Bühne Theater Koblenz startet mit Berliner Gastspiel von "It Can‘t Happen Here" in die Saison - Ein aufrüttelndes Stück
Theaterstück als Denkanstoß zur Zeit: Wenn die Demokratie in Gefahr ist
Das Deutsche Theater zeigt das Stück „It Can't Happen Here“ in Koblenz – ein Gastspiel zum Auftakt der Spielzeit, mit dem das Theater einen Beitrag zur politischen Gegenwart liefert. Es beleuchtet, wie populistische Mechanismen überhitzen und demokratische Ordnung gefährdet wird. Foto: Delcair
Arno Declair

Koblenz. Wie jüngst das Staatstheater Mainz, so startete jetzt auch das Theater Koblenz mit einer politischen Stellungnahme in die neue Spielzeit. Die Mainzer wählten für ihre dringliche Warnung vor fortschreitender Zersetzung von Demokratie und Humanismus den Interimsplenarsaal des Landtages und brachten dort Björn Bickers „Das letzte Parlament“ zur Uraufführung. Koblenz ging mit gleicher Absicht einen anderen Weg: Es lud das Deutsche Theater Berlin ein, an zwei Abenden seine Produktion „It Can‘t Happen Here“ zu spielen.

Lesezeit 3 Minuten

Das kann hier nicht passieren. Stück und Titel beziehen sich auf einen Roman von Sinclair Lewis aus dem Jahr 1935. Darin wird mit Blick auf Hitlers Machtergreifung die Möglichkeit einer ebensolchen Entwicklung in den USA der 1930er bis zum bitteren Ende einer faschistischen Diktatur durchdekliniert. Absurd? US-Schriftsteller Philip Roth hatte in seinem Roman „Verschwörung gegen Amerika“ 2004 ein ähnliches Szenario für die 1940er entworfen. Das Werk war, zwölf Jahre vor Trumps Wahl zum Präsidenten, als Warnung vor dumpf-reaktionären Potenzialen auch in der heutigen US-Gesellschaft gedacht.

Christopher Rüpings Berliner Inszenierung – dramaturgisch begleitet vom in Koblenz durch mehrere Arbeiten gut bekannten John von Düffel – fragt im aktuellen Umkehrschluss: Kann so etwas wie die Präsidentschaft Trump mit ihren nationalistischen, rassistischen, entdemokratisierenden Implikationen auch in Deutschland eintreten und schließlich im Faschismus enden? Das kann hier nicht passieren. Oder kann es doch?

Die Berliner Premiere von „It Can‘t Happen Here“ liegt ein Jahr zurück. Die darin enthaltene Zuspitzung auf die Machtergreifung durch einen Rechtspopulisten per Wahlmehrheit wirkt inzwischen nicht mehr so furchtbar überspitzt. Nachdem Deutschland sich im Bemühen um Verständnis für vermeintlich oder tatsächlich besorgte Bürger immer stärker Themen, Verlauf, Stimmung des öffentlichen Diskurses von der Provokations- und Shitstormmaschinerie des rechtsradikalen Spektrums hat diktieren lassen, wirkt das Bühnengeschehen keineswegs völlig aus der Luft gegrifffen.

Da wird ein Herr Windrip (Felix Goeser) als Präsidentschaftskandidat eingeführt. Der wendet sich in nettem Plauderton ans Publikum, wirkt wie ein aufgeschlossener, durchaus sympathischer Zeitgenosse. Als Demokrat stellt er sich vor. Intellektueller will er aber nicht sein. Bildung hat er keine und bedauert das auch nicht – außer „Herzensbildung“, davon habe er reichlich und verstehe deshalb die Sorgen des kleinen Mannes sehr gut. Sein Wahlprogramm besteht teils aus dem Versprechen auf das Ende der Reichenprivilegien und sozialen Kälte, teils aus Maßnahmen zur Wiedererlangung nationaler Größe.

Dass sein Propagandachef (Michael Goldberg) zugleich von einer künftigen Gesellschaft der Starken schwadroniert, ficht ihn so wenig an wie die argumentative Gegenrede des Journalisten Jessup (Camille Jammal). Dessen Faschismusvorwurf witzelt er erst weg, lässt den Widerspenstigen nach seiner Wahl und der dann sofortigen Verhängung des Notstands im Gefangenenlager für „Volksfeinde und Hochverräter“ verschwinden.

Für viele der Koblenzer Zuseher, die das Gastspiel mit Ovationen honorierten, mag die vordere Hälfte des Stückes der interessantere und beklemmendere Teil sein. Denn dort vollzieht sich im Gewand harmlos, ja gefällig offenherzig erscheinender, mit Musik, Gesang und reichlich Schlagwerk (an den Drums Matze Pröllochs) ausgeschmückter Unterhaltsamkeit jener allmähliche Atmosphärenwandel, der schließlich in die Diktatur des Rechtsradikalismus führt.

Niemand glaubte wirklich, dass es so kommen kann, bis es dann so gekommen ist – und sich in der zweiten, plakativeren Hälfte die bekannten Schrecknisse nationalistischer Autokratie entfalten: Unterdrückung, Folter, Krieg nebst Tyrannenwahnsinn und gegenseitiger Meuchelei unfähiger, dekadenter bis militaristischer Thron-Aspiranten.

Am Ende legt die hervorragend gespielte Inszenierung Jessups Tochter (Wiebke Mollenhauer) die Worte aus Brechts Heiliger Johanna der Schlachthöfe in den Mund: „Gegen Gewalt hilft nur Gewalt.“ Und der ärgste der Tyrannen (Benjamin Lillie als Putschgeneral) fragt ins Publikum, ob sich hier wohl einer fände, ihn zu töten. Man mag die künstlerische Metaphorik für gar zu krass halten. Aber vielleicht bleibt der Kunst nichts anderes übrig – als Warnung in gar zu krassen Zeiten.

Von unserem Autor Andreas Pecht