Für "Twist" vereint Choreograf Victor Quijada am Staatstheater Mainz zwei Tanzstile
Uraufführung im Staatstheater Mainz: Wenn Breakdance und Ballett zueinanderfinden
Der neue Ballettabend „Twist“ am Staatstheater Mainz bedient die Sehlust der Zuschauer auf üppige Weise. Foto: Andreas Etter
Mainz

Mainz. Eine Frau und ein Mann haben sich gefunden. Sie schreiten dem auf der Hinterbühne aufflammenden Weißlicht entgegen. Je heller das wird, umso unsichtbarer das Paar. Mit diesem Bild des Verschwindens endet die jüngste Tanzproduktion am Staatstheater Mainz. „Twist“ ist die Choreografie des US-Amerikaners betitelt. Der hat sich für seine erste Arbeit in Europa die tanzmainz-Compagnie ausgesucht. Und ist damit gut gefahren.

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„Twist“ hat nichts zu tun mit dem Modetanz der frühen 1960er, außer dass auch in dieser Arbeit ein jugendlicher Tanzstil bedeutsam wird: Breakdance, die zuerst als afroamerikanische Subkultur entstandene, teils artistische Straßentanzform. In dieser Szene machte der Latinoamerikaner Quijada seine ersten Tanzerfahrungen. Die versucht er seit einiger Zeit mit dem Bewegungsrepertoire des klassischen und zeitgenössischen Balletts zu verknüpfen. Die Uraufführung in Mainz darf als aktueller Ausfluss davon gelten.

Der Choreograf ist nicht der Versuchung erlegen, die Mainzer Tänzer mit zirzensischer Breakdance-Akrobatik auftrumpfen zu lassen. Weshalb die Einflüsse dieses Stils sich vor allem im Kleinen finden: in meist nur angedeuteten Überschlägen, Kopfständen, Schulterrollen, Karatefiguren und immer wieder jenen typischen roboterartigen, ruckhaften Bewegungen, die in den übrigen Tanzfluss eingearbeitet sind – ihn mal beschleunigen, mal brechen.

„Twist“ ist hier im Übersetzungssinn gemeint als Verdrehung und überraschende Wendung. Beides findet sich im Tanzstil wieder, wird von Quijada aber auch als Forderung an die Inszenierung des Abends gerichtet. Da passieren einige Dinge, die nicht nur die Sehlust bedienen, sondern auch der Interpretationslust des Zusehers allerhand Anregendes bieten.

Wie die 60 Minuten mit dem Verschwinden eines in farbige Westen gekleideten Paares enden, so beginnen sie mit dem Auftauchen von 20 Akteuren in einheitlich grauer Kluft. Auf Bänken in Reih und Glied sitzend, erproben sie in strenger Formation erste einfache Möglichkeiten körperlich-tänzischer Aktivität: Oberkörper im Gleichklang wiegen, Arme in die Höhe strecken, Beine recken, mit den Füßen trippeln und manches mehr.

Aus diesem menschlichen Urstamm – so unsere Deutung – kristallisieren sich erst einzelne Individuen heraus, dann durch blaue, gelbe, rote, erdbraune Umhänge unterschiedene Gruppen (Kostüme: Cloe Alain-Gendreau). Vielleicht sind das Stämme oder Nationen, die einen Umgang miteinander finden müssen, die auch mal untereinander die Umhänge tauschen, sich in sie als Fessel oder auch Halt gebendes Seil verwickeln. Die Entwicklung des Menschen vom Urgrund bis zum Jetzt? Hinter all dem dräut vom Schnür- bis zum Bühnenboden eine Plastikplane (Bühne: Liam Bunster). In der Mitte eng geschnürt, an den Enden von Metallstreben aufgespannt, hat das Konstrukt anfangs dies Form einer Sanduhr. Je weiter die Zeit fortschreitet, umso desolater wird das Bild. Bis die Plane zerfleddert an einer windschiefen Strebe hängt und das Ganze ausschaut wie ein nach Mastbruch zum Absaufen verdammter Segler.

Das mag Zivilisationskritik sein – die als Wunsch oder Traum einmündet in die beiden berührendsten Passagen des sehenswerten Abends, zum dem Jasper Gahunia einen Musikmix aus harmonischen Klavierklängen und rumorendem Elektroniksound komponiert hat: Christel de Frankrijker und Milena Wiese tanzen zwei Frauen, die einander buchstäblich belasten und mit Füßen treten, dann aber sich gegenseitig helfen. Amber Pansters und Finn Lakeberg arbeiten sich zwischen Abstoßung und Anziehung an jene Liebe heran, die sich schließlich dem öffentlichen Blick entzieht und so den Schlusspunkt setzt.

Karten sind erhältlich auf www.staatstheater-mainz.com

Von unserem Autor Andreas Pecht