Saisonstart Die szenische Aktualisierung der Märchenoper "La Cenerentola" geht in der Koblenzer Neuproduktion zur Hälfte auf
Rossinis Aschenbrödel im Käfig voller Narren

Wie eiskalt ist dies Füßchen: Prinz und Aschenbrödel (Leonardo Ferrando und Nuska Drascek Rojko) treffen am Arbeitsplatz Angelinas im Beerdigungsinstitut aufeinander. Foto: Matthias Baus

Matthias Baus fÃ

Koblenz. Sie sind wieder da: Regisseur Alfonso Romero Mora, Bühnenbildner Jürgen Kirner und Kostümbildnerin Rosa Garcia Andujar haben – wie vor zwei Jahren mit Mozarts „Figaro“ – am Theater Koblenz eine Oper ein gutes Stück in Richtung heute geholt und neue Sichtweisen eröffnet. Diesmal geht es Aschenbrödel an den Spitzenkragen, genauer: Gioacchino Rossinis Version „La Cenerentola“. Es ist schon einige Jahre her, dass das Stück auf dem Koblenzer Spielplan stand, aber das Warten hat sich gelohnt: Sowohl die musikalische als auch die szenische Umsetzung ist teilweise bemerkenswert – beide aber auch nicht problemfrei.

Von unserem Kulturchef Claus Ambrosius

Den ersten Überraschungsmoment setzt der Regisseur wie schon im „Figaro“ vor den eigentlichen Stückbeginn: Zur Ouvertüre öffnet sich der Vorhang für ein von Wehklagen abgesehen stummes Vorspiel. Das Haus, in dem Aschenbrödel-Angelina mit Vater und Stiefschwestern lebt, ist ein Beerdigungsinstitut. Asche zu Asche, klar – und gar nicht aufgesetzt. Vater Don Magnifico und die beiden bösen Schwestern Clorinda und Tisbe versehen den Dienst an der lebenden und toten Kundschaft lust- und lieblos, während Angelina die Drecksarbeit erledigt. All das wird im inszenierten Vorspiel mit raschen Umbauten und perfekt auf musikalische Situationen abgepasstes Spiel erzählt: ein grandioser Auftakt, der dem Abend in fünf Minuten schon mehr Leichen beschert als der aktuelle Sonntags-„Tatort“ in 90 Minuten.

Der Teil des Stücks, der sich rund um das Geschäft mit den Toten, aber auch das Totschlagen der Zeit durch die beiden Halbschwestern Angelinas dreht – köstlich, wie Clorinda (Hana Lee) und Tisbe (Anne Catherine Wagner) als Ballerina und Cheerleaderin dilettieren –, funktioniert wunderbar. Die Gegenwelt hingegen – nun ja. Der Tanzpalast, dessen Besitzer sich Prinz nennt, soll laut Programmheft an das New Yorker Studio 54 erinnern. Erkennen würde man das nicht, wenn auch das reduziert-eindrucksvolle, wunderbar wandelbare Bühnenbild sein Bestes tut, die Kostüme aber die Produktion nicht zum letzten Mal in die Klemme bringen. Studio 54, jener Tempel für Promis, Sex und Drogen, vor dem sich die Warteschlange wand, während drinnen Hunderte junge Männer und weniger Frauen dem Discogott huldigten. In Koblenz: Ein Karnevalkostümball unter dem Motto „Village People im Käfig voller Narren“. Erotisch pulsierende Nachtschwärmer sind hier trotz effektstarkem Discowummern und Rapgesang mit Texten der Opernrezitative nicht auszumachen, auch Regiekniffe wie eine quälend lange Spielszene am Pissoir wirken eigentümlich bieder in ihrer gewollten Provokation.

Noch einmal zu den Kostümen: Sie erzählen teils erhellend von den Charakteren, wenn etwa die beiden bösen Schwestern ein Klischee nach dem anderen aufgreifen, sich nach bester Promi-Manier in jeden Aufzug werfen, der ihnen passend erscheint und natürlich prompt oft danebenliegt. Was immer die Idee dahinter war, Angelina auf dem Ball wie eine Wasserleiche mit weißer Rastaperücke auszustatten, ist gescheitert, es sei denn, man wollte die Figur denunzieren.

Deren Darstellerin, genauer: die Mezzosopranistin Nuska Drascek Rojko, ist nicht erst im großen Schlussrondo der Angelina eine Wucht: Von ihren ersten Tönen an fesselt die Sängerin mit einer warmen, farbenreichen und voluminösen Stimme. Das lässt nicht nur gleich auch an Carmen denken, die die Sängerin tatsächlich im Repertoire führt, sondern auch fürchten: Passt das (noch) mit dem Zierwerk der Rossini-Partitur zugesammen? Und wie! Die Koloraturen absolviert die Sängerin mit scheinbarer Leichtigkeit, alles klingt technisch gekonnt und in den Körper integriert, nicht künstlich hergestellt. Ein gewaltiges Kompliment, dass man ganz ähnlich dem ebenfalls als Gast engagierten Leonardo Ferrando aussprechen darf, der ein wenig in Statur und noch mehr stimmlich an seinen prominenten Tenorkollegen Juan Diego Florez erinnert. In der Prinzenrolle des Don Ramiro liefert er knackige Koloraturen und bärenstarke Höhenklimmzüge – schade, dass unter der herrlichen Klimax seiner großen Arie der Herrenchor des Theaters einmal mehr mit dem Dirigenten über Kreuz und leider zum Schluss gar mehrere Schläge danebenliegt.

Dass Bassbariton Eugenio Leggiadri-Gallani als Don Magnifico mit großem komischen Ausdruck und machtvoll vorgeführter Stimme, Christoph Plessers nach kurzer Anlaufzeit als einfältig tuntig inszenierter Diener Dandini (im Outfit eines bekannten deutschen „Bordellkönigs“), Jongmin Lim als balsamisch schön singender Müllpoet Alidoro und die Sängerinnen der bösen Schwestern das sehr gut ausgewählte Sängerensemble auf hohem Niveau komplettieren, ist überaus erfreulich.

Und auch der Orchesterklang der Rheinischen Philharmonie unter der Leitung von Mino Marani ist erhellend, energiegeladen, bei aller Eleganz auch vielschichtig-ruppig. Warum dem umsichtigen Dirigenten die Sänger auf der Bühne immer wieder davonlaufen, bleibt rätselhaft, möglicherweise schaffen die teils sehr ambitionierten Tempi eine gewisse Unsicherheit unter den Sängern. Doch das kann sich ja spielend noch geben im Verlauf der Vorstellungen, die nicht nur eingefleischten Freunden des italienischen Opernbelcanto viel Vergnügen bereiten werden.

Tickets und Termine unter Tel. 0261/129 28 40