Der arbeitslose Mike aus Deutschland fährt mit dem Auto in die vornehme Schweiz zu einer luxuriösen Villa, um dort mit einer geladenen Pistole den CEO eines Unternehmens zu überraschen. Der geschäftsführende Vorstandsvorsitzende hat eine Fusion auf den Weg gebracht, wodurch in Deutschland 200 Arbeitsplätze, unter anderem Mikes, verloren gehen, aber im asiatischen Raum 800 neue entstehen. Das nennt man Globalisierung. Diese wird von Konzernen gewollt, von der Politik forciert und von Talkshowmoderatoren überhaupt nur dann kritisch hinterfragt, wenn auf deutschem Boden Arbeitsplätze verschwinden. Schuld daran sind dann in der Regel viel, viel zu teure Arbeitnehmer und böse gierige Manager. Die Idee des Freihandels zum Beispiel wird nicht infrage gestellt – das machen nur schlimme Populisten wie Trump. Nie wird die Systemfrage gestellt, immer geht es in Talkshows nur um Sündenböcke – eben wie im „Tatort“, der zwar gesellschaftspolitisch daherkommt, aber auch nur eine Frage kennt: „Wer ist der Schuldige?“
So wundert es nicht, dass jemanden wie den arbeitslosen Mike die Wut auf die Manager packt und er in der Schweizer Villa mit einem Blutbad droht, wenn der CEO ihm nicht den gesamten Lohn auszahlt, den er, wäre er bis zur Rente in dem wegfusionierten Unternehmen angestellt gewesen, verdient hätte. Der CEO erklärt ihm zunächst einmal, dass die Summe zu gering sei, da Mike die Inflationsrate nicht berücksichtigt hat. Derweil nähern sich die Kommissare Flückiger (Stefan Gubser) und Ritschard (Delia Mayer), denn nicht zufällig wurde eine renommierte Wirtschaftsprofessorin ermordet. Die Spur führt auch in das Haus des CEOs. Ein Kammerspiel mit einer Handvoll Geiseln beginnt – irgendwann singt Johnny Cash „Oh, Danny Boy“ aus dem Off.
Spannend ist das kaum, intelligent nie. Denn anstatt die Gelegenheit zu nutzen, nun einmal ökonomische Zusammenhänge zu beleuchten, wie das großartige Hollywoodfilme („Margin Call“, „The Big Short“, „Killing Them Softly“) in den vergangenen Jahren getan haben, schreien sich die Figuren ein wenig an, machen sich gegenseitig Vorwürfe – etwa wie bei „Anne Will“. Die hilflose Botschaft am Ende lautet dann: Das Wichtigste ist doch die Familie. Rührend wie in einem Disneyfilm.
Weder die Regie noch das Drehbuch wissen mit der kapitalismuskritischen Grundlage etwas anzufangen, weil sie nur Kategorien wie Gut und Böse oder Schuld und Unschuld kennen, anstatt zu zeigen, dass sowohl der CEO als auch der Arbeitslose nur nach der Logik des Systems handeln.
Vielleicht ist das für einen Krimi zu viel verlangt, doch warum muss ein „Tatort“ notorisch große gesellschaftspolitische Fragen ansprechen, wenn er nie eine kluge Antwort darauf geben kann? Es würde doch genügen, einfach mal einen möglichst unpolitischen, unkritischen, aber guten Krimi zu erzählen. Bleiben wir in der Schweiz: Dort gibt der Kampa-Verlag gerade alle „Maigret“-Romane von Georges Simenon neu heraus. Sie könnten als Vorbild dienen.
Reporter Wolfgang M. Schmitt hat sich den neuen „Tatort“ angesehen. Sein Urteil: Überaus langatmige Pseudokritik an einer globalisierten Wirtschaftswelt.