Bühne Inszenierung mit Verwirrungspotenzial: Staatstheater Mainz zeigt die Tragödie in der selten gespielten Seneca-Übersetzung
"Oedipus" am Staatstheater Mainz: Vom Ringen mit einem antiken Stoff
Gibt den Ödipus als weinerlichen und tyrannischen Egomanen: Daniel Friedl in der Mainzer Inszenierung des „Oedipus“. Foto: Staatstheater Mainz/Etter
Staatstheater Ma

Mainz. Die letzten Minuten ist es auf der Bühne und hinauf bis zum letzten Rang stockduster im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters. Das Publikum ist quasi mit Blindheit geschlagen – gleich König Ödipus, der sich eben die Augen ausriss. Es sieht wie er nicht, sondern hört nur, dass Königin Iokaste sich das Schwert des Gemahls und zugleich Sohnes in den Leib bohrt. Und es lauscht im Dunkel seiner finalen Erkenntnis, er habe nun mehr geleistet als selbst die Götter ihm schicksalhaft prophezeit: Zu unwissentlichem Vatermord und Blutschande mit der Mutter setze er die Schuld am Selbstmord der Muttergattin.

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Mainz gibt die Tragödie „Oedipus“. Allerdings nicht die bekannte Fassung des Griechen Sophokles aus dem Jahr 428 v. Chr. Regisseur Marcus Lobbes hat die fast ein halbes Jahrtausend später entstandene Version des römischen Philosophen Seneca gewählt. Die wird in der Neuzeit sehr selten gespielt, gilt in Theaterkreisen weithin als die schlechtere. Darüber gehen unter Gelehrten die Meinungen auseinander.

Wo ist der Unterschied?

Dem gemeinen Theaterfreund fällt es derweil schwer, überhaupt nur die Unterschiede auszumachen. Er ringt wie stets bei den antiken Stoffen vor allem mit den Mühen des Begreifens, wer da was wann warum mit wem zu schaffen hatte.

Rasch wird in Mainz deutlich: Kaiser Neros einstiger Lehrer Seneca macht es dem Zuseher nicht einfacher als Sophokles. Im Gegenteil. Also bleibt für Theatermacher unserer Tage auch in diesem Falle die Herausforderung, die verhandelte Sache inszenatorisch einem Publikum aufzuschlüsseln, das im Unterschied zu den Zusehern der Entstehungszeit nicht von Kindesbeinen an mit den mannigfachen Verwicklungen des antiken Sagenbestandes vertraut ist. Lobbes bedient sich dazu eines Tricks – der leider mehr verwirrt als erhellt: Das siebenköpfige Ensemble spielt nicht den „Oedipus“, sondern zeigt, wie Schauspieler von heute das alte Stück vorführen.

Wie im Museum

Man kommt sich vor wie ein Museumsbesucher, dem eine szenische Ausstellungsstation die Ödipus-Saga demonstriert. Immer wieder fällt dabei das Auge auf kleine „Fehler“. Die Protagonisten tragen zum Griechenkostüm Turnschuhe. Der Bühnenraum (ebenfalls Lobbes) erinnert an einen Salon antikevernarrter, aber recht stilunsicherer Klassizisten. Im Verlauf der Aufführung fischen sich dann „Museumsführer“ einige Leute aus dem Publikum, die auf der Bühne im vermeintlichen Ödipus-Palast mehr von der Geschichte des Unglückseligen erzählt bekommen.

Zu Anfang des Abends liegt der Titelheld in gar nicht antikem Pyjama mit Iokaste (Leoni Schulz) zu Bette – und jammert wie ein verzogenes Bübchen über die Götter, die ihre Bosheit an ihm ganz allein auslassen. Ich, ich, ich, armer König: Die schiere Egomanie dieses Ödipus ist einer der Aspekte, die das Stück Senecas von dem des Sophokles unterscheiden. Daniel Friedl macht aus der Figur eine bald weinerliche, bald tyrannische Gestalt, die wohl nicht zufällig äußerlich an Darstellungen des jungen Nero erinnert.

An Aktion gibt es in diesen 90 Minuten eigentlich nicht sehr viel. Getragen wird die Vorstellung von langen Erzählungen und Botenberichten über Ereignisse anderwärts sowie umständliche Deklamationen des Mitkönigs Kreon (Klaus Köhler) über neue Erkenntnisse im Kriminalfall „Vatermord“. Dieser die antiken Dramen ohnehin dominierende Umstand scheint bei Seneca noch stärker ausgeprägt als bei Sophokles. Und der Mainzer Regie fällt dazu auch nicht mehr ein, als den Reden ihren Lauf zu lassen und dazwischen ein paar hübsche, symbolisch bis schalkhaft aufgeladene Aufzüge und Stellungswechsel einzubauen.

Karten gibt es unter Telefon 06131/285 12 22 und unter www.staatstheater-mainz.com

Von unserem Autor Andreas Pecht