Vor gut 80 Jahren setzten amerikanische GIs über den Rhein und vertrieben das letzte Aufgebot der deutschen Wehrmacht aus unserer Region. Hinter der Front reiste ein Tross an Künstlern mit dem US-Militär, um die müden, abgekämpften oder verletzten Soldaten zu unterhalten und neu zu motivieren. Bekanntestes Mitglied des Ensembles war Hollywood-Star Marlene Dietrich, die von Belgien und Frankreich kommend auch in unserer Region auftrat. Ein großformatiger, aufwendiger Bildband mit 124 Fotografien, meist aus Dietrichs Nachlass, dokumentiert nun den Einsatz der Diva: „Marlene Dietrich an der Front“ ist ein lesenswertes und spannendes Stück Zeitgeschichte.
Die GIs in ihrem Kampf gegen Hitler-Deutschland zu unterstützen, war für die überzeugte Antifaschistin mehr als eine Pflichtübung. Nachdem die Nazis 1933 die Macht übernommen hatten, war Marlene Dietrich nicht mehr aus den USA in ihre ursprüngliche Heimat zurückgekehrt. Auch das Werben von Chefpropagandist Joseph Goebbels um die Schauspielerin und Sängerin, die mit dem Film „Der Blaue Engel“ Anfang der 1930er-Jahre zum Weltstar wurde, hatte sie abgelehnt; 1939 nahm sie die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Nach Beginn des Krieges gegen die USA unterstützte sie ab 1941 auch finanziell den Kampf gegen Hitler.

Zusammen mit vielen anderen US-Stars trat sie dann als Truppenbetreuerin in der United Service Organization zunächst in Nordafrika und Italien, dann auch in Frankreich, Belgien und schließlich Deutschland auf. Neben US-Truppen zählten teils auch deutsche Kriegsgefangene zu ihrem Publikum. Für Dietrich war ihre Zeit als Soldaten-Unterhalterin „das einzige Wichtige, das ich je getan habe“, wie Buchautor Reiner Burger schreibt. Und in der Dokumentation „Marlene“ erklärte sie später klar und deutlich: „Natürlich waren wir gegen die Nazis. Natürlich waren wir das. Erfordert es Mut, um Stellung zu beziehen? Nein.“
Also trug die Diva, die zuvor bereits Hosenanzüge für Frauen als Kleidungsstück salonfähig gemacht hatte, hinter der Front wie selbstverständlich wieder Hosen – diesmal jedoch Armeekluft. So ist sie an der Höckerlinie des Westwalls in der Eifel zu sehen, vor einem zerstörten Haus in Aachen, wo sie, von Ratten geplagt, übernachten musste. Und schließlich gibt es Bilder vom ersten Auftritt in Deutschland, Ende November 1944 in Stolberg. Dass sie und ihre Kollegen nur wenig später durch Hitlers Ardennen-Offensive im deutsch-belgischen Grenzgebiet knapp einer Gefangennahme entgingen, sei hier ebenfalls erwähnt. Immer den US-Truppen folgend, gastierte sie im März 1945 in Kirchheimbolanden im heutigen Rheinland-Pfalz und im fast völlig zerstörten Frankfurt am Main.

Nicht von allen diesen Stationen gibt es in „Marlene Dietrich an der Front“ fotografische Dokumente. Neben den Aufnahmen, die zu Zwecken der Kriegspropaganda produziert wurden und auf denen die Dietrich beim Ausheben von Schützengräben oder vor Fallschirmjägern gezeigt wurde, sind es vor allem die Schnappschüsse vom Leben hinter der Front, die den Bildband zu etwas Besonderem machen.
Sie erinnern an das in Trümmern liegende Deutschland, an einen ungeschminkten Star zum Anfassen, der in Kinosälen, auf offenem Feld oder der Ladefläche eines Lastwagens auftrat. Nach 1945 wird Marlene Dietrich auch für ihr Engagement im Krieg international vielfach geehrt. Als sie im Jahr 1960 für einige Konzerte wieder nach Deutschland kommt, sind die Reaktionen zweigeteilt: Die einen feiern sie bei ihren Auftritten mit Ovationen, andere diffamieren sie noch für etliche Jahre als „Landesverräterin“.
Reiner Burger: „Marlene Dietrich an der Front“, Greven Verlag, 159 Seiten, 38 Euro