Ein Dialog zweier junger Männer. Sagt der eine über seinen ersten Job: „Praktikum. Und du?“, erwidert der andere: „Ich mach’ ’n asoziales Jahr bei der Deutschen Bank“. Aua, der bissige Seitenhieb auf die krummen Geschäfte der Banker sitzt gekonnt beim Kaikaturisten Polo. Aber der kann auch anders. Ein altes Mütterchen mit der starken Brille ist sehr besorgt: „Gott. Sie sehen ja schrecklich aus. Kommen Sie erst mal rein.“ Der Fremde, den die Frau so unbekümmert hereinbittet, ist freilich unschwer als Gevatter Tod zu erkennen, in einen dunklen Umhang gehüllt und mit Sense in der Hand. Aber vielleicht gewährt er der Frau noch einen Zeitaufschub, bevor er sie mitnimmt, da sie sich rührend um ihn kümmert.
So liebevoll zeichnete André Poloczek, kurz Polo genannt, einen Cartoon über den Tod. Und der unbestechliche Blick des Wuppertaler Zeichners fehlt seit 2022, als Polo mit nur 62 Jahren starb. Ein Großteil seines Nachlasses erhielt das Frankfurter Caricatura-Museum, ganz im Sinne von Martin Sonntag, der im Januar seinen Freund Achim Frenz als Museumschef ablöste. Jetzt ist in Frankfurt die erste große Retrospektive Polos zu sehen, von den Kuratoren Nele Metzig und Max Christian Graeff thematisch gegliedert nach Alltag, Religion, Politik und Philosophie – darunter vielerlei Zeichnungen, Gemälde, Werbegrafiken und kleine Spielereien.
Liebevolle Spötteleien
Noch bevor Polo das Abitur in der Tasche hatte, erschienen erste Comics und Cartoons aus seiner Hand in der heimischen Lokalzeitung. Aber erst nach dem Germanistik- und Soziologie-Studium fand er wieder zur komischen Kunst zurück. „Anton von de(r) Gathe“ hieß sein knollennasiger Held einer lange laufenden Comicserie. Schon 1989 wurde Polo ein Zögling der „Neuen Frankfurter Schule“ (NFS), nach einem Zeichenkurs bei F. K. Waechter; ab 1990 besuchte er Kurse bei Waechters Kollegen F. W. Bernstein.
Ähnlich wie Bernstein bevorzugte auch Polo die liebevollen Spötteleien; er legte sich auf keinen Stil fest und wechselte Technik und Zeichenstifte gerade so, wie es passte. Und zum Zeichnen oder Malen taugt fast jeder Untergrund, wie die Schau an etlichen Experimenten zeigt. Einige Striche, Punkte und Tupfer, ergänzt von Umrissen und Schraffuren – fertig war das Motiv, dann folgte die Kolorierung oder ein wenig Tusche.
Polo war erfrischend albern, seine Kunst oft saukomisch: Da kommt ein junger Rockmusiker ins Hotel und kündigt an, ein Zimmer verwüsten zu wollen, damit seine Karriere durchstartet. Und während eine Frau im Museum ein Mosaik aus dem dritten Jahrhundert nach Christus still bewundert, meint ihr Begleiter, offenbar schon ganz im digitalen Sehen verwurzelt: „Boah! Krass verpixelt!“
Da lässt man Polo sogar seinen „Makel“ durchgehen: „Auch Sachen, die ich in finster künstlerischer Absicht gemacht habe, gerieten für Betrachter immer ins Komische. Diesen Defekt habe ich zum Beruf gemacht.“ Stimmt, Gott sei Dank. Immerhin schafft es Polos Sensenmann bis zu Gott persönlich. Doch der schleudert ihm ein wütendes „Du spinnst wohl!“ entgegen. Aufruhr im Himmel – schöner blödeln geht nicht.
Bernsteins Selbstbetrachtungen
Das setzt sich im ersten Obergeschoss fort mit drei kleineren Ausstellungen. Die Erste ehrt Hans Traxler zum 95. Geburtstag, den letzten lebenden Mohikaner der fünf NFS-Gründer, der bis heute emsig zeichnet. Jetzt sind herrliche Blätter aus dem Buch „Wie die Malerei verschwand“ zu sehen. In dieser satirischen Kunstgeschichte zerfrisst eine Riesenmotte im Jahr 2048 die Leinwände in den Museen, bis alle Bilder kaputt sind. Und da keine Akademie mehr das klassische Malen lehrt, muss die Menschheit fortan ohne Gemälde auskommen – Traxler, der einst selbst Kunst studiert hat, rechnet mit dem Betrieb ab.
Die zweite Schau knüpft an die Polo-Retrospektive an, wo schon Postkarten von F. W. Bernstein zu finden sind, der täglich mehrere Karten bekritzelte und an Freunde verschickte. „Einmal Nofretete sein“ betitelte Bernstein träumerisch sein Selbstbildnis im passenden Outfit; später schreibt er verzweifelt über sein zerfleddertes Porträt „Kann’s doch selber nicht“. Obwohl er ein bescheidener Mensch war, wie Kurator Tom Kronenberg berichtet, arbeitete er sich unentwegt am eigenen Bildnis ab, da er sich selbst am besten kannte. Die dritte Schau ist König Fußball gewidmet – am 24. Juni startet ja die Europameisterschaft. Bis auf Robert Gernhardt kritzelten die anderen vier „NFS“-Gründer allerlei Blödeleien um den Ball herum – das ist allemal einen Lacher wert.
Die Polo-Schau ist noch bis zum 1. September zu sehen, die drei kleinen bis zum 4. August. Weitere Infos gibt's hier.
Was der neue Leiter des Caricatura-Museums ändern will
„Alles wird anders, alles bleibt gleich“, verrät Martin Sonntag. Der neue Leiter des Frankfurter Caricatura-Museums stellt das Haus etwas anders auf. Nach wie vor bleibt es ein Hort für die Neue Frankfurter Schule (NFS) um die Gründer F. W. Bernstein, Robert Gernhardt, Chlodwig Poth, Hans Traxler und F. K. Waechter, da Frankfurt „seit 1848 die Bundeshauptstadt der komischen Kunst ist“. Logischerweise sei die Caricatura dann das Kanzleramt, fährt Sonntag grinsend fort. Der 55-Jährige kann also über seinen Job lachen, obwohl ihm der plötzliche Tod seines Vorgängers Achim Frenz sehr naheging, der vom Jahr 2000 an das Haus und die Sammlung aufbaute. Im Januar hat Martin Sonntag den Stab übernommen; zuvor hatte er in Kassel die Caricatura-Galerie geleitet, als Frenz nach Frankfurt ging.
Sonntag behält organisatorisch vieles bei, aber inhaltlich setzt er mehr auf „die Kinder und Cousins, Enkel und Urenkel der Komikschule“. Dafür wird die erste Etage umgebaut, die auch künftig den fünf Gründern gewidmet ist. Die Kabinette allerdings werden zugunsten eines großen Saals aufgelöst, da die Sammlung gewachsen und es an der Zeit sei, nachfolgende Generationen zu präsentieren. Ein neues Kabinett für Talente oder aktuelle Themen soll für mehr Dynamik sorgen und auch das jüngere Publikum stärker anziehen.