„Lichte Nächte“ hat Ballettchef Steffen Fuchs seine drei Choreografien überschrieben. Deren erste ruft bei Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“ die Compagnie zu vergnüglichem Treiben auf die Bühne. Weil die Handlungszeit aber schon auf Mitternacht geht, sind alle hin- und hergerissen zwischen Schläfrigkeit und Ausgelassenheit – was tänzerisch zu einem oft Schmunzeln machenden, reizvollen Wechselspiel führt von Erschlaffen, Verstolpern, Einschlummern hier und Munterwerden, Konzentrieren, Loslegen da.
Fuchs hat diesem Teil eine Entwicklungsdynamik verpasst, die immer mehr Akteure der Müdigkeit entreißt. Diese verbinden sich fortschreitend zu markanten Formationen von einnehmender Präzision bei zugleich wunderbarer Leichtigkeit – die sich schlussendlich in einer übermütigen Kissenschlacht wieder auflösen.
Kinderstimmen und Geigenflirren
Inmitten all dessen zeigt sich ein Pärchen, das meist putzmunter wird, wenn die anderen schlummern. Léa Perichon und Ivan Kozyuk liefern ein Bravourstückchen gegenseitiger Neckereien. Wer mag, lässt sich davon an das Verhältnis zwischen Mozart und seiner Schwester erinnern. Wer mag, sieht darin schüchtern bis keck verspielte Liebeleien junger Leute.
Vorhang. Bruch. Düsternis. Kostümwechsel von schrillbunter Farbigkeit zu schierem Schwarz-Weiß (Bühne/Kostüme: Sascha Thomsen). Traumgespinste. Nachtgedanken. Hat eben noch Mozarts Musik das Publikum wohlig durch den ersten Teil getragen, wird es nun von Michael Gordons 2006er-Klangcollage „The Sad Park“ aus verzerrten Kinderstimmen über Geigenflirren eher in Befremden gestürzt. Das passt zu einem Bühnengeschehen mit jetzt weiten und vagen Möglichkeiten der Interpretation.
Zeitreise im Halbschlaftraum
Dem Ballettchef scheint dieser Teil persönlich besonders am Herzen zu liegen, denn er kehrt dafür selbst als Akteur auf die Bühne zurück. Allerdings nicht wirklich als Tänzer, mehr als sich sparsam, meist bedächtig durch die Szenen bewegender sinnbildlicher Erzähler und Beobachter seiner eigenen psychologischen Vergangenheit. Fuchs spielt hier einen gealterten Frank, der im Halbschlaftraum seiner jugendlichen Ausgabe begegnet, nebst Geistern und einigen prägenden Figuren aus früheren Lebensphasen.
Den jungen Frank gibt die Tänzerin Kaho Kishinami und hat in der Rolle reichlich zu tun, Überschwang und Niedergeschlagenheit, Gewissheit und Zweifel, Hoffnung und Verzweiflung auszuformen. Es gibt in diesem Teil eine Menge rätselhafte beziehungsweise der freien Deutung durch die Zuseher anheimgestellte Faktoren. Etwa die durch Besetzung und (Frauen-)Kostüme ungewisse Geschlechtszuordnung Franks; oder Hasenohren, die zu beider Kostümierung gehören. Philosophisch eindeutig hingegen ist der Schluss: Alter und junger Frank schließen sich innig in die Arme – was war, was ist und was sein wird, gehören untrennbar zusammen.
Wir müssen über den dritten Teil des 110-minütigen Abends nicht viele Worte machen, sondern dürfen diesem kleinen Meisterwerk einfach beglückt applaudieren. Zwei Frauen und drei Männer entfalten zu Arnold Schönbergs spätromantischer Komposition „Verklärte Nacht“ pure Ballettkunst von hohen Graden. Clara Jörgens, Kaho Kishinami, Jacob Noble, Arsen Azatyan und Yael Shervashidze faszinieren solistisch, in unterschiedlichen Kombinationen sowie als Quintett mit extrem präzisen und zugleich allemal beseelten Bewegungen bis hinunter zur kleinsten Nuance und letzten Muskelspannung.
Die Choreografie bindet sie einerseits eng ans musikalische Geschehen, lässt ihnen andererseits Zeit und Ruhe, eine reine Ästhetik betörend runden, zarten, stimmigen Tanzflusses zu formen. Dazu braucht es keine Story und kein Philosophieren, denn die sinnliche Kraft dieses Balletts lebt aus sich selbst heraus.
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