Im Sommer 1845 reiste die britische Königin Victoria mit ihrem deutschen Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha nach Koblenz, kreuzte im Zuge ihres Aufenthalts dort auch mit dem Dampfschiff auf dem Rhein und notierte über den Drachenfels in kurzen und doch nicht weniger verzückten Worten: „Too beautiful!“ – „Zu schön!“ Die Magie des Stroms, seit Ende des 18. Jahrhunderts bereits Projektionsfläche für schwärmerisch romantische Sehnsüchte, sie hatte auch die Royals erfasst. Wobei Victoria keineswegs die erste berühmte Britin war, die den Rhein besuchte, Jahrzehnte zuvor schon Dichter wie Lord Byron oder Meistermaler William Turner den Weg geebnet hatten für die nun stetig wachsenden Touristenströme, die ganz maßgeblich auch von der Insel gespeist wurden.
„Der englische Blick auf den Rhein“ ist vor diesem Hintergrund ein durchaus lohnender, da prägender, der in der deutschen Kunstlandschaft allerdings lange Zeit ignoriert wurde. Auch im Koblenzer Mittelrhein-Museum (MRM), wo von Freitag an erstmals eine umfassende Werkschau dem Eindruck der Engländer vom Rhein nachspürt, aber eben auch dem Bild der Engländer am Rhein, bei der auf Gemälden und Aquarellen festgehaltene Reiseeindrücke ebenso präsentiert werden wie Tagebücher, Fremdenführer und Werbeprospekte aus der Epoche.
Über Waterloo zur Rheinreise
„Wir wollten das Thema in einem möglichst breiten kulturgeschichtlichen Kontext aufgreifen“, verweist MRM-Direktor Matthias von der Bank auf den spannenden Kern der Schau – und ergänzt: „Daher tauchen hier neben bekannten Namen wie Turner oder Queen Victoria auch ganz normale Touristen auf, von deren Reiseerfahrungen wir anhand charakteristischer Episoden ebenfalls erzählen.“
Los geht es nach der Anreise – die oft zunächst nach Waterloo führt, jenen soldatenlos recht unspektakulären Ort des napoleonischen Untergangs, von dort aus dann weiter über Aachen nach Köln – mit den vielfältigen Impulsen des britischen Tourismusbooms. Neben den romantischen Werken Lord Byrons (1788–1824), die in einem Originalsammelband aus den 1830ern auch nachzulesen sind in der Schau, weckten die Neugier seinerzeit etwa erste Reiseführer mit handgezeichneten Karten oder Verkaufsprospekte mit kleinen Rheinansichten, die in vergrößerter Form auch zu erwerben waren.

„Viele Künstler“, sagt Kuratorin Irene Haberland, „sind für Auftragsarbeiten an den Rhein gereist und haben dort weniger die Realität als vielmehr ihre Vorstellungen von der Landschaft gezeichnet.“ George Clarkson Stanfield (1793–1867) beispielsweise bereicherte seine idyllische Ansicht von St. Goarshausen mit einigen Segelbooten unterhalb des Loreley-Felsens, „die diese gefährliche Stromschnelle in Wirklichkeit niemals passiert hätten“, wie Haberland betont. Mit dem Ergebnis, dass solche Arbeiten in England „ein romantisch verklärtes Bildgedächtnis“ erzeugt und in der Folge auch die Reiselust befeuert hätten.
Ganz vorn zu finden bei den Sehnsuchtstreibern ist schließlich auch William Turner (1775–1851), der in der Ausstellung zwar mit einer Ansicht des Moselorts Bernkastel vertreten ist, durch sein kreatives Wirken aber vor allem der Festung Ehrenbreitstein zu weitreichender Popularität verhalf. Das imposante Bauwerk auf dem gleichnamigen Felsen, sagt Haberland, sei für Engländer der Anziehungspunkt schlechthin gewesen – und in deren Heimat weitaus bekannter als etwa die von den Deutschen verehrte Loreley.

Überraschen dürfte es daher kaum, dass die Festung bei diesem englischen Blick auf den Rhein noch in vielen weiteren Gemälden auftaucht, 1894 beispielsweise auch in einer Darstellung von William Callow (1812–1908) verewigt wurde. Wobei sich beliebte Motive aus der Epoche ohnehin stetig wiederholen, der Limburger Dom etwa, den wiederum Stanfield gleich in mehrfacher Ausfertigung aus unterschiedlichsten Perspektiven auf die Leinwand brachte.
Doch: Charakteristisch für die Zeit ist laut Haberland mehr noch ein anderes Merkmal: „Auf den meisten Bildern“, sagt sie, „sind Burgen und Ruinen lediglich im Hintergrund zu sehen, während der Fokus auf den Menschen und deren Alltag liegt.“ So etwa auch bei besagtem Turner-Werk aus Bernkastel, das eben nicht bestimmt wird von Burg Landshut in der Höhe, sondern sich vielmehr vordergründig interessiert zeigt am geschäftigen Treiben auf einem Steg nebst anlandender Fähren und Lastkähne.
„Erinnerungsblätter“ neben Meistermalern
Angenehm erfrischend wirkt bei alledem schließlich, dass den teils bekannten Werken der Meistermaler in Koblenz immer wieder auch Arbeiten von weniger namhaften Reisenden zur Seite gestellt werden: In einer eigenen Sektion mit Aquarellgemälden ist exemplarisch hierfür etwa das Bild eines gewissen Henry Harris zu sehen, der das gemütliche Mittelrhein-Örtchen Leutesdorf auf einem seiner „Erinnerungsblätter“ festgehalten hat – quasi analog zur später üblichen Dokumentation mittels Fotoalben.
Ob Harris auf seinen Reisen derweil auch very british unterwegs war, ist in der Ausstellung zwar nicht überliefert. Wie der Habitus englischer Touristen auf die Zeitgenossen wirkte, lässt sich dort allerdings anhand einer humorvollen Sammlung von Karikaturen nachvollziehen. Teils ganze Bücher voll, in denen Künstler aus dem Königreich ihre Landsleute als recht einfältige Gestalten in karierten Hosen aufs Korn nehmen, die pflichtbewusst und gedankenlos eine Sehenswürdigkeit nach der anderen abarbeiten. „They Do Cologne Cathedral“ ist hierzu auf einem der Blätter zu lesen, auf dem die Touristengruppe mit Reiseführer bewaffnet durch die Menge fromm betender Kölner stapft.

Etwas gesitteter ging es da wohl bei Königin Victoria zu, die als Höhepunkt ihrer Rheintour 1845 auf Schloss Stolzenfels einkehrte, um dort mit dem europäischen Hochadel das Glas zu heben. Eine international beachtete Zusammenkunft, von der in der Ausstellung unter anderem die großzügig bebilderten Originalartikel aus den „London Illustrated News“ zeugen.
Gleich daneben wird zudem auch der Erfahrungsbericht von Wilhelm Hermann Karl Fürst zu Wied gezeigt, der sehr anschaulich über die royalen Partybräuche schreibt, dabei auch die kritischen Anmerkungen Friedrich Wilhelms IV. nicht ausspart: Der Preußen-König nämlich zeigte sich im Nachgang der Feierlichkeiten offen verstimmt über die Tatsache, dass anstelle „deutscher Gerichte“ wie Rehbock oder Lachs britische Schildkrötensuppe und Champagner aufgetischt wurden.
Rückwärtsgewandt romantisch
Für Museumsdirektor Matthias von der Bank ist letztlich auch diese kleine Anekdote ein Beleg für die „ganz unterschiedlichen Zugänge, die die Ausstellung zu dem Thema eröffnet“. Was gleichfalls auch auf die finale Sektion zutrifft, in der sich Gemälde und frühe Fotografien jeweils ähnlicher Motive begegnen. Eine aufschlussreiche Gegenüberstellung, die verdeutlicht, dass die im 19. Jahrhundert aufkommende Industrialisierung auf den (gemalten) Kunstwerken bevorzugt ausgeklammert, technische Neuerungen wie Bahnschienen höchstens angedeutet wurden.
Der „rückwärtsgewandte romantische Blick auf die Region“, sagt Kuratorin Haberland, zeige sich hier noch einmal ganz unverstellt. Ein bisschen „too beautiful“ sind zuweilen eben auch die kreativ verwirklichten Sehnsuchtslandschaften. Was die Faszination für deren reale Vorbilder zwischen Mainz und Köln allerdings bis heute kein bisschen geschmälert hat.
Die Ausstellung wird im Mittelrhein-Museum an diesem Freitag, 9. Mai, um 19 Uhr eröffnet und ist dort anschließend noch bis zum 7. September zu sehen. Weitere Infos – auch zum Begleitprogramm – unter www.mittelrhein-museum.de