Es kommt nicht wahnsinnig oft vor, dass altgediente Medienhäuser wie der WDR, der „Spiegel“ oder die „Welt“ über ein Youtubevideo berichten. Aber wenn, dann geht es seit einigen Jahren fast immer um Rezo, diesen jugendlich daherplaudernden Endzwanziger mit Informatikstudium, der sich vom Onlinekasper und Metalmusiker zu einem politischen Meinungsmacher mit berüchtigter Strahlkraft mausern konnte.
In der Regel lädt Rezo auf seinen mittlerweile drei Youtubekanälen pennälerhafte Songparodien oder Flachwitzspiele hoch. Doch seit seinem unionskritischen Video „Die Zerstörung der CDU“ von 2019 gucken Politik und Öffentlichkeit genauer hin, wenn Rezo was zu sagen hat – vor allem, weil sie um seinen Einfluss bei der jungen Zielgruppe wissen, die einige der Clips abermillionen Mal geschaut haben.
“Was ist das für ein Lowbob-Verein?"
Bei bisher weit über 700.000 Aufrufen in drei Tagen steht nun das neueste wellenschlagende Video: „REZO zerstört die Corona-Politik“. In 13 Minuten regt sich der Künstler darin vorrangig über die Versäumnisse von Bundes- und Landesregierungen in der Pandemiebekämpfung auf; auch die Dividendenausschüttung bei Daimler inmitten der Krise und der paternalistische Auftritt von FDP-Mann Wolfgang Kubicki bei Markus Lanz kriegen Saures.
Die CDU mit ihren diversen Korruptionsfällen und zweifelhaften Aussagen von Armin Laschet, Michael Kretschmer oder Volker Bouffier zur Viruslage frühstückt Rezo dann auch mit dem denkwürdigen Satz ab: „Was ist das für ein Lowbob-Verein?“ Slang-Lexika erklären: „Lowbob“ meint im Youtube-Jargon Menschen, die bei Videospielen nichts hinkriegen.
Der Pfarrersohn redet sich in Rage
Wer keine Arbeitsverweigerung betreibe und nicht korrupt sei, könne sich schon als überdurchschnittlicher Unionspolitiker fühlen, so Rezo weiter. Das Verhalten dieser Regierung kindisch zu nennen „wäre eine Beleidigung für Kinder.“ Im Verlauf der knappen Viertelstunde redet sich Pfarrerssohn Rezo immer mehr in Rage, seine Rede ist gespickt mit Anglizismen und Kraftausdrücken („Grow the fuck up“, „werd' mal erwachsen“, rät er Horst Seehofer). Wohlwollend kann man darin einen Befreigungsschlag aus dem flächendeckenden Frust der Bevölkerung erkennen. Die Wut habe eine Ventilfunktion, erklärte Medienjournalist Steffen Grimberg im Deutschlandfunk. Doch das mag längst nicht jeder gutheißen.
Die ARD-Journalistin Anja Reschke kritisiert die „platte Wutsprache“, in der Rezo sich ausdrückt. „Alles, was er da sagt, wird seit einem Jahr rauf und runter berichtet.“
Das Video von #Rezo über die CDU damals war was neues. Aber ich weiß nicht, warum jetzt sein neues über #Corona Politik so gefeiert wird. Alles, was er in da sagt, nein, “ranted” wird seit einem Jahr überall rauf und runter berichtet. Nur nicht in so platter Wutsprache.
— Anja Reschke (@AnjaReschke1) April 6, 2021
Ein Kritikpunkt, der auch frühere Videos von Rezo traf: Neues zur Debatte beizutragen ist seine Sache nicht – stattdessen ersuchen seine Videos Mehrwert, indem sie zielgruppengerecht für politische Missstände sensibilisieren. Die Devise dahinter: Mit einem wutentbrannten Video, das häufig geklickt wird, möge man womöglich mehr bewegen, als mit einer sachlich vorgetragenen Analyse in Pastelltönen, die niemand sieht.
ZDF-Zuschauer kennen das von Gernot Hassknecht
Dabei bemerkt Reschke richtigerweise, dass es sich bei Rezos Ereiferung um ein ganz bestimmtes Genre der Internetkommunikation handelt: den Rant (auf Deutsch etwa: Tirade, Wutausbruch). Diese erbosten Monologe kennen ZDF-Zuschauer von der heuteshow-Figur Gernot Hassknecht, auch US-Komiker wie Bill Burr haben sie zum Markenzeichen gemacht. Sie sind aber vor allem im Internet zuhause, wo regelmäßig über alles mögliche „gerantet“ wird: einen neuen Star-Wars-Film, eine Wohnungskündigung, Donald Trump oder weiße Menschen, die sich als Asiaten verkleiden. Auch die berühmte Szene aus dem Hitlerfilm „Der Untergang“, in dem Bruno Ganz ausrastet, firmiert auf Youtube unter dem Schlagwort Rant.
Ziel der Rants ist normalerweise nicht, mit feinem Besteck Wissen zu vermehren. Vielmehr geht es darum, durch emotionalisierte Ansprache ein Thema zu platzieren. Die Schweizer Linguistin Susanne Flach schreibt dazu, der Rant sei die „Ausführung eines emotionalen Dammbruchs, der vor allem von Wut- und Frustelementen charakterisiert ist.“ Anders als ein Shitstorm (bei dem Menschen ihre Wut bündeln), spiele sich der Rant auf der individuellen Ebene ab. Damit ist er „die verschriftlichte Version der Wutrede.“ Und dass die im Gedächtnis bleibt, davon zeugen etwa der Schauspieler Klaus Kinski („Du dumme Sau“) oder der Fußballspieler Per Mertesacker („erst mal für drei Tage in die Eistonne“).
Rezo und das rhetorische Geschick
Ganz ohne Kalkül lief der Emotionsausbruch dann allerdings nicht ab. Nicht nur ist Rezos Monolog rhetorisch geschickt aufgebaut – er erzeugt einen Spannungsbogen, indem er mehrfach überleitet mit „das ist immer noch nicht das Krasseste“ – er wurde auch nachträglich bearbeitet. Ursprünglich erfolgte der Ausbruch in einer Livesituation auf der Streamingplattform Twitch. Erst im Nachhinein hat Rezo die Szene geschnitten, mit Musik hinterlegt und auf Youtube hochgeladen, wo sie auf wesentlich mehr Publikum trifft. Bleibt die Frage, was aus dem Video folgt. Auf den CDU-Rant von 2019 wollte eigentlich deren Jungstar Philipp Amthor antworten, hat sich aber anscheinend nicht getraut – die Replik kam bis heute nicht.
Sehen Sie das Video von Rezo auf Youtube hier.