Der von Hausregisseurin Alice Buddeberg inszenierte, knapp zweistündige Abend „Der letzte Bürger“ will nicht richtig zünden. Als strenges Sprechtheater nebst Videounterstützung hat sie das Stück von Erfolgsautor Thomas Melle angelegt – so versandet das Gegenwartsstück bald in einer trockenen, plakativ psychologisierenden Familienaufstellung.
Zusammenkunft am Sterbebett
Gespielt wird die Zusammenkunft der Sippe Clarenbach um den Vater, Schwiegervater, Opa Leo. Der alte Mann befindet sich in einem Zustand fortgeschrittener Demenz, und der ihn pflegende Sohn Holm hat die zersprengte Familie herbeigerufen, auf dass sie an dessen wahrscheinlichem Sterbetag wieder zueinander finde. Man schreibt den November 2016, Wahltag in den USA; das private Geschehen wird überlagert vom Sieg Donald Trumps. Es ist zugleich durchdrungen von den deutschen Ereignissen im November 1989, dem Mauerfall – mit dem die innerfamiliäre Tragödie der Clarenbachs begann: Denn bald danach war Leo als vormaliger Spion in Diensten der DDR entlarvt und eingesperrt worden.
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Er, der zwar stets sozial engagierte, aber doch gutbürgerliche Bundesdeutsche entpuppte sich als geheimer Parteigänger der Ostkommunisten. Diese Enthüllung hatte inmitten der allgemeinen Euphorie über das Ende der SED-Herrschaft alle Clarenbach‘schen Familienbande zerstört. Jetzt, ein Vierteljahrhundert später und im Angesicht von Leos bevorstehendem Tod, sollten sie nach Holms Vorstellung neu geknüpft werden – durch Aussprache, Vergebung, Verbrüderung. Stattdessen werden ganz schnell alte Rechnungen präsentiert, reißen zwischen Leos Kindern ehemalige Verletzungen wieder auf, schlagen sich die Enkel neue Wunden.
So setzt das Stück zwar einen historischen Rahmen, verweilt aber schließlich doch bei einer gewöhnlichen Familientragödie. Bei nachtragender Eifersüchtelei zwischen erst- und zweitgeborenem Sohn, bei Anfeindungen zwischen allein lebender, ungebundener Tochter und kleinfamiliärer Schwiegertochter, zwischen links-grün angehauchter Enkelin und zwei männlichen Enkeln, dieser ein weinerlicher Smartphonejunkie, jener ein Rechtsradikaler. Figurenzeichnung und Konfliktkonstellationen sind so grob und eindeutig, dass fast jede Entwicklung absehbar ist. Die mittels vorproduzierter Videos auf einen Gazevorhang projizierten Erinnerungsrückblenden folgen dieser Manier und machen die Inszenierung weder lebendiger noch interessanter.
Statisch aufgesetztes Spiel
Melles Text bleibt unter den Möglichkeiten dieses Autors, das weithin statische bis aufgesetzte Spiel des elfköpfigen Ensembles unter den Möglichkeiten der Bonner Akteure. Eine Ausnahme bilden jene Momente, da Wolfgang Rüter in der Rolle des greisen Leo die widersprüchlichen Phänomene der Demenz ausspielt: hier Augenblicke des mühsamen Brückenbaus zur Realität, gleich darauf das Zerbröseln dieser Brücken und Rücksturz in verworrene Erinnerungsfetzen, die sich alsbald in einer reinen Fantasiewelt auflösen.
Und warum heißt das Stück „Der letzte Bürger“? Es ist ausgerechnet der rechtsradikale Enkel, der mehrfach hervorhebt, dass Leo als DDR-Spion wenigstens noch Haltung und Ideale gehabt habe, für eine Sache eingetreten sei – während alle anderen in dieser Familie und heutzutage bloß noch an kleinlich-egoistischen Nichtigkeiten kleben würden. Darüber ließe sich durchaus streiten; allerdings bleiben Melles Stück und Buddebergs Inszenierung dafür als Impuls zu schwach.