Symbolfiguren ziehen seit jeher Hochachtung und zugleich Hass auf sich
Symbolfiguren ziehen seit jeher Hochachtung und Hass auf sich: Der Greta-Effekt ist nichts Neues – eine Analyse
Greta Thunberg (Mitte) bei Klimaprotesten in Kanada: Für die einen ist sie eine Heldin, die endlich Bewegung in die Klimapolitik gebracht hat, für viele andere ist die 16-Jährige dagegen eine Hassfigur.
dpa

An Greta Thunberg scheiden sich die Geister. Die inzwischen weltbekannte 16-jährige Aktivistin aus Schweden gilt den einen als mutige Streiterin und Hoffnungsträgerin im Kampf gegen den Klimawandel. Andere feinden sie an als besessene Radikale, gar als „Ökofaschistin“, die der Menschheit ihre Vorstellung vom richtigen Leben aufzwingen wolle. Eine dritte Strömung sieht in dem Mädchen vor allem ein von Eltern und Hintergrundmächten um des Profit willens missbrauchtes, krankes Kind, das selbst gar nicht wisse, was es sagt und tut. Einerseits also Hochachtung bis teils hin zur Verehrung, andererseits Ablehnung bis hin zum blanken Hass.

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Ist diese extreme, sich auf eine einzelne Person kaprizierende Polarisierung ein spezielles Greta-Phänomen? Oder ist sie womöglich ein erst im Internetzeitalter typisch gewordenes Symptom? Ein Blick in jüngere wie ältere und sehr alte Vergangenheit spricht eher gegen beides. Denn die Geschichte steckt voller Fälle, in denen Symbol- oder Galionsfiguren auf gesellschaftlichen Wandel abzielender Bewegungen völlig gegensätzliche heftige Reaktionen hervorriefen. Interessant daran war und ist fast immer: Während es auf Seiten der Anhänger eine gewisse Neigung zur Idealisierung ihrer Ikone gibt, zünden die Gegner ein Bombardement an Gerüchten, Verdächtigungen und meist mehr als minder üblen Nachreden, das es vor allem auf die Diskreditierung der betreffenden Person abgesehen hat.

Das Muster ist immer gleich

Schon 70 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung hatte das antike Rom vibriert wegen „Nachrichten“ über die vermeintlichen Schreckenstaten eines Sklavenaufstandes im südlichen Italien unter Führung eines gewissen Spartacus. Die Wahrheit über diese für die damalige Zeit enorm diszipliniert verlaufende Rebellion – Plünderungen etwa hatte Spartacus streng verboten – und ihr politisches Potenzial wurden begraben unter überwiegend unzutreffenden Gerüchten über die „Barbarei“ der handelnden Personen. 1500 Jahre später verbreitete die vatikanische Propaganda, Martin Luther sei mit dem Teufel im Bunde und Thomas Müntzer so etwas wie ein Kannibale. Viele Zeitgenossen haben das geglaubt.

Das Muster ist bis heute immer das gleiche. Rosa Luxemburg wurde von der rechtsreaktionären Presse als potenzielle Zerstörerin heiliger deutscher Werte und schließlich „Vaterlandsverräterin“ gegeißelt. Passend dazu, beschimpften die entsprechenden Kreise die Frau sowohl als übergeschnappt wie als „Liebknecht-Flittchen“ und „Kommunisten-Hure“. Nicht viel anders erging es 2011 der chilenischen Studentin Camila Vallejo, der als gewählter Vorsitzender des nationalen Studentenverbandes eine zentrale Rolle bei den damaligen großen Protesten in Chile zufiel.

Die seinerzeit 22-Jährige hatte obendrein quasi das Pech, dass sich bei ihr Klugheit und äußere Schönheit vereinten. Weshalb ihre Gegner bald kaum mehr ein Wort über die Forderungen der Studierenden verloren, sondern gegen die angebliche politische Verführung mittels Sexappeal agitierten. Das entspricht in etwa dem ebenfalls immer wieder zu hörenden Vorwurf gegenüber Greta Thunberg, mit ihrem kindlichen Aussehen und ihrer Krankheit – sie hat das Asperger-Syndrom, eine Variante des Autismus – würde gezielt Massenbeeinflussung betrieben.

Von Gandhi bis Mandela

Ein Blick noch auf die Polarisierung im Umgang mit renitenten Männern jüngerer Geschichte. Von US-Bürgerrechtler Martin Luther King hieß es im rechtskonservativen Teil des weißen Amerikas, er stünde im Sold der Sowjetunion und sei sowieso nur ein „bigotter Hurenbock“. Über Mahatma Gandhi sprach die Kolonialpresse lange als Verrückten, der sich zum Gott erheben wolle. Nelson Mandela galt den Apartheidsanhängern über Jahrzehnte als gegen jedermann rücksichtsloser blutrünstiger, machthungriger, kommunistischer Terrorist. Gut in Erinnerung ist auch das Trommelfeuer gegen Rudi Dutschke, diesen „Polit-Gammler“ und „Volksfeind Nummer eins“, der „vergast“ gehöre.

Dass die Mehrzahl der genannten Symbolfiguren selbst nie als Führer, Ikonen oder gar Heilige der von ihnen motivierten Bewegungen gesehen werden wollten, hinderte viele Anhänger und Gegner nie daran, sie als genau solche zu betrachten. Die Neigung zur positiven, erst recht zur negativen Ikonenbildung ist wohl seit jeher ein menschlicher, mithin verständlicher Zug.

Das Elend daran ist allerdings, dass über die Fixierung auf einzelne Persönlichkeiten das eigentliche Anliegen der Bewegungen selbst aus dem Blickfeld zu geraten droht. Weshalb, um auf Greta Thunberg zurückzukommen, plötzlich ein Meinungskrieg bloß noch um die Person Greta geführt wird – statt ums Vorwärtskommen beim Klimaschutz zu streiten, wie es die Betroffene stets und ständig fordert.

Von unserem Autor Andreas Pecht