Neuproduktion "Nothing" von Choreograf Roy Assaf am Mainzer Staatstheater zur Premiere vom Publikum bejubelt
Neuer Ballettabend in Mainz: Tanzvergnügen voller Lebensfreude
Eine beglückende Stunde Tanz: „Nothing“ am Staatstheater in der Landeshauptstadt Foto: Andreas Etter
Andreas Etter

Mainz. Eine Stunde nur dauert die jüngste Tanzproduktion am Staatstheater Mainz. Aber es ist eine beglückende Stunde. „Nothing“ nennt sich die vom israelischen Choreografen Roy Assaf mit der tanzmainz-Compagnie kreierte Arbeit. Doch die ist alles andere als ein Nichts. Sie steckt voller Witz, Sinnlichkeit sowie tänzerischer Leistungen auf sehr hohem Niveau. Sieben Frauen und sieben Männer in Badeanzügen und -hosen tanzen, plappern, singen eine sprühende Dichte von Bildern, Szenen, Sequenzen über Menschliches und Allzumenschliches.

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Das Stück beginnt in völliger Stille und sehr, sehr langsam. Nacheinander schreiten oder tasten sich die Akteure auf die seitlich von großen Blöcken, hinten von einem dreistufigen Treppenabsatz begrenzte Bühne (Ausstattung ebenfalls Assaf) des Kleinen Hauses. Sie halten die Hände vors Gesicht und erstarren zu Statuen, deren Haltung einem vorkommt wie ein seltsamer Mix aus antiker Götterdarstellung und 1960er Bademodelpose. Über etliche Anfangsminuten geschieht sonst nichts. Da fragt sich der Zuseher: Was soll das? Was bedeutet das? Genau von diesem Gefühl aber – dass es den Sinn von „Nothing“ entdecken müsse – will Assaf das Publikum befreien. So steht es im Programmheft. Das ist doch mal eine Ansage, gescheiter als bisweilen manches Elaborat über choreografische Tiefsinnigkeiten und philosophische Höhen, von denen man nachher im Tanz herzlich wenig bemerkt.

Und siehe: Die Befreiungsabsicht funktioniert. Dabei hilft nicht zuletzt das eigentümliche Geplapper der Tänzer. Sie reden viel an diesem Abend – in Sprachen, die kein Mensch versteht, die es gar nicht gibt. Wie wir alle es als Kinder taten und fast alle Kinder es noch immer tun, erfinden sie eigene, scheinbar inhaltsleere Fantasiesprachen. In vielerlei geheimnisvollen Zungen sprechen, plaudern, säuseln, zetern, schwadronieren sie dann auf lebhafteste Weise über sich, die Welt und miteinander.

Dem kindlichen Spiel mit der Sprache entspricht das stets gleichzeitige Spiel mit dem Tanz. Besser gesagt: mit dem ganzen Tanzkosmos. Fast kein Stil, keine Schule, keine Bewegungskultur, die nicht aufgegriffen wird: vom klassischen Ballett bis zur zeitgenössischen Avantgarde, vom Volkstanz über Walzer, Fox, Tango, Disco bis Streetdance und Techno; Zärtlichkeit des Schmuseblues und kraftvolle Positionen diverser Kampfsportarten inklusive. Allerdings sind diese Zitate hier nur noch winzige Splitter, die im Anschluss an die schiere Stillstandsphase des Anfangs zu einem ebenso launigen wie furiosen, vielgestaltigen Tempofluss ganz eigener Stilistik montiert werden.

Rasend schnell und mit scheinbar größter Leichtigkeit wechseln die Akteure Ausdrucksformen, Tanzarten, Anmutungen. Mattia de Salve etwa zerbröselt seinen Starker-Mann-Gestus zur weinerlichen Narretei. Nora Monsecour und Jorge Soloa Batisda geben ein Paar, bei dem stark und schwach, lieblich und kantig, willig und unwillig von einem Bewegungsmoment zum nächsten die Person wechseln. Das Prinzip der schnell und fließend sich verändernden Kontrastierung zwischen Kraftgestus, Verspieltheit, Frivolität und ironischer Lachhaftigkeit bis hin zu tänzerischer Comedy durchzieht auch die in hinreißend unverkrampfter Akkuratesse realisierten großen Formationen.

Nicht erst als die Tänzer in der Schlussphase ein Potpourri von Pophits auch noch selbst singen und im Tanzausdruck persiflieren, wird deutlich: Diese Arbeit macht den jungen Leuten der Mainzer Compagnie so richtig Freude – und sie strotzt auch vor Lebensfreude. Die überträgt sich auf das schließlich jubelnde Uraufführungspublikum. Das hat bei dieser wunderbaren Produktion die Frage „Was soll es bedeuten?“ über die Faszination des bloßen Schauens bald vergessen. Wo sie nachher doch wieder auftaucht, gilt Roy Assafs Ansinnen, dass sein Stück „Fantasie produziert und hoffentlich freisetzt“. Das tut es.

Karten und Tickets unter Tel. 06131/285 12 22

Von unserem Autor Andreas Pecht