Interview über neues Buch
Reiseautor Steiner: „Bin in Afrika demütiger geworden“
Der Journalist und Autor Markus Steiner ist von Lissabon aus - und der Liebe hinterher - nach Guinea-Bissau gereist. Was er unterwegs erlebt hat, erzählt er in seinem neuen Buch "Odyssee nach Westafrika" - und uns im Interview.
Markus Steiner

Mit „Odyssee nach Westafrika“ hat Markus Steiner seinen Erfahrungsbericht über einen abenteuerlichen Roadtrip vorgelegt, zugleich aber auch ein intensives Buch über Liebe, Freiheit und die Faszination des Reisens. Mit uns hat er darüber gesprochen. 

Lesezeit 6 Minuten

Markus Steiner ist Autor, Journalist – und in der Welt zu Hause. Seine tiefschürfenden Reisereportagen sind unter anderem bei „National Geographic“, „Geo“ und im „Spiegel“ erschienen. Vor Kurzem hat er zudem sein neues Buch „Odyssee nach Westafrika“ veröffentlicht, den Erfahrungsbericht eines 4500 Kilometer langen Roadtrips nach Guinea-Bissau, auf dem Steiner der Liebe folgt, in heikle Situationen gerät, besonderen Menschen begegnet. Wir haben ihn zum Interview gebeten.

Herr Steiner, Sie haben zehn Jahre lang ohne festen Wohnsitz und Smartphone gelebt, waren in dieser Zeit auch beruflich viel auf Reisen und bezeichnen das Unterwegssein im Buch als eine „wunderbare Zwischenwelt“. Was genau meinen Sie damit? 

Eine feste Wohnsitzadresse stürzt meine Seele in wühlende Unruhe. Auf Reisen hingegen atme ich genau diese wunderbare Zwischenwelt: aufbrechen, nie ankommen, nie bleiben. Überall schwirrt eine Sprache durch die Luft, die für mich nicht verständlich ist und deshalb nach Poesie klingt. Nichts wird von mir erwartet. Ich streune durch die Straßen, weiß nie, was als Nächstes passiert. Das ist Freiheit für mich, während die Angst vorm Festfrieren meinen Neugiermuskel stärkt, mich immer wieder aufbrechen lässt und reicher macht. Ich will die Welt mit eigenen Augen sehen, mich wundern, staunen und davon erzählen. Über schöne Seelen, Träume und Kämpfe. Ich suche echte Begegnungen, nichts, was man auf Youtube anklicken kann. Und das gelingt eben nur, wenn man sich in ein Dazwischen traut, mit ungeöffnetem Fallschirm reist.

Nun war die im Buch beschriebene Reise allerdings auch für Sie keine gewöhnliche: Sie sind unterwegs Drogenkurieren begegnet, haben Wüsten und Minenfelder durchquert, schreiben gleich zu Beginn sehr eindringlich von einer Szene an der marokkanisch-mauretanischen Grenze, in der der schwelende Westsahara-Konflikt zu eskalieren droht. Wie oft haben Sie unterwegs ans Umkehren gedacht? 

An der Grenze zu Mauretanien, als mein Fahrer mit meinem Pass verschwunden ist, dachte ich tatsächlich, das war’s. Der Übergang war geschlossen, davor ein brodelndes Durcheinander. Arme, Fäuste und Rufe schossen durch die Luft. Aber auch dort flammte schließlich wieder meine Neugier auf. Ich wollte wissen, wie es auf der anderen Seite weitergeht. Ich fühlte, dass man in diesem rätselhaften Wüstenstaat etwas finden könnte, über das es sich zu schreiben lohnt. Das Grenztor ging auf, ich entdeckte den Fahrer, und es war klar: Ich reise weiter.

Ausgeschlachtete Autowracks im sogenannten Niemandsland an der Grenze zwischen Marokko und Mauretanien
Markus Steiner

Welche Rolle spielt dabei denn auch – quasi als Voraussetzung, um eine solche Reise anzutreten – ein gewisses Grundvertrauen in die Menschheit. Sie sagen selbst, trotz einiger heikler Situationen unterwegs, die Welt sei ein „freundlicher Ort“.

Ja, ein Grundvertrauen in die Menschen ist der Schlüssel – vor allem, wenn man allein reist. Ich erlebe allerdings auch immer wieder, dass die Welt viel zugewandter ist, als es die ständige Flut an Katastrophen vermuten lässt. Der Alltag, das echte Miteinander, geht darin oft verloren – und mit ihm ein realistisches Bild, das weniger von Angst geprägt ist. Die überwältigende Mehrheit der Menschen begegnet einem mit Offenheit, Neugier und Wohlwollen. Das Reisen ist somit auch ein großes Tauschgeschäft: von Interesse, Menschlichkeit, Zeit, Geschichten, einem Lächeln. Und eben das macht für mich den besonderen Reiz aus – in den Alltag einzutauchen, Menschen kennenzulernen und ein Gefühl für das Leben vor Ort zu bekommen.

Auch weil dabei spürbar wird, wie ähnlich wir uns sind. Wir alle tragen die gleichen Träume und Wünsche in uns: nach Glück, Gerechtigkeit, einem guten Leben, nach einem Ort, an dem wir wirklich wir selbst sein können, und nach der Freiheit, diesen Ort selbst zu wählen. Reisen macht diese Gemeinsamkeiten sichtbar.   Unterschiede existieren zwar, aber das Verbindende ist viel größer, als wir denken.

Nun ist der Blick auf Afrika aus europäischer Sicht ja oft ein verklärter – oder alternativ klischeeverhangen. Wie haben Sie selbst den Kontinent auf Ihrer Reise wahrgenommen?

In Afrika tobt vor allem Lebenslärm: Der Kontinent ist bunt, kreativ, jung. In den Straßen wird gelacht, gesungen, getanzt. Ich bewundere den Mut und die Fröhlichkeit der Menschen dort. Afrika ist auch nicht hilflos, sondern wächst. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre. In den Städten sind Zentren für Start-ups und digitale Innovationen entstanden, vergleichbar mit dem Silicon Valley. Es gibt mehr als 250 afrikanische Unternehmen, die jeweils einen Umsatz von mehr als 1 Milliarde Dollar im Jahr machen. Bis 2050 wird jeder vierte Mensch Afrikaner sein. Daher war es mir wichtig, über Afrika jenseits der Klischees zu berichten, es so zu zeigen, wie es ist: widersprüchlich, vielschichtig und voller Energie.

Ziel der Reise war das westafrikanische Guinea-Bissau. Das Bild ist auf der Insel Bubaque entstanden, eine von 88 auf dem der Küste vorgelagerten Bissagos-Archipel.
Markus Steiner

Im Buch schildern Sie neben Ihren persönlichen Erfahrungen allerdings auch die grundlegenden Herausforderungen und Probleme des Kontinents, den Klimawandel beispielsweise oder die Migration. 

Weil auch die natürlich existieren. In Mauretanien etwa habe ich Fischer aus dem Sahel getroffen, die vor der Dürre an die Küste geflohen sind. Die Veränderung des Klimas hatte sie dazu gezwungen: Es regnet kaum noch, das Land wird unfruchtbar. An der Küste gibt es zwar Arbeit in der Fischerei, doch die Meere dort werden bald leergefischt sein für den Export nach Europa. Diese wunderschöne Welt wird also mit gieriger Brutalität zerfleddert, während Afrika schon heute stärker unter dem Klimawandel leidet als andere Regionen. Bis 2050 könnten auf dem Kontinent mehr als 86 Millionen Menschen ihre Heimat verlieren. Und es zeigt sich, wie eng unsere Welt miteinander verbunden ist: Europas Handeln wirkt direkt auf Afrika – und umgekehrt.

Wobei auch neue Abhängigkeiten ein Problem darstellen. Vor allem von China, das Märkte in afrikanischen Megacitys erschließt, oft durch Infrastruktur, die auf fossilen Energien basiert. Chinesische Unternehmen sind derzeit in 32 afrikanischen Ländern an insgesamt rund einem Drittel aller Hafenprojekte auf dem Kontinent beteiligt. Das birgt neue Fesseln statt Fortschritt.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen am Ende aber vor allem Ihre Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen und deren Biografien. Mit Zakaria etwa, der von einem besseren Leben in Europa träumt, oder Samira, die sich in Tanger als Prostituierte durchschlägt. Inwiefern hat das auch Ihre Sicht auf das Leben beeinflusst? 

Ich habe vor allem erkannt, dass mein Leben unerträglich gut ist, während andere kämpfen müssen. In Afrika bin ich demütiger geworden, respektvoller, empathischer, auch gelassener. Und bewusster: In der Sahara, allein auf einer Düne, gab es plötzlich nur noch Himmel und Sand, Stille und Leere. Man denkt in diesem Moment zunächst vorschnell, nichts bewegt sich. Aber wenn man aufmerksam ist, sieht man: Licht, Form, Farben verändern sich ständig. Mit der Lebenszeit ist es genauso. Wir glauben, die Zeit haben wir später noch. Dabei rasen wir mit Lichtgeschwindigkeit ans Ende unserer Frist, weshalb es schon sinnvoll ist, genau zu überlegen, womit man seine Lebenszeit verbringt. Denn es ist an uns, die Leere mutig mit etwas zu füllen, das für uns von Bedeutung ist.

Ebenfalls ansprechend: das Cover von Markus Steiners Buch "Odyssee nach Westafrika"
Reisedepeschen Verlag

Zum Schluss wäre da dann natürlich auch noch Mara, wegen der Sie sich überhaupt erst auf den Weg gemacht haben, der Sie nach Guinea-Bissau folgen und die zugleich auch untrennbar verknüpft ist mit der zentralen Frage des Buchs, nämlich, ob Freiheit und Unabhängigkeit, wie Sie sie schätzen, mit der Liebe vereinbar sind. Wie fällt Ihr Fazit hierzu denn nun mit einigem Abstand zur Reise aus?

Die Liebe hat eine häufige Unglücksursache: gipfelhohe Erwartungen. Wie John Lennon sagte: „Love is free, free is love.” Freiheit und Liebe widersprechen sich nicht – sie brauchen einander. Dabei ist wahre Liebe auch kein Rausch, kein schnelles Gefühl, sondern Kunst, Handwerk. Sie will gelernt sein, braucht Raum zum Atmen, die Sehnsucht nach der Sehnsucht, Hingabe, Respekt, Disziplin und ein geduldiges Herz. Doch das moderne Leben rast in die entgegengesetzte Richtung. Wir leben in einer Zeit scheinbar unbegrenzter Wahlmöglichkeiten und permanenter Beschleunigung. Selbst das Fühlen ist davon erfasst. Alles muss intensiv sein, alles sofort. Es zerrt an unserer Aufmerksamkeit, während wir verlernen, zu fühlen, was wirklich ist.

Am Ende heißt Freiheit daher auch, die eigenen Gefühle von den aufgedrängten zu unterscheiden. Wenn alles Emotion ist, bleibt nichts Echtes mehr. Dann verlieren wir uns – und mit uns die Freiheit. Wenn mir jedoch das Loslassen gelingt, bleibe ich mir treu, bleibe frei. Und wenn ich frei bin, kann ich lieben. 

Markus Steiner: „Odyssee nach Westafrika – Eine Suche nach unserem Platz in der Welt“, Reisedepeschen Verlag, 288 Seiten, 20 Euro