Dass der Junge, der einst auf einem Schulhof in Ghanas Hauptstadt Accra seine ersten musikalischen Gehversuche unternahm, heute zu den vielversprechendsten Künstlern des Genres zählt, ist auf den ersten Blick kaum auszumachen. Äußerlich fällt Jae Ghost, mit bürgerlichem Namen Kwesi Ubochioma Adu, zunächst einmal nur aufgrund seiner Größe auf. Extrovertiertes Auftreten und teure Modeaccessoires – ansonsten gern gesehene Ausdrucksmittel in der Szene – sucht man bei ihm hingegen vergebens. Wenn er spricht, dann lieber über und – vor allem – durch seine Musik. „Ich verarbeite in meinen Songs sehr viel, rede auch über meine Familie, teile mein Leben“, sagt der Rapper. „Wenn du etwas über mich wissen möchtest, dann hör dir am besten meine Lieder an.“ Es sind sorgsam gewählte, bedächtige Worte – wobei der Weg dorthin ein weiter war.
Schlechte Noten, falsche Freunde
„Ich war kein gutes Kind, habe viel Mist gebaut“, blickt Jae Ghost heute auf die Anfänge seiner Geschichte in Bonn zurück. Der 32-Jährige, Sohn einer nigerianischen Mutter und eines ghanaischen Vaters, spricht von einer „harten Zeit“. Er sei nicht gut in der Schule gewesen, habe die falschen Freunde gehabt. „Meine Eltern hatten irgendwann genug von meinem Verhalten und meinten: ,Bevor du dein Leben ruinierst, schicken wir dich lieber weg von hier.‘“ Mit 13 geht es für Jae Ghost daraufhin zunächst zu Verwandten nach London, mit denen er sich jedoch ebenfalls überwirft, ein Jahr später dann weiter nach Ghana, wo er die Highschool besucht und später ein Studium in Maschinenbau abschließt.
Das Heimatland seines Vaters war für den 32-Jährigen allerdings nicht nur wegen seines schulischen Werdegangs von Bedeutung: „In Ghana wirst du überall mit Rap konfrontiert, da kommst du nicht drum rum“, betont Jae Ghost. Er selbst habe zunächst Texte seiner Idole rund um Jada Kiss, Nas oder Jay-Z ausgedruckt und auswendig gelernt. „Eines Tages meinte dann ein Freund zu mir, ich könne diese Songs so gut vortragen, und fragte, ob ich nicht versuchen wolle, selbst etwas zu schreiben.“
Und Jae Ghost will. Er nimmt in der Folge regelmäßig an Rap-Battles auf dem Schulhof teil, irgendwann auch an vergleichbaren Veranstaltungen mit bekannten ghanaischen Künstlern in der Stadt. „Ich war nicht der Beste, wurde auch öfter mal gekillt“, erklärt er. „Aber wenn du diese Leute battlest, gegen sie gewinnst, machst du dir einen Namen.“
2014 erscheint in Kooperation mit einem Freund schließlich das erste Tape des 32-Jährigen, wobei Jae Ghost betont: „Das war damals alles noch nicht ernst, eher eine Art Hobby. Ich wusste zu dieser Zeit noch nicht, dass ich gut im Rappen bin.“ Doch das ändert sich schon bald nach seiner Rückkehr nach Deutschland. In Koblenz trifft der Künstler 2015 durch einen Zufall Nurhak Yildiz, einen Produzenten, der damals bereits mit dem Gedanken spielt, ein eigenes Label zu gründen. „Nurhak hat mich zu einem professionellen Künstler geformt, er wusste, wie er meine Fähigkeiten am besten zur Geltung bringt“, erklärt Jae Ghost.
Yildiz selbst erinnert sich: „Als ich ihn kennengelernt habe, war er wie ein ungeschliffener Diamant, aber man hat bereits erkannt, dass er nicht wie die anderen ist. Er ging nicht in die Schiene ,Ich bin der Größte und mach euch platt‘, hatte zudem einen besseren Flow, war authentisch und arbeitete anders mit den Beats.“ Yildiz bringt Jae Ghost in der Folge dazu, intensiver mit seiner sanften Stimme zu arbeiten, unterlegt seine Texte mit instrumentellen Beats, die teilweise schon Singer-Songwriter-Anleihen aufweisen.
„Ich wollte musikalisch experimentieren, ohne ihm seine Inhalte wegzunehmen“, erklärt der Overtone-Music-Labelchef. Jae Ghost habe damals schlichtweg noch nicht den perfekten Sound für sich gefunden. „Er war noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, musste erst mal herausfinden, wo er hin will“, betont Yildiz, der diesen Findungsprozess – zumindest in künstlerischer Hinsicht – mit der Veröffentlichung von Jae Ghosts erster EP „Beautiful Chaos“ (2018) vorerst abgeschlossen sieht. Und in der Tat wirkt der Sound der Platte ausgefeilt, Jae Ghosts Texte mal nachdenklich, fast philosophisch, dann wieder rhythmisch-kraftvoll.
Nadja Geller, Musikkauffrau und bei Overtone Music für die Promotion zuständig, charakterisiert den Stil des Künstlers als „tiefgründig und von vielen Wortspielen geprägt“. Gleichzeitig gebe es aber auch Songs in Richtung Trap oder Klubbanger – und genau diese musikalische Vielfalt sei das Bemerkenswerte. „Ich gebe den Leuten Schmerz, Party, Nachdenkliches, das ganze Paket“, definiert indes Jae Ghost selbst seinen Stil. Ihm sei wichtig, in seiner Musik auch kritische Töne anzuschlagen, „aber ich will nicht nur über Probleme reden, davon hat jeder selbst genug“.
Für den angestrebten Facettenreichtum ist „Beautiful Chaos“ dabei zweifellos ein gutes Beispiel, allerdings stellt die EP lediglich die erste von mehreren bemerkenswerten Veröffentlichungen dar: 2019 folgt mit „The Last Laugh“ bereits Jae Ghosts nächste Platte, im Oktober dieses Jahres erscheint dann die Singleauskopplung „It's Getting Spooky“ aus dem für Anfang 2021 angekündigten Album „All of a Sudden“.
Feature mit dem „Gott des Raps“
Angesprochen auf diesen Track, gerät Jae Ghost ins Schwärmen – was kaum verwundert, immerhin nahm der 32-Jährige den Song mit seinem großen Vorbild, der US-amerikanischen Rapperlegende Jada Kiss, auf. „Ich hätte das nie für möglich gehalten“, sagt Jae Ghost euphorisch. „Jada Kiss ist für mich der Gott des Raps, und auf einmal will er mit mir gemeinsam etwas aufnehmen, das ist nicht normal.“
Dabei beginnt die Vorgeschichte zu dieser beachtlichen Zusammenarbeit ganz unscheinbar: mit einem Instagram-Beitrag, in dem Jada Kiss Künstler dazu aufruft, Raps zu einem vorgegebenen Beat zu posten. 4000 Rapper beteiligen sich an dem Wettbewerb, auch Jae Ghost versucht sein Glück – und gewinnt. „Als ich gesehen habe, dass Jada Kiss meinen Track ausgewählt hat, dachte ich, ich träume“, erklärt der 32-Jährige. Doch damit nicht genug: Der New Yorker Rapper schreibt Jae Ghost kurz darauf sogar an, lobt ihn für sein Talent und regt einen gemeinsamen Song inklusive Musikvideo (erscheint am Freitag auf YouTube) für Jae Ghosts Platte „All of a Sudden“ an.
„It's Getting Spooky“, so der Name des Stücks, bietet dabei bereits einen ersten Vorgeschmack auf das kommende, elf Songs umfassende Album, das „weitere namhafte Features“ bereithalte, wie Geller betont, ohne vorab Näheres verraten zu wollen. Nur so viel: „Der Sound ist sehr solide und direkt, die Platte international und im Stil gewohnt vielschichtig.“ Und was meint der Künstler? „Ich denke, das Album wird polarisieren, entweder du magst es oder nicht“, sagt Jae Ghost, um dann doch noch für einen kurzen Moment seine wohltuende Zurückhaltung abzulegen: „Mein Ziel ist ganz klar, die Musik dahin zu bringen, dass sie meine Rechnungen bezahlt.“ Stefan Schalles
„All of a Sudden“ soll im Februar 2021 erscheinen und in der Folge auf Vinyl sowie digital bei den gängigen Streamingplattformen erhältlich sein.