Breitbach-Preisträgerin Marion Poschmann stellt sich und ihr Werk in Koblenz vor - mit bleibendem Eindruck
Literarische Schönheit im Rückspiegel: Über eine Lesung von Breitbach-Preisträgerin Poschmann, die nachhallt
Stadtschreiberin Marion Poschmann
Der von der Stiftung Joseph Breitbach und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz verliehene Joseph-Breitbach-Preis geht in diesem Jahr an Marion Poschmann. Vor der Verleihung nahm die Autorin ihre Zuhörer in der Buchhandlung Reuffel noch mit auf einen Streifzug durch ihr Werk.
Boris Roessler. Boris Roessler/dpa

Als „eine der radikalsten Dichterinnen unserer Zeit“ hatte die Jury des Breitbach-Preises Marion Poschmann gewürdigt – und ihre Entscheidung für sie etwa damit begründet, dass „ihre Lyrik und Prosa erkunden, was gemeinhin verborgen bleibt“. Bevor die Autorin die Auszeichnung entgegennahm, stand in der Buchhandlung Reuffel zunächst noch eine Lesung an, bei der Poschmann ein weiteres Argument der Jury – sie habe für die Kunst der Dichtung neue Maßstäbe gesetzt – eindrucksvoll bestätigte.

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Stadtschreiberin Marion Poschmann
Der von der Stiftung Joseph Breitbach und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz verliehene Joseph-Breitbach-Preis geht in diesem Jahr an Marion Poschmann. Vor der Verleihung nahm die Autorin ihre Zuhörer in der Buchhandlung Reuffel noch mit auf einen Streifzug durch ihr Werk.
Boris Roessler. Boris Roessler/dpa

Wie eine Preisträgerin, eine Ausnahmeliteratin tritt Poschmann dabei gar nicht auf an diesem Abend, besteigt fast schüchtern das kleine Podest im Scheinwerferlicht, grüßt mit ruhiger, zurückhaltender Stimme in die Runde – was in Gänze als Kompliment zu lesen ist. Neben ihr streckt sich auf einem Beistelltisch ein Bücherstapel gen Decke. Poschmann hat sich für die Lesung einiges vorgenommen. Sie habe, erklärt sie, zunächst nur ihre beiden jüngsten Veröffentlichungen vorstellen wollen, sich dann jedoch daran erinnert, dass der Breitbach-Preis ihr Gesamtwerk honoriere, und sich daraufhin entschieden, aus jedem ihrer Bücher ein kurzes Versatzstück vorzustellen. 14 Titel an der Zahl, für die sich mit der Verleihung des renommierten Breitbach-Preises nun gewissermaßen ein Kreis schließt.

Doch zuvor zieht Poschmann noch eine kleinere Schleife, blickt zurück auf ihren ersten Besuch in Koblenz 2018 – damals mit ihrem Japan-Roman „Die Kieferninseln“, der bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises kletterte. Nach ihrer Lesung in der Kulturfabrik, erinnert sich die Autorin, habe Reuffel-Geschäftsführer Robert Duchstein sie ins Hotel gefahren, auf Höhe des Koblenzer Theaters auf den klassizistischen Bau gedeutet und gesagt: „Falls Sie irgendwann mal den Breitbach-Preis gewinnen sollten: Dort wird er verliehen.“ Heiteres Gelächter.

Widerstandslos fließend

Jene Begebenheit, fügt Poschmann an, sei das Erste gewesen, an das sie nach dem Anruf der Jury gedacht habe. Kollektives Lächeln. Die 53-Jährige weiß, wie man das Publikum in seinen Bann zieht. Unter Verwendung gesprochener Sprache, vor allem aber mithilfe der geschriebenen. Was sie auf ihrem gut einstündigen Parforceritt durch das eigene Werk noch einmal mit Nachdruck unter Beweis stellt.

Das Besondere: Poschmanns Sprache ist so klar, derart widerstandslos fließend, narkotisch einnehmend, dass man die Qualität ihrer Texte oft gar nicht wahrnimmt, die Schönheit erst dann erkennt, wenn sie aufgehört hat zu lesen, das Rezitierte noch einmal widerhallt, im Rückspiegel sichtbar wird. Wohltuend ungewöhnliche Komposita wie „Magnetsinn“ oder „Tapetentüren“ wechseln sich dort ab mit chirurgisch präzisen – und auffällig farbenfrohen – Schilderungen von Menschen, Tieren, Landschaften. Hier eine Wortneuschöpfung, gleich darauf ein Satz so bildhaft und pointiert, wie er im Zusammenspiel der Gegensätze nur sein kann: Die Bronzestatuen, heißt es etwa in ihrem Erstling „Baden bei Gewitter“ (2002), stünden „in entspannter Haltung auf ihren Sockeln, Patina auf den Schultern wie Rückstände eines Bades in diesem grünlichen Wasser“.

Die Preisträgerin im Kurzporträt

Marion Poschmann – 1969 in Essen geboren, heute in Berlin wohnhaft – studierte Germanistik, Slawistik und Philosophie. Für ihre Prosa und Lyrik wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Peter-Huchel-Preis für deutschsprachige Lyrik, dem Literaturpreis der Stadt Bremen (insbesondere für den 2020 erschienenen Gedichtband „Nimbus“), dem Deutschen Preis für Nature Writing und dem Literaturpreis Wortmeldungen, der für kritische Kurztexte vergeben wird.

Ihre Romane „Die Sonnenposition“ (2013) und „Die Kieferninseln“ (2017) standen jeweils auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Poschmann ist unter anderem Mitglied der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur, der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste sowie der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Bei Suhrkamp erschien am Montag ihr neuer Roman „Chor der Erinnyen“.

Den – stets poetisch geprägten – Wahrnehmungs- oder Bewusstseinsroman, als den Poschmann ihre Prosa definiert, legte die Autorin schließlich schon in ihrem Debüt vor – mit dem sie in der Buchhandlung Reuffel nun auch ihre chronologische Werkschau eröffnet. Wobei der rote Faden, die verbindende Thematik zwischen den vorgetragenen Passagen gleich ein weiteres Kennzeichen ihrer Texte verrät – die Fähigkeit zur Selbstironie. Denn: Als einendes Motiv für ihre Lesung hat die Autorin widerspenstige Frauen ausgewählt, in „Baden bei Gewitter“ etwa Frau Mischke, die – gleichermaßen redselig und pragmatisch – feststellt, dass ihre Mitmenschen die Flucht ergreifen, sobald ihr Gesprächsfaden abreißt – und daraufhin kurzerhand beschließt, ihre Monologe einfach ohne Pause vorzutragen.

Weitaus weniger kommunikativ zeigt sich indes die Icherzählerin in Poschmanns „Hundenovelle“ (2008), eine menschenscheue Frau, die sich dem von ihr aufgenommenen Vierbeiner so lange anpasst, bis sie eines Tages selbst auf Händen und Knien durch ein Brennnesselfeld streift, ihre neu entdeckte Widerspenstigkeit in vollen Zügen auslebt, als sie einem kläffenden Spitz „ein bisschen Respekt beibringt“, ihn mit gesenktem Kopf von den kurzen Beinen stößt.

Das Volumen von Wolken und Geistern

Skurrile, von der Norm abweichende Figuren – sie haben ihren festen Platz in Poschmanns Werk, in ihrem Post-DDR-Roman „Die Sonnenposition“ (2013) allemal, in dem Arzt Altfried zur wichtigsten Bezugsperson für seine psychisch erkrankten Patienten wird, darunter jene Frau, die einst eine Formel zur Berechnung der Wolkendichte entwickelte – noch so ein wiederkehrendes Motiv in Poschmanns Œuvre –, der DDR-Führung allerdings zu eigensinnig daherkam und in besagte Psychiatrie eingeliefert wurde, wo sie, so heißt es im Buch, „wie gewollt den Verstand verlor“, bald nur noch die Volumina der Geister berechnete, die vor ihren Augen die Wände durchschritten.

Am Ende bleibt diese Betrachtung (natürlich) nur ein Ausschnitt einer bemerkenswerten Lesung, der widerspenstigen Frauen, die Poschmann in ihren Texten entwirft. Ob die Autorin selbst diesen Charakterzug vorweist? Schwer zu sagen. Ihre Sprache jedenfalls tut es nicht, ist vielmehr lieblich, versöhnlich, betörend. „Ausgehend von den unscheinbarsten Phänomenen“, urteilte die Jury über Poschmann, „helfen ihre poetischen Schilderungen, begrenzende Illusionen aufzugeben, den subtilen Verschiebungen der Wahrnehmung zu folgen und aufzuspüren, in welcher Welt wir leben und was uns verloren zu gehen droht.“ Wer daran je gezweifelt haben sollte, sah sich an diesem Abend eines Besseren belehrt. Bei der Lesung mit Marion Poschmann, der verdienten Gewinnerin des Joseph-Breitbach-Preises.