Müsste man ein Werk benennen, an dem sich die künstlerische Intention Luisa Heinz’ am deutlichsten ablesen lässt, wäre „Groteske“ wohl nicht die schlechteste Wahl: Ein Alu-Dibond-Druck, auf dem die Bildhauerin als eine Art Zwischenwesen in Erscheinung tritt, im tiefen Schnee liegend, bedeckt mit Tierfellen, vor dem Gesicht ein Fuchskopf hinter dem schaurigen Schädel eines Rehs. Der menschliche Körper, er zeigt sich hier animalisiert, natürlich und künstlich zugleich, ist keiner vertrauten Gestalt mehr zuzuordnen und erwächst aus dieser Fluidität zu einem neuen, wundersamen Wesen.
Fließend, vieldeutig, auch kontrastreich ist so ziemlich alles bei Luisa Heinz. Die Gegenwart empfindet die Künstlerin als krisenhaft – vor allem unseren Umgang mit der Natur –, das anthropozentrische Weltbild als anmaßend, weshalb sie die Grenzen zwischen menschlichen und nicht menschlichen Lebewesen in ihren Arbeiten immer wieder auslotet – und schließlich auflöst –, in Umwandlungsprozessen stets auch den Grundlagen unserer Existenz nachspürt und all das in den Rahmen der philosophisch motivierten Frage stellt, „was es bedeutet, heutzutage ein sich entfaltender, bewusster Mensch zu sein, der in Beziehung zu sich und seiner Umwelt lebt und wächst“, wie sie erklärt.
In kreativer Verwandtschaft zu Jacqueline Diffring
Es sind komplexe Themen, die Heinz in ihren Skulpturen, Performances und Bildern verhandelt, zugleich aber eben auch sehr alltagsnah, gegenwärtig. Und damit in direkter kreativer Verwandtschaft zum Werk der jüdischen Bildhauerin Jacqueline Diffring (1920–2020), die aus Koblenz einst von den Nazis vertrieben wurde, zu ihrer Geburtsstadt erst kurz vor ihrem Tod wieder eine Bindung fand – und dort heute auch dank der Verwaltung des Nachlasses durch das Mittelrhein-Museum (MRM) wieder präsent(er) ist.
„Die Auseinandersetzung des Menschen mit seinem Umfeld, mit alltäglichen Themen findet sich so auch bei Jacqueline Diffring“, sagt MRM-Direktor Matthias von der Bank über die Parallelen zu Luisa Heinz und verdeutlicht: „Diffring hat ihre Gegenwart, vor allem natürlich die Erfahrungen während der NS-Zeit, ebenfalls als krisenhaft wahrgenommen und in ihrer Kunst versucht, aus diesem Empfinden heraus Formen und Bilder zu schaffen, sich in diesen auch als Mensch zu verorten.“
Von der Baumkrone zum Lymphsystem
Dass Lusia Heinz nun mit dem an junge, zeitgenössische Kunst adressierten Diffring Preis für Skulptur ausgezeichnet wurde – und ihre Arbeiten zu diesem Anlass im Mittelrhein-Museum zeigt – erscheint vor diesem Hintergrund nur folgerichtig. Auch weil die fünfköpfige Jury um von der Bank unter den 67 Bewerbungen zwar nach Verbindungen zu Diffring gesucht habe, wie er sagt, doch: „Wir wollten keine Nachahmer, sondern Künstlerinnen und Künstler, bei denen eine eigenständige Position sichtbar ist.“
Was auf Luisa Heinz zweifellos zutrifft und sich in der Ausstellung schließlich im bereits beschriebenen Duktus fortsetzt: Vielgestaltig und deutungsreich ist etwa auch der „Outlines“ betitelte Siebdruck auf Kunstleder, für den die 28-Jährige die Nahaufnahme einer blattlosen Baumkrone auf den Kopf gestellt und auf diese Weise gewissermaßen transformiert hat in das Abbild von Adergeflechten oder Lymphsystemen.

Mensch und Natur verschwimmen somit auch hier wieder, werden eins in Harmonie, koexistieren auf dem ledernen Untergrund, der wiederum „die Haut eines Tieres imitiert“, wie Heinz über das „Wechselspiel zwischen Material und Druck“ sagt, um zu präzisieren: „Es geht hier um die Funktion der Haut, die das Innere vom Äußeren schützt, es verdeckt, während das innere System in dieser Arbeit aber eben auch sichtbar wird.“
Dabei ist es gerade diese (zweite) Haut, die im Werk der Künstlerin in regelmäßiger Taktung auftritt, von ihr vor allem als „transformatives Potenzial“ verstanden und genutzt wird, das exemplarisch auch in der Installation „New surroundings“ erkennbar wird: drei Overalls, die gleichermaßen als tragbares Kleidungsstück oder eigenständiges Objekt betrachtet werden können, in die Heinz organische Strukturen wie Äste oder Blätter eingeschrieben hat mithilfe der Frottagetechnik.

Die menschliche Umgebung wird infolge dieser hybriden Verflechtung zum festen Bestandteil der zweiten Haut, des Textils, das seinerseits in einen Dialog trete mit unserer dritten Haut, den Wänden, wie die Künstlerin erklärt. In anderen Arbeiten erscheinen solche Hüllen derweil in Form dicker Grafitschichten: mal im Spannungsfeld zwischen Natur und Simulation, wenn etwa die organische Masse eines Hirschgeweihs durch das mattierende Schwarz einen künstlichen Anstrich erhält.
Dann wieder als Dialog zwischen verschiedenen Zeitformen, deren Reminiszenzen auf der Oberfläche einer massiven Keramikvase zusammenfinden – Handabdrücke der Künstlerin als haptische Zeugen der Gegenwart auf Grafit, über das Heinz sagt: „Das Mineral wurde für keramische Arbeiten bereits im Neolithikum verwendet, daher ergibt sich hier auch ein Rückbezug auf frühzeitliche Objekte der Menschheitsgeschichte.“

Sie untersuche in ihrem Schaffen „neue Formen und Verkörperungen der Koexistenz“, verfremde Objekte und erforsche auf diese Weise auch den „Grenzbereich zwischen Realität, Konvention und dem vielschichtigen Potenzial der Kunst“, liefert Heinz schließlich auch eine eigene Deutung ihrer Werke, deren ganze Bandbreite sich dann noch einmal in „Organ [of my] memory“ manifestiert, eine von Hirschgeweihen umschlossene Jacke zwischen Skulptur und performativem Objekt, fragilem Inneren und schützendem Panzer. Ein Gebrauchsgegenstand, der seines Nutzens beraubt und stattdessen aufgeladen wurde mit der Symbolik körperlichen Empfindens. Als weiterer heterogener Planet in einem Universum aus Zwischenwelten.
Die Ausstellung wird im Mittelrhein-Museum an diesem Sonntag, 29. Juni, um 11 Uhr eröffnet und ist dort in der Folge bis zum 28. September zu sehen. Zur Vernissage wird es um 13 Uhr zudem ein Künstlerinnengespräch mit Luisa Heinz geben. Weitere Infos – auch zum Begleitprogramm – unter www.mittelrhein-museum.de