Das Staatstheater Mainz eröffnete am Wochenende die Spielzeit 2017/18 mit der Uraufführung einer Produktion namens „Der siebte Kontinent – Reise zur größten Mülldeponie der Erde“. Auf der Kellerbühne U17 für kleines Publikum angesiedelt, würde man der 70-minütigen Collage doch gern massenhaft Zuseher wünschen. Denn die Sache, die da von drei Akteuren vor und zwischen Filmsequenzen verhandelt wird, ist sehr ernst, geht alle an.
Artefakte aus Plastik
Wie sagt sinngemäß Lilith Häßle, die Frau im Schauspielertrio, die seit ihrer Geburt in Kunststoffe gekleidet ist, mit Plastik spielte, inmitten von Plastik lebt: Sollten in ferner Zukunft Archäologen einer anderen Spezies die Hinterlassenschaft des Homo sapiens untersuchen, würden sie allüberall bloß auf Artefakte aus unverwüstlichem Kunststoff stoßen, von Tüten und Flaschen bis zu Autos, Möbeln und Silikonbrüsten.
„Der siebte Kontinent“ ist ein Gemeinschaftsprojekt des Kölner Theaters am Bauturm und des Mainzer Staatstheaters. Sie ermöglichten Regisseur Jan-Christoph Gockel und dem kleinen Ensemble Anfang 2017 eine Reise nach Hawaii. Dort konfrontierten sich die Künstler mit Kamilo Beach, jenem Dreckstrand, an den die Strömung Auswürfe anschwemmt von einem Plastikmüllstrudel im Pazifik so groß wie Indien. Solche Plastikstrudel gibt es etliche in den Ozeanen, wegen ihrer gewaltigen Ausdehnung werden sie „siebter Kontinent“ genannt.
Zehn Tage beteiligte sich das Theaterteam auf Hawaii am letztlich vergeblichen Reinigungsbemühen von Kamilo Beach. Wissenschaftler demonstrierten ihnen dort an Mägen von jämmerlich verreckten Albatrossen, was die Vögel an Plastikteilen fressen, die sie irrtümlich für Nahrung halten. Die Methode der eigenen Konfrontation mit den Verhältnissen vor Ort hat Gockel bereits in Afrika für seine früheren Bühnenprojekte „Kongo Müller“ sowie „Coltan-Fieber“ angewandt. Die Realität selbst erleben und mit Künstleraugen betrachten, dann die Eigenerfahrung mit zurückbringen und fürs Theater bearbeiten: Bei „Der siebte Kontinent“ entstand daraus eine Mischung aus filmischer Dokumentation der Hawaii-Reise und Bühnenspiel. In dessen Mittelpunkt steht eine wirkmächtige Inszenierungsidee: Gockel lässt den in Schwarzlatex gewandeten Sébastian Jacobi als Personifizierung von Plastik auftreten, quasi als Gott des Kunststoffs. Die Janusköpfigkeit der modernen Kunststoffkultur wird nun als Hassliebe zwischen der Frau und diesem Herrn Plastik gefühlsintensiv ausgespielt. Sie beschimpft ihn als unsterblichen Umweltverdrecker und Tiermörder, als aufdringlichen und billigen Langweiler, der alles Echte und Schöne verdrängt. Sie will sich von ihm trennen und startet einen Selbstversuch mit verpackungslosem Einkauf – kommt an Plastik aber nicht vollends vorbei. Er verteidigt sich: „Ich bin alternativlos, bin Natur, nur besser. Ich bin grün, denn Plastik ist ein Wertstoff“, wenn es recycelt wird. „Ihr seid verantwortlich!“, sagt er, euch demgemäß zu verhalten und es der sogenannten Dritten Welt beizubiegen.
Nachdenklich stimmender Abend
Pietsch – im Ensemble auch zuständig für Puppenbau und Marionettenspiel – hat aus Müll vom Kamilo Beach ein Albatrossjunges gebaut. Wie Häßle das an Fäden geführte, erst kränkelnde, dann sterbende Geschöpf zart umsorgt, schließlich beweint, gehört zu den anrührendsten Szenen des klugen und sehr nachdenklich stimmenden Abends. Umso härter wirkt der jungen Frau Weiterdenken zum Ende: „Ich lehne die Verantwortung für das Recycling ab!“
Der Kapitalismus, empört sie sich, überschwemmt die Welt mit Plastikkram und verdient Milliarden daran. Die Folgen soll die Allgemeinheit ausbaden – auf dass per Recycling ein weiteres Geschäftsfeld erblühe. „Ruanda hat Plastiktüten verboten.“ Vielleicht müsse es erst noch schlimmer werden, bevor die Menschen hier gegen das Plastik zu Felde ziehen, wie sie es gegen die Atomkraft getan haben.
Termine und Karten unter Telefon 06131/285 12 22 und www.staatstheater-mainz.com