Schlagwort Hier beginnt die Unterzeile
RZ-Serie "vorZeiten": Immer wieder zerstören Archäologieabenteurer Zeitzeugnisse

Hier brechen Profiarchäologen zum Sondengang auf, bereit, eventuelle Funde wissenschaftlich auszuwerten und ihnen ein Maximum an Erkenntnisgewinn abzutrotzen. Viele Raubgräber zerstören unwiederbringlich den für die Archäologie so wichtigen Gesamtzustand der Fundstelle.

T. Zühmer/GDKE

So war das wohl an jenem Tag im Spätsommer 2013: "Sonden-Bennie", ein 20-jähriger Hobbyarchäologe,  schreitet ein Waldstück nahe dem südpfälzischen Örtchen Rülzheim ab. Er trägt seinen Detektor vor sich her. Und plötzlich schlägt das Gerät an.

Hier brechen Profiarchäologen zum Sondengang auf, bereit, eventuelle Funde wissenschaftlich auszuwerten und ihnen ein Maximum an Erkenntnisgewinn abzutrotzen. Viele Raubgräber zerstören unwiederbringlich den für die Archäologie so wichtigen Gesamtzustand der Fundstelle.

T. Zühmer/GDKE

„Sonden-Bennie“ erkennt: Hier unter dem Laub muss im Boden etwas sein. Wieder bloß Weltkriegsmunition, verrostete Schrauben oder die Beschläge einer in den Wald geschmissenen Tür? Wieder nur Plunder und Müll – oder diesmal vielleicht doch etwas Wertvolles wie historische Münzen, mittelalterliche Waffen, antiker Schmuck?

Der junge Archäologieabenteurer geht mit Schaufel und Hacke eifrig buddelnd dem Hinweis seines Detektors nach und bricht bald in Jubel aus, denn er hat einen Volltreffer gelandet, wie es ihn nur alle paar Jahrzehnte gibt: Einem Bodenstück von etwa 60 mal 60 Zentimetern entreißt er mehr als 100 historische Wertgegenstände aus Gold und Silber. Der Fund erregt nachher als spätantiker „Barbarenschatz von Rülzheim” international Aufmerksamkeit. In mittlerweile restauriertem Zustand ist er noch bis 29. Oktober im Landesmuseum Mainz Teil der Ausstellung „vorZeiten – Archäologische Schätze an Rhein und Mosel”.

Fund zu Geld machen

Zuvor jedoch steht der pfälzische Schatzsucher vor einem Problem: Er will den Fund auf dem Schwarzmarkt zu Geld machen, hätte dafür nach Schätzungen von Fachleuten etliche Hunderttausend, vielleicht mehr als 1 Million Euro erzielen können. Doch er darf sein Glück nicht an die große Glocke hängen, weil der Schatz aus der Spätantike gar nicht ihm, sondern von Rechts wegen der Allgemeinheit, sprich dem Staat gehört.

Was der junge Mann da betreibt, ist kein nettes Hobby, sondern illegal und wird Raubgräberei genannt, weshalb sich um diesen Fund in der Folge eine regelrechte Kriminalgeschichte entspinnt. Polizei und Staatsanwaltschaft treten auf den Plan, bis schlussendlich im Sommer 2014 die Artefakte in die Hände der offiziellen Landesarchäologie gelangen – und der Raubgräber vor Gericht landet.

Gleich die erste fachliche Begutachtung macht klar, dass es sich bei diesem Fund um einen Hort aus dem spätrömischen 5. Jahrhundert handelt, der für die Forschung von außerordentlicher Bedeutung ist. Denn es gehören dazu Silberschalen, Schmuck, Goldapplikationen aus hochherrschaftlichen Milieus sowohl des römischen Imperiums als auch des hunnisch-germanischen Raumes. Es gehört dazu als Glanzstück ein reich mit Beschlägen und Figuren aus Silber versehener Klappstuhl, der damals den höchsten Kreisen vorbehalten war. Darüber wollen die Forscher der landesarchäologischen Außenstelle Speyer mehr wissen. Sie suchen deshalb die inzwischen von Bennie preisgegebene Fundstelle im Rülzheimer Wald auf.

Sein Fund löste ein weltweites Medienecho aus: Der Schatz von Rülzheim mit mehr als 100 wertvollen Einzelstücken aus dem 5. Jahrhundert.

GDKE

Gier zerstört Zeitzeugnisse

Dort finden sie frustrierende Verhältnisse vor. Wieder einmal hat die bloße Gier eines privaten Schatzsuchers weitgehend zerstört, was für die Archäologie, was für die Erforschung unserer Geschichte mindestens ebenso bedeutend ist wie die Artefakte selbst: den Befund am Ort. Der originale Gesamtzustand der Fundstelle in seiner Umgebung; die Lage der Fundstücke in der Erde; ihr Zustand bei Öffnung des Bodens; ihre Vollständigkeit auch hinsichtlich „wertloser” und von Raubgräbern oft weggeworfener Teilmaterialien wie Eisen oder Keramikscherben; Hinweise auf verrottete Teile, Umhüllungen, Transportbehälter etwa aus Tuch oder Holz ... Aus all diesem „Drumherum” können Fachleute bei profund wissenschaftlich-archäologischem Herangehen mannigfache und oft die wichtigsten historischen Erkenntnisse gewinnen. Sofern nicht, wie in Rülzheim, dilettantische oder rücksichtslose Sondengänger diese Spuren für immer zerstören.

Axel von Berg, Chefarchäologe bei der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz, skizziert das Ausmaß des Problems: „Etwa 10.000 illegale Sondengänger sind allein in Deutschland mit ihren Detektoren unterwegs, und sie plündern die Landschaft regelrecht aus.” Dabei ließen sich drei Motivgruppen unterscheiden. Erstens Menschen, die aus falsch verstandenem Geschichtsbewusstsein auf eigene Faust Spuren der Vergangenheit entdecken wollen. Zweitens Leute, die losziehen, um ihre private Archäologika-Sammlung zu bereichern. Drittens die gefährlichste und am wenigsten sichtbare Gruppe: Kriminelle Profis, die mit modernster Prospektionstechnik entweder dem bloßen Edelmetallwert historischer Hinterlassenschaften nachjagen oder diese aufspüren, um sie mit falschen Herkunftspapieren profitabel dem Kunstmarkt zuzuführen. „Jede dieser Gruppen hinterlässt meist eine Wüste aus zerstörten Befunden.”

Der Barbarenschatz ist noch bis 29. Oktober erstmals im vollständig restaurierten Zustand in der aktuellen Landesausstellung „vorZeiten – Archäologische Schätze an Rhein und Mosel“ im Landesmuseum Mainz zu sehen.

GDKE

Doch nicht alle Sondengänger sind Raubgräber. Die Landesarchäologie bietet seit jeher und seit dem „Fall Rülzheim” nach einem landesweit einheitlichen System ehrlich interessierten Laien die Möglichkeit der ehrenamtlichen Mitwirkung. Die Hobbyarchäologen werden von Fachleuten in die Grundzüge dieser Arbeit eingewiesen und auf deren Normen verpflichtet. Sie können dann unter fachkundiger Anleitung ihrer Passion nachgehen und zugleich der ernsthaften Forschung manch guten Dienst erweisen.

Von unserem Autor Andreas Pecht

Der „Rülzheimer Barbarenschatz“

Der spektakuläre Hortfund von Rülzheim umfasst mehr als 100 wertvolle Stücke überwiegend feinster kunsthandwerklicher Arbeiten aus Gold und Silber oder golden und silbern überzogen, teils mit eingelegten Halbedelsteinen. Eine wahre Augendweide, die derzeit im Mainzer Landesmuseum erstmals in vollständig restaurierter Fassung der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Der Schatz wird auf die Mitte des 5. Jahrhunderts datiert und gehörte nach bisherigen Erkenntnissen wohl einem sehr hohen Würdenträger aus dem hunnisch-alanischen Raum, der zumindest zeitweise in sehr enger Verbindung zu Rom gestanden haben muss.

Zu jener Zeit drängten Germanenvölker wie Burgunden, Sueben, Vandalen sowie ihre zentralasiatischen Reiternachbarn der Hunnen und Alanen in die nordöstlichen Grenzlande des zusehends schwächelnden römischen Imperiums. Mal waren sie den Römern Feind, dann standen einzelne Stämme und Völker als Bundesgenossen in deren Diensten, um hernach doch wieder die Seiten zu wechseln. Anno 451 zogen hunnische und alanische Truppen unter dem Kommando Attilas zusammen mit fränkischen und burgundischen Verbänden gegen den weströmischen Feldherrn Aëtius in die Schlacht bei den Katalaunischen Feldern. Diese sind bis dato nicht genau lokalisiert, aber in oder im Umfeld der Großregion Elsass-Lothringen-Ardennen zu suchen.

Attilas Heer wurde von den Römern geschlagen und die Reste seiner Steppenreiterei strömten gen Osten zurück. Im Zuge dieser Vorgänge, so die Annahme, wurde der Schatz im Rülzheimer Wald unweit einer Römerstraße auf die Schnelle, weil nicht sehr tief, vergraben. Heute ist er der erste gewichtige archäologische Beleg für einen historischen Sachverhalt, von dem wir bislang fast nur aus schriftlichen Überlieferungen wissen: der Präsenz von Hunnen, sogar solchen aus der königlichen Herrschaftsschicht, in der Pfalz während des mittleren 5. Jahrhunderts. ape