München
Sehenswerter Polizeiruf: Die Wucht der gekränkten Liebe
Christian Schulz

München. Für den aktuellen Polizeiruf 110 (Sonntag, 28. Juni, 20.15 Uhr, ARD) hat Regisseur Andreas Petzold, einer der renommiertesten zeitgenössischen Autorenfilmer, erstmals eine Kriminalgeschichte umgesetzt. Unser Redakteur Christian Kunst hat sich den Krimi vorab angesehen und ist begeistert. 

Christian Schulz

Es ist einer dieser Momente, die über den Augenblick hinaus nachklingen. Im Büro des Münchner Hauptkommissars Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) sitzen er und seine neue Kollegin Constanze Hermann (Barbara Auer) vor zwei Monitoren, auf denen sie Videoaufnahmen ihres aktuellen Tatorts verfolgen. Da übertönt plötzlich klassische Musik ihr Gespräch. Von Meuffels erklärt der Kollegin, dass der Pförtner laut Klassik hört. Und keinen stört es, sagt er und fügt hinzu: „Bei Klassik gibt es einen merkwürdigen Respekt.“

Ohne großes Brimborium

So ist es auch mit dem aktuellen „Polizeiruf“. In „Kreise“ erzählt Regisseur Andreas Petzold, einer der renommiertesten zeitgenössischen Autorenfilmer, eine klassische Kriminalgeschichte, die man an einem Sonntagabend fast nicht mehr erwartet hätte. Petzold inszeniert klassisch verwoben, verschachtelt und doch so klar. Er verzichtet auf all das Brimborium, all die Gefühlsduselei, die zur Schau gestellte Komik, die mittlerweile zum Standardrepertoire vieler „Tatort“-Krimis gehören. Stattdessen regieren das Understatement – brillant verkörpert von Brandt und Auer -, die feinen Gefühlsnuancen, der Wortwitz, der die Anspielung, die Metapher liebt. Das alles ist ein kunstvolles Kammerspiel und doch so lebensnah.

Der Fall der Münchener Ermittler ist nur auf den ersten Blick einfach: Eine reiche Unternehmerin und ihr Schoßhündchen, nach dem sie tatsächlich ihre Möbelfirma benannt hatte, werden im Wald ermeuchelt aufgefunden. An Tatverdächtigen mangelt es nicht: Die Ermordete wollte ihren Betrieb verkaufen – zum Unmut ihres Ex-Manns Peter Brauer (Justus von Dohnányi) und ihrer Mitarbeiter, die den Verlust ihrer Jobs fürchten. Oder war es der Sohn? Oder die Geliebte des Ex-Manns? Das Fatale für die Ermittler ist: Alle haben ein Alibi. Doch wer lügt?

Petzold geht es in seiner „Polizeiruf“-Premiere nicht um das Blutige, um rasante Handlungswechsel oder Verfolgungsjagden. Er lässt von Meuffels und Hermann nach dem Motiv für die Tat fahnden. Bei dieser Suche tauchen die Ermittler und mit ihnen die Zuschauer in die Gefühlswelten der Hauptverdächtigen ein, in die Tragik ihres Seins. Es sind oberflächlich gesehen handlungsarme Sequenzen, wenn von Meuffels den Ex-Ehemann Brauer im Verhör nicht zuerst nach seinem Alibi befragt, sondern nach seinem Leben an der Seite der hübschen, aber eiskalten Gattin.

Doch tatsächlich entspinnt Petzold in diesen Szenen ein Panoptikum von Gefühlen und Charakteren einer Mittelstandsfamilie, die symptomatisch scheint für den Abstieg von Teilen des deutschen Bürgertums. Die Familie ist zerrissen zwischen dem nüchternen Profitdenken der Firmenchefin und Brauers als nutzlos geltender Liebe für das Kreative, das liebevolle Kreisen um seine Holzmodelle. Brauers Lieblingsfilm handelt von einem nichtsnutzigen französischen Möbelfabrikantenerben, der seine Liebe zu dem Betrieb entdeckt. Der Erbe erfindet Aufträge, lässt Möbel herstellen, die er daraufhin im Wald verbrennt. Das Geld für den Betrieb beschafft er aus Bankrauben. Wenn Liebe zur Anarchie verleitet. Verleitet sie auch zum Mord?

Taten der Vernachlässigten

Regisseur Petzold selbst sagt zu seinem Krimidebüt: „Es heißt ja, dass die Menschen Polizisten und Detektive im Kino und im Fernsehen so lieben, weil sie in alle Privaträume, auch in die verschlossensten, in die der Reichen und Armen, der Schönen und Verblühten, hineingelangen und wir uns dort mit ihnen aufhalten und umschauen können. Die Polizisten und Detektive finden hier die Taten der Gekränkten, der Vernachlässigten, der Neider, der Leidenschaftlichen und Erkalteten. Ihr Schicksal aber ist, dass sie selbst niemals verbrecherisch und leidenschaftlich sein dürfen. Sie gehen herum in den Tragödien anderer.“ Es ist Petzolds große Stärke, dass er den Zuschauer auf diese Wanderung in die Tragödien mitnimmt.

Fazit: Ein Krimi-Meisterwerk, grandiose Schauspieler, toll erzählte Geschichte.