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Tanzen, wissen, bewahren
Kooperationsprojekt „Between us/Effect“ von Mainzer Staatstheater, Hochschule und Kunsthalle führt William Forsythes „Motion Bank“ fort. Foto: Andreas Etter/Staatstheater Mainz

"Das ist die derzeit wohl am besten dokumentierte Tanzproduktion weltweit“, sagt Honne Dohrmann. Der Tanzdirektor des Staatstheaters Mainz meint nicht nur die einstündige Choreografie „Effect“ von Taneli Törmä, die jetzt in der Mainzer Kunsthalle uraufgeführt wurde. Sein Hinweis umfasst den gesamten Produktionsprozess dieses Tanzstückes: Vom ersten Ideengespräch durch sämtliche Probenphasen bis zur Premiere sind selbst die kleinsten Schritte von zahlreichen Kameras aufgenommen, von Computern in abstrakte Daten umgerechnet und abschließend in digitale Bewegungsskizzen umgewandelt worden.

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Damit findet ein 2010 in Frankfurt von William Forsythe, dem Altmeister der zeitgenössischen Tanzavantgarde, initiiertes Projekt nun in Mainz seine Fortsetzung und geht zugleich darüber hinaus. Forsythe hatte schon in den 1990ern für sein damaliges Ballett Frankfurt unter Nutzung von Computern Choreografien und ein eigenes Bewegungsrepertoire erarbeitet. 60-jährig rief er dann das Projekt „Motion Bank“ ins Leben, um Möglichkeiten der genauen Dokumentation vor allem moderner Tanzproduktionen zu finden. Die Arbeit musste 2013 unterbrochen werden, ist aber jüngst von Florian Jenett wieder aufgenommen worden.

Forschungsprojekt der Uni Mainz

Der frühere Mitarbeiter von Forsythe hat heute an der Hochschule Mainz eine Professur für Medieninformatik/Digitale Gestaltung inne und betreibt nun mit seinen Studierenden „Motion Bank“ als Forschungsprojekt weiter. Da bot sich als tänzerischer Experimentalpartner natürlich die Compagnie des Staatstheaters an. Im Sommer 2018 wurde die Kooperation zwischen Jenetts Informatikern und tanzmainz schließlich aus der Taufe gehoben. Als dritter Partner kam die Kunsthalle ins Boot. Die Idee war: Die filmische und digital-abstrakte Dokumentation der Tanzproduktion sechs internationalen bildenden Künstlern als Inspiration an die Hand zu geben. Man wollte schauen, was die daraus machen.

Die Ergebnisse aller drei Arbeitsebenen sind nun als eine Art Gesamtkunstwerk in der Kunsthalle „ausgestellt“ – zu erleben wahlweise an einem der Tage mit abendlicher Liveaufführung des Tanzstückes oder als Ausstellungsbesuch tagsüber mit Projektion des Tanzteils.

Der Rundgang beginnt mit den zu grafischen Linienmustern geronnenen Digitalaufzeichnungen der tänzerischen Bewegungen im Raum. Drei Frauen und zwei Männern von tanzmainz sind fünf verschiedene Farben zugeordnet, deren elektronische Spuren mal zu großen, mal zu kleinen Kreisen geordnet sind, mal Diagonalen, Kreuzungen oder mittige Knäuel zeigen. So hat das Tanzstück abstrakte Form angenommen, ist quasi notiert und könnte also von Choreografen auch des nächsten Jahrhunderts bis hin zu winzigen Varianten der Raumnutzung nachvollzogen werden. Der Umgang der Bildenden Künstler mit den choreografischen Mustern im Rahmen von „Between us“ ist freilich ein anderer. Isabel Lewis etwa lässt sich zu einer Videocollage über sogenannte Social Dances anregen. Darin stellt sie Grundbewegungen aktueller jugendlicher Tanzkulturen aus verschiedenen Erdteilen nebeneinander. Zilvinas Kempanis greift die in „Effect“ dominanten Kreisbewegungen der Tänzer für seine Installation auf, die im alten Turm der Kunsthalle in zehn Meter Höhe aufgehängte schimmernde Bänder vor wechselfarbiger Umgebung wild rotieren lässt.

Während Tamara Grcic zwischen Teppichrollen via 16-Kanal-Soundinstallation das Atmen, Stampfen, Gehen, Rennen der Tänzer zum Audiowerk zusammengeschnitten hat, erweist sich Tim Etchells auf der visuellen Ebene als sehr genauer Beobachter. Er hat Eigenarten des Tanzgeschehens in Worte gefasst und diese als Neon- und Sperrholzschriftzüge in jenem Raum platziert, wo die Tänzer auf einer Fläche von acht mal acht Metern „Effect“ aufführen.

Muster entdeckt, wer genau schaut

Auf den ersten Blick scheint die Choreografie sehr schlicht. In Wanderschuhen und Alltagsklamotten ziehen die fünf im Gehen ungeordnete Kreise. Doch bei genauerem Schauen und in Erinnerung an die eingangs gesehenen grafischen Digitalabbilder der Bewegungen, werden bald Muster erkennbar, auch beschleunigen und verdichten sich Abläufe schließlich zu einer atemlosen Hatz durch Konstellationen der Zuwendung, der Orientierungssuche, des Streitens, Schiebens, Ringens oder Fliehens.

„Effekt“ ist eine Tanzarbeit mit faszinierenden Aspekten gerade im Kleinen. Sie macht zugleich deutlich, dass selbst die zur Dokumentation verwendeten modernsten Motion-Capture-Techniken im Verhältnis zum vielschichtigen Ausdrucksvermögen des Tanzes noch ihre Grenzen haben. Die Tanzkunst sagt mehr, als die Technik festhalten kann. Andreas Pecht

Die Ausstellung „Between us“ ist bis zum 16. Juni in der Kunsthalle Mainz zu sehen, Informationen unter www.kunsthalle-mainz.de, Tickets und Termine für die Vorstellungen von „Effect“ in der Kunsthalle sind erhältlich unter Tel. 06131/285 12 22 sowie unter www.staatstheater-mainz.de