Markus Henrik alias Dr. Pop ist als Comedian und Kabarettist mit seinen Bühnenprogrammen höchst erfolgreich, daneben aber auch als Musikwissenschaftler gefragt. Zum 40. Geburtstag von Rock am Ring hat er sich mit uns über die (Erfolgs-)Geschichte des Festivals unterhalten.
Herr Henrik, 40 Jahre ist es nun her, dass Rock am Ring erstmals über die Bühne ging. Wenn man sich als Festival über einen solch langen Zeitraum auf einem zunehmend umkämpften Markt gehalten hat, kann man ja zunächst einmal nicht so viel falsch gemacht haben, oder?
Nein, Rock am Ring ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte, nicht zuletzt auch, weil das Festival immer wieder Rückschläge überwunden hat: den Besuchereinbruch und die darauffolgende zweijährige Pause 1989 und 1990 beispielsweise, die schweren Unwetter in Mendig oder zuletzt auch die Corona-Pandemie. Hinzu kommt, dass Rock am Ring nicht nur unter Besuchern Kult ist, sondern auch in der Musikbranche einen sehr guten Ruf genießt. Vonseiten der Künstler hört man oft, dass sie sich dort sehr wohlfühlen, weil es auf dem Festival immer noch vergleichsweise familiär zugeht, der Backstagebereich und die Sanitäreinrichtungen sehr annehmlich sind. Man hat bei Rock am Ring also scheinbar von Anfang an Wert darauf gelegt, dass es keine große Sparnummer wird – wie bei manch anderem Festival –, und die Tatsache, dass dort auch international erfolgreiche Bands gern auftreten, ist sicher einer der großen Erfolgsfaktoren.
Dabei ist Rock am Ring heute ja nur noch bedingt mit dem Festival aus den Anfangsjahren zu vergleichen. Was sind denn in Ihren Augen die größten Veränderungen gewesen?
Zunächst einmal natürlich die Preise, wenn Sie überlegen, dass die Tickets bei der Premiere 1985 noch 49 Mark gekostet haben, ein Jahr später dann 55 Mark – und schon damals gab es Kritik an dieser dezenten Erhöhung. Wobei man auch nie vergessen darf, wie viel Aufwand hinter einem solchen Festival steckt. Die Veranstalter müssen gute Bedingungen für die Bands schaffen, die Besucher wollen mit Essen und Getränken versorgt werden, es braucht riesige Bühnen und die entsprechende Technik, was zusammengenommen Tausende Menschen in der Logistik voraussetzt. Bei Rock am Ring scheint diese Organisation allerdings sehr gut zu funktionieren, man hat sich dort über die Jahre natürlich auch immer weiter professionalisiert und kommerzialisiert. Und mit Blick auf das Line-up ist das Festival nach massiver Kritik zuletzt auch weiblicher geworden: 2023 zum Beispiel standen bei Rock am Ring etwa doppelt so viele Künstlerinnen auf der Bühne wie noch im Jahr zuvor.

Nun gibt es daneben aber ja immer wieder auch Stimmen, die behaupten, mit Rock hätte das Festival eigentlich gar nicht mehr viel zu tun. Ein berechtigter Vorwurf?
Die Kritik am Line-up ist so alt wie Rock am Ring selbst, anfangs waren Künstler wie Chris de Burgh oder Marius Müller-Westernhagen den Leuten zu poppig, heute stören sich einige an dem aus ihrer Sicht zu hohen Hip-Hop-Anteil. Dabei war Rock am Ring noch nie ein reines Rockfestival, sondern immer schon eine Mischung aus verschiedenen Genres, eine Veranstaltung, die neben den großen Stars auch Newcomern eine Bühne geboten hat. Man war dort einfach von Beginn an sehr offen, hat auf diese Weise auch versucht, ein möglichst breites Publikum anzusprechen – 1998 beispielsweise gab es auf dem Festival sogar eine Comedybühne, auf der Künstler wie Mario Barth oder Michael Mittermeier aufgetreten sind.
Haben solche Megafestivals im Wettbewerb denn überhaupt eine andere Wahl, als sich ein Stück weit auch für andere Genres, für den Mainstream zu öffnen?
Natürlich gibt es auch Festivals, die das Ganze etwas puristischer angehen. Wacken zum Beispiel, wo keine Hip-Hop-Künstler auftreten, wenngleich die Kritik an der wachsenden Kommerzialisierung auch dort mittlerweile lauter wird. Ich persönlich hingegen vertrete die Meinung, dass Festivals in der Größenordnung von Rock am Ring auch etwas anbieten müssen, um die Menschen zu locken, weil eben nicht alle Besucher nur Rock hören – und manche nicht einmal vordergründig wegen der Musik dorthin gehen. Die Veranstalter wiederum müssen am Ende ihre Tickets verkaufen, um das Festival zu finanzieren. Insofern ist das ein Stück weit immer auch ein Eiertanz: Man will niemanden vergraulen, braucht gleichzeitig aber eben auch eine entsprechende Auslastung.
„Ich begebe mich freiwillig in eine Situation, in der es schwer ist, mich zu duschen, ich eventuell tagelang nur von Ravioli lebe und genau das am Ende genieße.“
Markus Henrik über die Bedeutung von Festivals in ihrer Rolle als kultivierter Ausnahmezustand
Dabei gilt Rock am Ring in Deutschland nach wie vor als das Megafestival, im europäischen Vergleich allerdings gibt es inzwischen deutlich größere, das Roskilde Festival in Dänemark zum Beispiel oder das Glastonbury in England. Wie bedeutend ist Rock am Ring also im internationalen Vergleich?
Es gibt viele bekannte Musiker, die Rock am Ring immer wieder positiv hervorheben – und das sicher nicht nur aus reiner Höflichkeit. Das Festival ist enorm wichtig für den deutschen Markt und der wiederum von großer Bedeutung für internationale Künstler. Insofern kommt um Rock am Ring eigentlich kaum jemand vorbei. Ein weiterer Faktor ist daneben sicher auch der gute Ruf des deutschen Publikums, das dafür bekannt ist, bei Konzerten mitzumachen und gern zu feiern. Und schließlich zieht auch die Tatsache, dass deutsche Festivals im internationalen Vergleich immer noch verhältnismäßig günstig sind, jedes Jahr zahlreiche Fans aus dem Ausland in die Eifel. Rock am Ring ist für mich daher ein fester Bestandteil der Musikgeschichte und profitiert dabei natürlich auch von zahlreichen Anekdoten und Mythen: 1987 zum Beispiel wollte David Bowie eine eigene Bühne, auf der sonst niemand spielen sollte – und hat sie bekommen. Was meines Wissens nach bis heute ein Unikum darstellt.
Wenn man sich nun die Line-ups der 80er- und 90er-Jahre anschaut, finden sich dort neben besagtem David Bowie auch Künstler wie Robbie Williams, Bob Dylan oder Aerosmith. Heute hingegen ist die Dichte an internationalen Megastars bei Rock am Ring gefühlt geringer. Weil man sich diese – zumindest in Deutschland – nicht mehr leisten kann?
Was man sich bei Rock am Ring leisten kann, weiß ich nicht, aber es ist zweifellos so, dass Auftritte solcher Künstler unfassbar teuer geworden sind. Für eine Band wie Metallica zum Beispiel bezahlen Sie mittlerweile mehr als 1 Million Euro, weshalb Festivals wie Rock am Ring natürlich immer auch abwägen müssen: Auf der einen Seite brauchen Sie diese großen Namen, um das Publikum zu gewinnen, auf der anderen sind sie inzwischen aber auch selbst weltbekannt, und für viele Musikfans ist der Besuch – unabhängig vom Line-up – längst ein Ritual. Daher wird man sich schon überlegen, wie viele solcher Stars man einkauft, schließlich will man am Ende ja auch noch was verdienen. Wobei es inzwischen tatsächlich auch Künstler in der Größenordnung von Taylor Swift oder Adele gibt, die über allem stehen und sich aussuchen können, ob sie überhaupt noch auf Festivals auftreten und – wenn ja – auf welchen. Solche Megastars schauen dann vielleicht noch mal aus Spaß irgendwo vorbei. Womit wir auch wieder beim Ruf wären, der bei Rock am Ring eben ein guter ist.

Wie sich Rock am Ring gewandelt hat
Zum Jubiläum haben die Veranstalter von Rock am Ring Überraschungen angekündigt. Außerdem erzählen sie, was sich in 40 Jahren verändert hat – und warum heute mehr Physiotherapeuten beim Festival benötigt werden.
Inzwischen trifft man auf dem Festival allerdings immer öfter auch Menschen, die das Wochenende (fast) ausschließlich auf den Zeltplätzen verbringen statt vor der Bühne. Nimmt die rein kulturelle Bedeutung solcher Veranstaltungen also ab?
Das kann gut sein, weil Musik heute einfach omnipräsent ist. Wenn Sie sich zum Beispiel anschauen, mit welchem Aufwand es früher verbunden war, an ein Album zu kommen, während Musik heute durch die Streaminganbieter überall und zu jeder Zeit verfügbar ist. Dadurch verändert sich natürlich auch der Wert und wird von manchen, die Festivals als reines Happening betrachten, vielleicht gar nicht mehr als solcher wahrgenommen. Grundsätzlich waren Veranstaltungen wie Rock am Ring allerdings schon immer eine Mischung aus Musik und dem Gefühl: Da geht was ab, ich war dabei und kann dann von dieser anderen Welt dann auch zu Hause erzählen. Auch wenn man mittlerweile tatsächlich den Eindruck gewinnt, dass manche Menschen nur noch dorthin kommen, um coole Fotos zu machen.
Welchen gesellschaftlichen Stellenwert haben solche Festivals also heute noch?
Sie sind ja zunächst einmal nichts anderes als die Kultivierung des Ausnahmezustands: Ich begebe mich freiwillig in eine Situation, in der es schwer ist, zu duschen, ich eventuell tagelang nur von Ravioli lebe und genau das am Ende genieße. Gleichzeitig sehen wir aber eben auch eine zunehmende Individualisierung innerhalb unserer Gesellschaft, während Festivals hierzu eine Art Gegenentwurf darstellen – als Orte, an denen man Gemeinschaft erfährt, wunderschöne Momente teilt und den Eindruck gewinnt, es sei alles in Ordnung. Dadurch können uns Festivals auch ein Stück weit das Vertrauen in die Menschheit zurückgeben – und allein das ist doch schon etwas unheimlich Schönes.

Nicht nur Joe Cocker musste damals an Woodstock denken
Bono auf dem Bühnendach, Gianna Nannini barbusig und über allem ein Hauch der wilden 60er: Am 25. Mai 1985 wurde an der legendären Eifelrennstrecke der Mythos Rock am Ring geboren. Der Westerwälder Helmut Müller war dabei – und erinnert sich.