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Theater Koblenz: Im Wartesaal der großen Gefühle

Das Koblenzer Ballett spürt im neuen Tanzabend von Steffen Fuchs Homers „Odyssee“ zu Musik von John Adams und Richard Strauss nach¶​. Foto: Matthias Baus

matthias baus

Mögen sich heutige Künstler bei der Verarbeitung eines Großwerkes aus dem klassischen Kanon vom Original noch so weit entfernen: Solange der Rest einer Beziehung zur berühmten Vorlage existiert, wird das Publikum im neuen Werk nach den Spuren des alten suchen. Der Tanzchef des Theaters Koblenz hat sich jetzt von Homers Versdichtung „Die Odyssee“ zu einem zweiteiligen Ballett unter selbigem Titel inspirieren lassen. Also tut der Zuseher erst einmal, worauf Steffen Fuchs gerade nicht abzielt: Das Bühnengeschehen als Verbildlichung der Antikenstory betrachten.

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Es zeigt sich indes schon in der ersten Choreografie, „Die Irrfahrten“, dass das Vergeudung von Aufmerksamkeit auf einen nachrangigen Aspekt ist. Natürlich, wer seinen Homer kennt, kann hier Szenen als Begegnung mit Kirke oder den Sirenen deuten, dort Momente als Bedrohung durch die Zyklopen oder durch die Meeresungeheuer Skylla und Charybdis interpretieren.

Bezüge sind bewusst schwammig

Allerdings bleiben im Tanz Bezugnahmen auf konkrete Ereignisse in Homers Geschichte sehr vage. Denn Fuchs hat kein nacherzählendes Handlungsballett choreografiert, sondern, wie er selbst sagt, eine „Seelenreise“, deren Stationen eher Gefühlszustände, Erkenntnisse, Erfahrungen sind“.

Der mediterranen Region des Originals angelehnt, sind Meeres- und Himmelblau dominante Farben im „Irrfahrten“-Teil – von Ausstatterin Dorit Lievenbrück changierend auf ein riesiges Tuch projiziert, das sich hoch über der Bühne bis hinab in den Hintergrund wellt. Blau auch die knappen Leibchen über nackten Beinen, mit denen die 14-köpfige Compagnie kostümiert ist. Die Choreografie baut ganz auf neoklassischen Tanzstil. Und die Tänzer deklinieren mit weithin einnehmender Leichtigkeit bei gleichzeitiger Präzision ein beachtliches Figurenrepertoire durch.

Im Zentrum tanzt Arkadiusz Glebocki einen mal strammen, mal zarten, bald für Verführung empfänglichen, bald ihr widerstehenden Odysseus. Ein Mann voller Widersprüche, der es nacheinander mit mehreren Frauen zu tun bekommt: mit dem kühl berechnenden Vamptyp von Meea Laitinen; mit der quirlig-selbstbewussten Kaho Kishinami, die ihm immer wieder entgleitet; mit der ernsten Ami Watanabe. Dazwischen gibt es Männerformationen, durch John Adams‘ Musik (vom Band, aber vorab eingespielt von der Rheinischen Philharmonie) beharrlich weitergetrieben zu neuen Begegnungen.

Toller Vollklang des Orchesters

Ganz anders fällt der zweite Teil des 90-minütigen Abends aus. Er steht unter der Überschrift „Die Heimkehr“, verlässt das Reglement der Neoklassik, wird mit ausdruckstänzerisch-zeitgenössischen Tanzformen deutlich gefühlsintensiver. 23 Streicher der Rheinischen Philharmonie musizieren nun live unter Mino Marani in sehr schöner Klarheit „Metamorphosen“ von Richard Strauss. Der dabei erstaunliche Vollklang rührt nicht zuletzt daher, dass im Graben stehend gespielt wird. Diese Manier eröffnet für das Theater neue Möglichkeiten, über die zu reden sein wird.

Das Ballett erkundet vor einer Enge und Eingeschlossenheit signalisierenden Mauer die Befindlichkeit der in Ithaka über Jahre auf Odysseus und Gefährten wartenden Frauen. Den Damen in bis zum Boden fließenden roten Gewändern treten in schwarzen Hosen und weißen Hemden Männer gegenüber.

Ohne Vorinformation ist die Szenerie etwas verwirrend. Wer sind diese Männer? Man könnte an jene Freier denken, die bei Homer Odysseus‘ Palast und seine Gattin Penelope quasi belagern. Oder sind es die zurückgekehrten Kämpen – jetzt jedoch nicht mehr von Glebocki, sondern von Pierre Doncq in der Odysseus-Rolle angeführt? Oder sind sie, was im Ballett gern gemacht wird, alle Odysseus, aufgespalten in diverse Persönlichkeitsaspekte?

Letzteres kommt Fuchs‘ Ansinnen wohl am nächsten. Denn unverkennbar geht es um Wiederbegegnung nach langer Trennung, um das Überwindenkönnen oder nicht von Entfremdung. Das Erspielen alternativer Möglichkeiten wird zum berührenden wie tänzerisch beeindruckenden Höhepunkt. Sinnlich und dynamisch aufgeladene Formationen zwischen freudigem Empfang und drängender bis verschämter Annäherung stehen im Kontrast zu intimen Momenten der Verunsicherung, des Zweifels. Die Sache geht nicht gut aus – sieht man bald der selbstquälerischen Ungewissheit an, mit der Pierre Doncq in die Ferne starrend den Körper des Odysseus immer weiter verkrümmt. Andreas Pecht

Tickets und Termine unter www.theater-koblenz.de