"Der weiße Fleck" soll eine Anleitung gegen Rassismus sein - Mohamed Amjahid wird damit auch Leser vor den Kopf stoßen
Rassismus: Wie wird man zu Verbündeten?
Clay Banks

Der Journalist und Autor Mohamed Amjahid hat eine Anleitung gegen Rassismus geschrieben. Warum das nötig ist und warum er damit trotzdem viele Leser ärgern wird.

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Wer sich fragt, ob gut geschriebene Sachliteratur zu Rassismus im Alltag heute denn noch notwendig ist, der horche mal beim WDR nach. Die Verantwortlichen des Senders hatten erst kürzlich wieder Nachholbedarf offenbart, als sie eine Fernsehdiskussion zum Thema „Zigeunersoße“ (ja, wirklich) mit gänzlich unqualifiziertem Personal führten, darunter Sitcomgesicht Janine Kunze und ein Mann, den man als „Big-Brother-Jürgen“ kennt. Ein unbedarftes Geplapper mit starkem Ausschlag auf der nach unten offenen Dieter-Nuhr-Skala.

Wer das gesehen hat oder die gesellschaftspolitische Debatte im Nachhinein verfolgte – Kunze entschuldigte sich reichlich unglaubwürdig via Instagram, der ebenfalls beteiligte Thomas Gottschalk scheint, herbstblonden Hauptes erhoben, eh über alle Zweifel erhaben zu sein –, der dürfte interessiert sein an einem Buch, das bessere Debatten über Rassismus ermöglichen möchte. Der Journalist Mohamed Amjahid hat es geschrieben „für alle weißen Menschen, die einen Wandel herbeiführen wollen“, wie es gleich zu Beginn heißt. Man würde so ein Buch als Gegner jeglichen Rassismus, als Befürworter von Wandel und Ablehner aller Big-Brother-Jürgens gern uneingeschränkt gut finden. Leider ist „Der Weiße Fleck“ das aber nicht.

Amjahid arbeitete für “Spiegel„ und “Zeit"

Dabei kann man Amjahid mitnichten vorwerfen, nicht ordentlich recherchiert zu haben. Auf gut 200 reichhaltig mit Fakten, Thesen, Meinungen und Anekdoten beladenen Seiten breitet der Autor seine Gedanken in neun abwechslungsreichen Kapiteln aus. Amjahid, Jahrgang 1988, weiß, was er tut: Als Reporter ist er für den „Spiegel“ und die „Zeit“ im Einsatz gewesen, 2018 erhielt er als Teil eines Investigativteams den Henri-Nannen-Preis, eine der wichtigsten Auszeichnungen im Journalismus. Schon in seinem Vorgängerbuch „Unter Weißen“ hat er sich 2017 mit Alltagsrassismus und Ausgrenzungserfahrungen auseinandergesetzt. In seinem Vorhaben, teils subtile rassistische Verhaltensweisen sichtbar zu machen und die jeweiligen Problemwurzeln zu ziehen, geht Amjahid dann auch sehr motiviert zu Werke. Ein Beispiel: Obwohl es womöglich gut gemeint ist, kann es durchaus schädlich sein, wenn sich weiße Menschen, die sich fleischlos ernähren, mit schwarzen Menschen solidarisieren und sich als Opfer einer ähnlichen Form der Unterdrückung stilisieren. Es gibt eben keinen „Rassismus gegen Veganer“, und Mohamed Amjahid kann das gut erklären.

Dennoch wird das Buch der Behauptung im Untertitel, es sei eine „Anleitung zu antirassistischem Denken“ nicht zufriedenstellend gerecht. Zumindest nicht, wenn man unter Anleitung eine Schrift versteht, die niedrigschwellig, vom Leser aus gedacht und mit einem gewissen Sinn für didaktisches Feingefühl daherkommt. Amjahid hat, was ihm sehr bewusst sein dürfte, mit „Der Weiße Fleck“ eher eine Selbstermächtigung geschrieben. Voraussetzungsarm ist das Buch jedenfalls nicht, wenn man als weißer Wissbegieriger (der hier ja die Zielgruppe sein soll) noch nicht allzu tief in den Diskursen und ihren sprachlichen Raffinessen steckt. Immerhin: Für alle Leser, die von Ally, PoC oder Othering noch nicht direkt abgeholt werden, gibt es ein gut aufbereitetes Glossar.

Stil wie auf Twitter

Viel schwerer wiegt die Vermutung, der Autor könnte gar nicht so sehr daran interessiert sein, seine Leser bei der Hand zu nehmen, sondern ihnen so oft wie möglich auch mal grinsend eins reinzuwürgen. Jedenfalls ist Amjahids Stil geprägt von der süffisanten Art, die jene Leute auf Twitter zeigen, die sich sehr sicher sind, recht zu haben. Womöglich hat Amjahid das hier sogar oft, es handelt sich wie gesagt um sein Fachgebiet.

Die Polemik ist natürlich Strategie, man kennt das auch aus anderen Aufklärungswerken wie „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Sow: Sie sollen weißen Lesern nicht zu sanft, nicht zu süß runtergehen, die Irritation und stellenweise auch Provokation ist Programm. Ob das immer die richtige Taktik ist, um Verbündete im Kampf gegen Rassismus zu gewinnen, erscheint mindestens fraglich.

Fragwürdige Provokationen

Einerseits, weil Amjahid seine wirklich klugen Überlegungen regelmäßig mit Passagen durchbricht, die eigentlich nur absichtsvoll dumm sein können. Etwa: „Meine Mutter hat als Putzfrau im wahrsten Sinne die Scheiße von reichen und einflussreichen Almans gegen einen Hungerlohn weggeschrubbt. Dass ihr Sohn nun als Autor in Deutschland gut bezahlt wird und sie in exzellente Restaurants und auf Reisen einlädt, ist das Mindeste, was diese Gesellschaft zurückgeben kann (…). Hier geht es mir schlicht um Reparationen.“

Andererseits – und das greift tiefer als die Kommunikationsform Polemik – wird Amjahid auch inhaltlich unsauber. So erklärt er in einem Teil des Buches, das nur Angehörige einer diskriminierten Gruppe für diese Gruppe sprechen sollten (etwa Schwarze für Schwarze oder Behinderte für Behinderte). Um in einem anderen Teil als Mann zu bestimmen, wie der Feminismus zu sein habe – nämlich intersektional, also auch mit Blick auf rassistische Muster.

Es darf keine unhinterfragbaren Positionen geben

Das Kunstwort „Nafri“ für „Nordafrikaner“ darf Amjahid nach eigener Auskunft satirisch benutzen, Weiße dürften das nicht – „so einfach ist das“. Man mag geneigt sein, dem zuzustimmen, aber derartige Setzungen ohne Begründung werden eher die einschwören, die das Buch nicht mehr brauchen, weil sie die Thesen eh längst verinnerlicht haben.

In der Einführung bedankt sich Mohamed Amjahid noch bei den Lesern, die bereit waren, Geld für das Buch auszugeben – um sie alsbald mit jeder Menge leserunfreundlicher und ungefilterter Aggression zu konfrontieren. Die Kritik daran würde Amjahid vermutlich „weiße Tränen“ oder gar „Tone Policing“ („Tonpolizei“) nennen. Unhinterfragbare Sprechpositionen sollte es aber auch in dieser Diskussion nicht geben.

Mohamed Amjahid: „Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken“, Piper Verlag, 224 Seiten, 16 Euro

Von unserem Reporter Finn Holitzka