Dieser Ohrwurm lässt sich so schnell nicht vergessen: Eine einzige Nummer, das Lied des Postillons Chapelou, hat sich aus Adolphe Adams komischer Oper „Le postillon de Lonjumeau“ zumindest im Repertoire der Wunschkonzerte gehalten. Dabei war das Geschehen um den sangesbegabten Postdienstleister, der in der Hochzeitsnacht seine Braut sitzen lässt, um in der Hauptstadt eine Karriere als Sänger zu starten, nach der Pariser Uraufführung 1835 ein Publikumserfolg, und dass der Sänger der Hauptpartie in seinem Postillon-Lied sogar bis aufs hohes D klettern muss, hat dazu gewiss beigetragen.
Der italienische Tenor Francesco Demuro, der die Partie des Postillons in der Premiere an der Oper Frankfurt sang, erreichte diesen Spitzenton vermeintlich mühelos und perfekt gestützt. Solche Effekte waren in der Inszenierung von Hans Walter Richter, langjähriger Spielleiter an der Oper Frankfurt, jedoch kein vokalakrobatischer Selbstzweck, sondern klug eingebunden in eine Inszenierung, in der die Theaterwelt sich selbst bespiegelt.
Theater auf dem Theater
Wie schon bei den Tiroler Festspielen in Erl, wo Richter und sein Ausstatter Kaspar Glarner den „Postillon von Lonjumeau“ 2021 inszeniert hatten, steht im Zentrum der nun nach Frankfurt übernommenen Produktion ein Theater auf dem Theater, ein großer Kasten mit vielen Seilwinden, der in Handarbeit drehbar ist und erst die dörfliche Welt von Lonjumeau, später eine Opernbühne oder auch den Kronleuchter eines Schlosses preisgibt. Denn aus Madeleine, der Braut, die hier mit dem hübschen Kulisseneffekt einer in den Bühnenhimmel entschwebenden Postkutsche verlassen wurde, ist zehn Jahre später eine reiche Erbin alias Madame de Latour geworden.
Indem Richter und Glarner das Geschehen im Spätbarock ansiedeln, greifen sie einerseits die nostalgische Note auf, die die Oper schon bei der Uraufführung hatte – immerhin spielt sie ungefähr 70 Jahre vor der Uraufführung, also noch vor der Französischen Revolution. In Frankfurt ist eingangs die Sprechrolle des Königs Louis XV hinzuerfunden (Wolfgang Gerold), der den Marquis de Corcy, Intendant der Pariser Oper, mit absolutistischer Deutlichkeit dazu zwingt, einen neuen Gesangsstar ausfindig zu machen; diese Rolle wird der tief auf dem Land, eben in Lonjumeau, entdeckte Chapelou einnehmen.
Ein Augenzwinkern Richtung Wagner
Dass er in der verspielten, nie staubig musealen Inszenierung vor lauter Kulisse, Pomp und Perücke irgendwann den Durchblick verliert, lässt sich nur zu gut verstehen. So merkt er es gar nicht, dass die ausladende Madame de Latour, die er zum Schein heiratet, seine eigene, einst verlassene Braut ist. Die moralische Empörung, die später über die vermeintliche Bigamie aufkommt, lässt beinahe schon den Biss Jacques Offenbachs ahnen. Und indem in Frankfurt der zum Opernstar Saint-Phar aufgestiegene Postillon ein paar Takte der Brautgemachs-Musik aus Richard Wagners „Lohengrin“ anstimmen darf, erinnert Regisseur Richter verspielt an einen Komponisten, der Adam sehr schätzte.
Die Inszenierung überspielt nicht, dass Adams Musik viel Konventionelles birgt. Eine starke Aktualisierung würde solche Meterware des frühen 19. Jahrhunderts vermutlich erdrücken. Als Grundlage für ein Theater auf dem Theater, in dem ein Opernchor streikt und einen kranken Opernchor spielt, in dem Intriganten sich in Bühnenschnüren verheddern und am Rande auch Geschlechterrollen aufgehoben werden, ist sie jedoch höchst dankbar. Und teils auch enorm schwer zu singen: Sopranistin Monika Buczkowska-Ward löst als verlassene Braut ihren Zwiespalt zwischen Rachelust und Zaudern grandios in souveräne Koloraturen auf, Jarret Porter ist als Marquis de Corcy ein Intendant mit noblem Bariton, und der federleichte Tenor Francesco Demuro fügt dem letzten der drei Akte sogar noch ein hohes E ein. Dann geht’s zurück aufs Land, nach Lonjumeau. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester hatte unter der Leitung des Erler Kapellmeisters Beomseok Yi die rustikalen Sphären ohnehin nie ganz verlassen.
Tickets und Termine unter www.oper-frankfurt.de