtonschritt tiefer, auf das hohe H des „Vincerò!“, mit dem der Held Kalaf seines Siegeszuversicht in den Nachthimmel Pekings – oder eben ins Bad Emser Kurhaus – hinaussingt.
Frankfurter Entdeckungen
Der mexikanisch-spanische Tenor Abraham Bretón steht diesen Stunt strahlend durch und wird vom Publikum bejubelt. Anerkennung auch dafür, das er sich von seinem umfassend geschmissenen Schlusston im „Bohéme“-Duett nicht hatte beirren lassen und den Wunschkonzert-Hit auf den Punkt bringt.
Bretón und seine Gesangspartnerin des Abends, die Südafrikanerin Nombulelo Yende, wurden vom höchst erfolgreichen Frankfurter Opernintendanten Bernd Loebe für sein Haus entdeckt: Er ist ein begnadeter Trüffelsucher auf dem Markt der Gesangstalente. Und mit Nombulelo Yende, die die kleine Schwester der weltweit gefragten Sopranistin Pretty Yende ist, hat Loebe ein besonders wertvolles Talent entdeckt. Wie sie die Stimmungen der Mimí aus „La bohème“ einfängt, die Tragik der kleinen Cio-Cio-San („Madama Butterfly“) auf den Punkt bringt – das zeigt großes Gestaltungsvermögen und musikalische Reife. Dazu noch klingt ihre Sopranstimme in den Registern, mit denen Puccini die Emotionen attackiert, berückend reich und glanzvoll. Und beide Solisten wechseln sich ab in einer Sammlung von Liedern Puccinis, die der Komponist Carlo Boccadoro zu einer 1994 uraufgeführten Suite „La segreta voce“ zusammengestellt hat.
Der unbekannte Puccini in „Crisantemi“
Sie ist ein interessantes Zusatzangebot aus der Ecke des unbekannten Puccini, die in kleinen Miniaturen dessen Stilreichtum aufzeigt. Und noch dazu seine Praktikabilität in Sachen Mehrfachverwertung verrät: Aus dem Lied „Sole e amore“ von 1880 etwa hat er acht Jahre später ein Gutteil eines Quartettfinales in „La bohème“ gebastelt. Und wenn man den eher unbekannten Puccini zeigen will, darf natürlich die Musik seines einzigen Streichquartetts „Crisantemi“ aus seinen Anfangsjahren nicht fehlen, das ihm so gut gefiel, dass er es in seiner Oper „Manon Lescaut“ benutzte.
In jener „Crisantemi“-Musik – bearbeitet für Orchester – klingt das Kurpfälzische Kammerorchester dann auch ein gutes Stück besser als in den Opernszenen, obwohl auch diese vom italienischen Dirigenten Massimiliano Caldi mit flüssigen Tempi und passgenauen dramatischen Impulsen geleitet werden. Bravo also auch an ihn für ein Auftaktkonzert, dass sich sein Prädikat „Gala“ verdient hat.
Infos zum Festival online unter www.rheinvokal.de