Provisorien halten bekanntlich gern ewig: Diesen Sinnspruch könnte man auch auf Loriots „Ring an 1 Abend“ anwenden, der Beginn der 1990er-Jahre am Nationaltheater in Mannheim seine Premiere feierte. Wegen Sanierungsarbeiten konnte die eigentlich geplante szenische Aufführung des gesamten „Ring des Nibelungen“ Richard Wagners nicht stattfinden. Doch Wagnerfreunde sollten trotzdem auf ihre Kosten kommen – und das nicht nur durch konzertant aufgeführte Ausschnitte aus dem „Ring“-Zyklus, sondern auch durch eine humorvolle Moderation durch den großen deutschen Humoristen Vicco von Bülow (1923–2011), der unter seinem Künstlernamen Loriot eine weit umfassende Karriere als Cartoonist, Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur machte. Seiner Leidenschaft für klassische Musik verdankt die Musikwelt das Drei-Stunden-Konzentrat von Loriots „Ring an 1 Abend“, der seit seiner Uraufführung beinahe ununterbrochen in Mannheim auf dem Spielplan steht – und an zahlreichen anderen Bühnen mit großem Erfolg gezeigt wird.
Wie jetzt auch in Koblenz, wo der Anlass zumindest zum Teil ebenfalls eine Theatersanierung ist: Während das historische Große Haus ertüchtigt wird, ist der Hauptspielbetrieb ins Theaterzelt auf der Festung über der Stadt gezogen – und Großproduktionen wie diese „Ring“-Fassung werden in der Rhein-Mosel-Halle gezeigt. Denn nur hier kann das Staatsorchester Rheinische Philharmonie in XXL-Besetzung die musikalischen Muskeln spielen lassen – und das tut der Klangkörper unter Leitung von Theater-Chefdirigent Marcus Merkel dann in Sachen Wagner auch nachdrücklich und auf berückendem Niveau.

Doch zuerst noch einmal zurück zu Loriot – und doch auch ein Stück weg von ihm. Denn das Theater Koblenz hat sich dafür entschieden, diese Fassung nicht als Kopie des Originals (ein Erzähler sitzt, womöglich noch auf einem alten Sofa, Sänger und Sängerinnen treten rein konzertant auf) zu zeigen. Der Text der Moderation ist zwar der bekannte, doch Schauspieler Wolfram Boelzle, der den umfangreichen Text auswendig parat hat, hat so gar nichts mit dem unterkühlten, leicht ironischen Tonfall Loriots gemein – und gibt dem Erzählerpart seine ganz eigene, energievolle Note mit. Das funktioniert beim Premierenpublikum gut, keiner der wohlbekannten Lacher verfehlt seine Wirkung – und die prallen dreieinhalb Stunden des Abends gelingen überaus kurzweilig.
Auch sonst wird der Eindruck eines Konzerts nach Kräften vermieden, die Sängerinnen und Sänger treten in der szenischen Einrichtung von Inga Schulte situationsbezogen und in Kostümen (Kostüme und Raum: Mara Lena Schönborn) auf, singen mal von den Seitentreppen, mal viele Meter entfernt von der Bühne am anderen Ende der Halle: Für Abwechslung ist gesorgt, auch wenn das nicht immer einem perfekten Zusammenklang zugutekommt und mitunter intime musikalische Zwiegespräche in eine ungewohnte Distanz zwingt. Und da es in Koblenz ja keine bestehende „Ring“-Produktion gibt, aus der man Kostüme entleihen könnte, wird wild und bunt aus der Aufführungsgeschichte zitiert.

Im Zentrum steht aber auch hier das, was zu hören ist – und da legt das Theater Koblenz, das in Sachen Wagner traditionell mehr schultert, als man von seiner Größe her erwarten würde, mächtig Ehre ein. Da ist zum einen die Rheinische Philharmonie unter Leitung von Marcus Merkel: Diese Kombination hatte sich zuletzt schon in „Parsifal“ als glückliche Verbindung erwiesen. Merkel zeigt sich hier als sehr undogmatischer „Ring“-Interpret, wagt überraschend flotte Tempi ebenso wie das Auskosten von Längen – und kann sich auf ein sehr aufmerksam folgendes, brillant disponiertes Orchester verlassen. Da gelingen viele der orchestralen Höhepunkte wie der Beginn des ersten Akts der „Walküre“, Wotans „Feuerzauber“, „Siegfrieds Tod und Trauermarsch“ und schließlich der finale Weltenbrand in der „Götterdämmerung“, aus dem als Hoffnungszeichen das Liebesmotiv herausstrahlt, als bewegende Gänsehautmomente.
Alles andere als selbstverständlich ist, dass Koblenz einen Sänger im Ensemble hat, der die anspruchsvollen Heldentenorpartien des „Rings“ bewältigt: Tobias Haaks hinterlässt sowohl in den Ausschnitten als Siegmund wie auch als Siegfried einen hervorragenden Eindruck. Ebenfalls aus dem Hausensemble: Bariton Nico Wouterse bringt eine wohl dosierte Leistung ein, die leidenschaftlichen Ausdruck für die großen Momente der Wotan/Wanderer-Partie versammelt, An seiner Seite bringt Monica Mascus viel Erfahrung für ihre stimmlich völlig entspannte, vorbildlich wortverständliche Göttergattin Fricka mit, und Jongmin Lim ist mit seinem tiefen Bass ein „Götterdämmerungs“-Hagen nach Maß. Die junge Sopranistin Hannah Beutler führt als Woglinde mit bemerkenswert feiner Gestaltung und gleißenden Höhen das zusammen mit den Gästen Katarzyna Wlodarczyk (Wellgunde) und der tiefensatten Evelyn Krahe (Floßhilde) hinreißend gut besetzte Rheintöchter-Trio an. In der „Götterdämmerung“ punktet Beutler noch als Gutrune an der Seite von Bariton Lawson Anderson als Gunther, der in den Szenen aus „Rheingold“ als Alberich beeindruckende Stimmpräsenz und -eleganz beweist.

Schon in der vergangenen Spielzeit war Adréana Kraschewski in Koblenz für die Titelrolle in „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss verpflichtet – jetzt ist sie als üppig aussingende Sieglinde zu Gast. Noch eine Stimmgewichtsklasse höher ist Agnes Thorsteins verortet, eine aus Island stammende Sängerin, die nach dem Fachwechsel vom Mezzosopran zum dramatischen Sopran in Koblenz erstmals Brünnhilden-Luft schnuppert. Dass ihre Stimme in einer Transitionsphase ist, kann man dabei noch heraushören – die bemerkenswert ruhige Stimmführung, gepaart mit enormen, metallisch gleißenden Spitzentönen, lassen auf einen erfolgreichen Karriereweg der noch sehr jungen Sängerin hoffen.
Und für all diese Solisten ist Marcus Merkel am Pult ein höchst aufmerksamer Leiter und Begleiter: Eine insgesamt sehr starke Leistung, die Lust auf mehr macht. Besonders, wenn man im Hinterkopf behält, dass in Koblenz in der kommenden Spielzeit, welch Zufall, Wagners „Rheingold“ auf dem Spielplan steht. Auftakt zu einem Koblenzer Ring? Das will einem derzeit noch niemand bestätigen oder verneinen, es bleibt also beim Prinzip Hoffnung für Wagnerfreunde.
„Der Ring an 1 Abend“ steht noch am 22. Februar sowie am 16. und 17. April jeweils um 19 Uhr auf dem Spielplan, Infos und Tickets online unter www.theater-koblenz.de