Freiluftoper in Koblenz
„Madama Butterfly“: Neue Sicht auf große Gefühle
Cio-Cio-San (Hanxi Yang, vorn links) und Marineoffizier Pinkerton (Matthew Vickers, vorn rechts) heiraten: Hoffnung aus ein Leben ohne Repression für sie, Aussicht auf ein unverbindliches Abenteuer für ihn. Die neue Koblenzer Produktion von "Madama Butterfly" eröffnet interessante Sichtweisen auf die beliebte Puccini-Oper.
Matthias Baus für das Theater Koblenz

Die Neuproduktion des Theaters Koblenz erzählt Puccinis Operntragödie über eine junge Japanerin, deren Liebe zu einem Amerikaner an kulturellen Missverständnissen scheitert, in starken Bildern und in einer erhebenden musikalischen Umsetzung.

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Da sage noch mal jemand, Oper sei eine verstaubte Kunstform mit Musik zu Geschichten, die heute niemanden mehr interessieren. Der Beweis des Gegenteils ist bis zum 13. Juli noch viermal auf der Koblenzer Festung Ehrenbreitstein zu erleben mit der Neuproduktion von Giacomo Puccinis „Madama Butterfly“, mit der sich das Theater Koblenz in die Sommerpause verabschiedet. Intendant Markus Dietze inszeniert, am Pult des Staatsorchesters Rheinische Philharmonie steht der Koblenzer Theater-Chefdirigent Marcus Merkel.

Seit der verunglückten Uraufführung 1904 in Mailand hat sich die Geschichte der 15-jährigen Geisha Cio-Cio-San, genannt Butterfly, zu einer der beliebtesten Opern überhaupt gemausert. Die verarmte junge Japanerin geht mit dem amerikanischen Marineoffizier Pinkerton in der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft eine Ehe auf Zeit ein und gibt dafür ihre Kultur und Familie auf. Als er sie verlässt und Jahre später mit einer amerikanischen Ehefrau zurückkehrt, um ihr das gemeinsame Kind wegzunehmen, sieht Cio-Cio-San keinen anderen Ausweg als den rituellen Freitod.

Die Stimmung kippt: Hochzeits-Überraschungsgast Onkel Bonzo (Jongmin Lim, Mitte) hat erfahren, dass Butterfly in der amerikanischen Kapelle war. Sie gesteht, den christlichen Glauben angenommen zu haben - und wird von ihrer Familie verstoßen.
Matthias Baus für das Theater Koblenz

Inszenierungen von „Madama Butterfly“ können zu jeder Zeit ein Gradmesser für die Bedeutung von Themen wie Exotismus, Rassismus und andere mehr sein. Entwachsen aus der Begeisterung seiner Epoche für alles Fernöstliche, hat Puccini seiner Titelheldin und überhaupt der ganzen Oper einige Züge mitgegeben, die im schlimmsten Fall Überheblichkeit des Westens, oft aber zumindest eine ausgeprägte Ignoranz begünstigen können. Das öffnet Interpretationen Tür und Tor, die die junge Japanerin als grenzenlos blauäugig und naiv zeichnen, als unterwürfig gegenüber dem von ihr verehrten Ausländer. Und es gibt im gesungenen Text Zeilen, die schon immer beim Hören wehgetan haben sollten, wenn etwa Offizier Pinkerton im Angesicht der Verbindung mit der erst 15-Jährigen diese als Spielzeug bezeichnet, sein ungeduldiges Begehren nicht einmal zu kaschieren versucht und darüber fabuliert, dass er irgendwann ja doch eine „echte, amerikanische“ Ehefrau haben wird.

Die neue Koblenzer Festungsproduktion hat all das bedacht, im Programmheft angerissen – und daraus doch kein verkopftes Konzepttheater gemacht. Denn Regisseur Dietze schließt an eine ebenfalls mögliche Lesart an, die schon bei Puccini angelegt ist: Man kann in der von Selbstbewusstsein und Patriotismus trunkenen Attitude des US-Offiziers durchaus, musikalisch deutlich ausformuliert, eine Kritik heraushören. Und der in Nagasaki stationierte US-Konsul Sharpless weist Pinkerton auf die echten Gefühle des Mädchens hin, versucht, seinen Landsmann zum Nachdenken zu bewegen. Das sind einige von vielen kleinen Momenten, die in Koblenz herausgestellt werden. Betont wird auch die Stärke der jungen Frau, die durch den Freitod des Vaters ihre soziale Stellung verloren hat und sich von der Ehe mit dem Amerikaner die Befreiung von unterdrückenden Gesellschaftsnormen erhofft. Umso logischer erscheint am Ende ihr eigener – szenisch etwas verrätselter – Freitod, wenn Cio-Cio-San einsieht, dass ihre Hoffnung nur Illusion war. Kompromisse kann es in diesem Konstrukt nicht mehr geben.

Auch das Bühnenbild wird in "Madama Butterfly" zum Star: Christian Binz spielt mit von innen beleuchtbaren Kunststoffkanistern auf traditionelle japanische Architektur an, nach Anbruch der Dunkelheit fallen die Farbwechsel sehr effektvoll aus.
Matthias Baus für das Theater Koblenz

Für all das hat Bühnen- und Kostümbildner Christian Binz eine Bühne aus von innen farbig beleuchtbaren Kunststofftanks geschaffen, die auf traditionelle japanische Architektur verweist. Die Kostüme changieren zwischen Armee-Tristesse für die Amerikaner über knallig zirkusbunt für die japanische Gesellschaft bis zur schlichten Haute-Couture-Anmutung für Butterfly – und bieten hohe Schauwerte.

Diese komplettieren sich mit der erhebenden musikalischen Umsetzung zu einem starken Gesamtpaket: Wie Marcus Merkel mit der Rheinischen Philharmonie – auf der Bühne unsichtbar platziert – loslegt, zeigt schon nach wenigen Momenten die große Qualität des Abends auf. Sein Dirigat ist effektsicher, aber nicht effektheischend – ganz nahe dran am Gesangsensemble, das ihn nur über Bildschirme sehen kann. Chordirektor Lorenz Höß hat seine Sängerinnen und Sänger zu beachtlicher Präzision einstudiert, mit denen die Abstimmung ebenso gut funktioniert wie mit der Riege der Solistinnen und Solisten, die bei der Premiere vom Publikum gefeiert wurden.

Über besonders großen Premierenapplaus durfte sich die Sopranistin Hanxi Yang bei ihrem Rollendebüt in der Titelpartie von Puccinis "Madama Butterfly" freuen: Die junge, aus China stammende und in Italien lebende Sängerin punktete mit großer Kondition und einer nimmermüden, frischen Stimme.
Matthias Baus für das Theater Koblenz

Über besonders großen Applaus durfte sich Hanxi Yang in der Titelpartie freuen: Die junge, aus China stammende und in Italien lebende Sopranistin feierte in Koblenz ihr Rollendebüt als Butterfly – und das mit einer nimmermüden, attraktiven Stimme und beachtlichen Reserven für die dramatischen Ausbrüche der Partie. Ihr Bühnenpartner, der Tenor Matthew Vickers, ist seit zwei Spielzeiten fest am Darmstädter Staatstheater engagiert und bereits ein erfahrener Pinkerton-Interpret: Ihm ist keine der stimmlichen Herausforderungen anzumerken, die er mit Höhensicherheit und mit großer Klangschönheit bewältigt. In solchem Wohlklang könnte man beinahe vergessen, welch zwiespältigen Charakter er eigentlich darzustellen hat.

Als Butterflys Dienerin Suzuki überrascht die vielseitige Mezzosopranistin Haruna Yamazaki aus dem Koblenzer Opernensemble mit glutvoll-dramatischer Emphase. Und ihr Kollege, der Bariton Christoph Plessers, lässt sich als Konsul Sharpless intensiv auf seine moralische Schlüsselfunktion in dieser Inszenierung ein, wird zum tragisch scheiternden Vermittler zwischen zwei Kulturen und gewinnt dabei über den Abend auch stimmlich nachdrücklich an Profil. Ein erfreuliches Wiedersehen gibt es mit dem Tenor Junho Lee, der mit frischer Stimme und engagiertem Spiel als zwielichtiger Heiratsvermittler Goro nach Koblenz zurückkehrt. Als Bass ist Jongmin Lim (aus dem Koblenzer Hausensemble) auf Bösewichte abonniert und gibt davon eine souveräne Kostprobe in der kleinen, aber prägnanten Partie des Onkel Bonzo in dieser ebenso sehens- wie hörenswerten Produktion, die auf musikalischem bombenfestem Fundament neue Sichtweisen aufzeigt.

Vorstellungen am 9., 11., 12. und 13. Juli jeweils um 20 Uhr mit wechselnden Besetzungen in den Hauptpartien, Infos und Tickets unter www.theater-koblenz.de