Jean Paul Sartres Klassiker des Existenzialismus funktioniert als Puppentheater am Theater Koblenz ausnehmend gut
Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ als Club der Teufelinnen in Koblenz
Hoch konzentriertes Puppenspiel mit Odile Pothier (Garcin, von links), Anastasiia Starodubova (Estelle) und Svea Schiedung (Inès). Foto: Arek Glebocki
A.Glebocki

Koblenz. Die Hölle, das sind die anderen: So lautet der berühmte Satz gegen Ende des Dramas "Geschlossene Gesellschaft" von Jean Paul Sartre - eine außergewöhlnliche Neuproduktion der Puppentheatersparte feierte jetzt am Koblenzer Theater Premiere.

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Es war in den vergangenen Jahren ein bisschen ruhig geworden um Jean Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“. Die Grundkonstellation, dass drei einander wildfremde Menschen in die Hölle kommen, dort in einem ungastlichen Zimmer vermutlich auf ewig gemeinsam eingepfercht und einander ausgeliefert sind, mag – ebenso wie die vergleichsweise offensive Homosexualität einer der beiden Frauen – zur Uraufführung 1944 noch viel Zündstoff enthalten haben. Was aber sagt sie uns heute, in Zeiten, in denen sich Menschen freiwillig wochenlang in Container sperren und rund um die Uhr von Kameras betrachten lassen? „Die Hölle, das sind die anderen“ – der bekannteste Satz des Dramas trifft auch in den heutigen Aufführungen noch zu. Wie etwa am Theater Koblenz, wo sich die Sparte Puppentheater des Stücks angenommen hat.

Was zu interessanten Grundüberlegungen einlädt: Das Spiel von Mensch und Puppen, von Führendem und Geführtem, ist reizvoll im Hinblick auf den existenzialistischen Ansatz Sartres. Denn die Fragen: „Wo sind wir eigentlich? Wer stellt hier was mit wem an?“ – sie sind dem Stück wie auch dem Puppentheater immanent.

Davon ausgehend, könnte man die Frage nach Gott stellen – schließlich stellt die „Geschlossene Gesellschaft“ mit ihren drei „Insassen“ und der einführenden Dienerfigur eine Hölle vor. Und da hier ausschließlich Menschen gelandet sind, die – wie nach und nach enthüllt wird – den Tod anderer verschuldet haben, scheint das Grundgerüst von Gut und Böse, Gott und Teufel hier vordergründig noch Bestand zu haben.

Nun stehen im Puppentheater bekanntlich Menschen hinter dem Spiel – und somit automatisch Wesen, die das Schicksal lenken. Und so, das legen auf der kleinen Koblenzer Probebühne 2 unter dem Theaterdach schon Frisur und Make-up nahe, sind hier möglicherweise drei Teufelinnen am Werk, die die vorgeschriebene Tortur der Verdammten absolvieren. Entlang vorgegebener Handlungsabläufe („Heizung!“) wird beispielsweise die Temperatur immer schön höllisch gehalten.

Genauer wird die Verortung dann – glücklicherweise – in der Inszenierung von Jochen Menzel nicht mehr. Er vertraut auf den Text und seine drei Spielerinnen – und das mit Recht. Odile Pothier (Garcin), Svea Schiedung (Inès) und Anastasiia Starodubova (Estelle) haben den umfangreichen Text sehr gut vorbereitet, betonen die Komödienanteile des Stücks, ohne zu überziehen.

Technisch faszinierend: Wie bei zahlreichen Schauspielinszenierungen der vergangenen Jahre wird die Handlung vom Bühnentisch per Kamerabild auf einen vergrößernden Bildschirm übertragen. Der Kniff macht auch auf den hinteren Reihen sichtbar, dass die beeindruckend detailreichen Tischpuppen (Puppenbau: Peter Lutz) ihre Lippen bewegen können. Aufgenommen von der Kamera, vergrößert und mit einem „höllischen“ Rotfilter versehen, ergibt das einen hochinteressanten Effekt.

Und natürlich kann eine Produktion des Puppentheaters all das nutzen, was nur Puppen können: Schwerkraft überwinden, ganz und gar unnatürliche Verrenkungen und Artistik vollführen – und, einmal abgestellt, eben auch jegliches Leben verlieren. Am Ende dieser sehr konzentrierten Produktion zeigt ein kleiner geschmückter Tannenbaum vor dem Stillleben einer blutig beendeten Kampfszene: Hölle, das ist auch „Weihnachten bei Hoppenstedts“, frei nach Loriot. Und eben nicht nur eine imaginierte Hölle, sondern eine ganz alltägliche – 1944 wie auch 2022.

Termine und Tickets unter www.theater-koblenz.de