Premiere in Koblenz
Letztlich verlieren immer die „kleinen Leut´“
Weltenschicksal auf der Drehscheibe statt im legendären Planwagen: Die Neuinszenierung von "Mutter Courage und ihre Kinder" im Koblenzer Theaterzelt.
Matthias Baus. Matthias Baus für das Theater Koblenz

Leider sind die Aussagen der neuen Schauspielproduktion im Koblenzer Theaterzelt brandaktuell: Der Koblenzer Intendant Markus Dietze bringt Bertolt Brechts „Mutter Courage“ in passender Wuchtigkeit auf die Bühne.

Wenn die Weltgeschichte mal wieder Purzelbäume rückwärts schlägt, greifen die Theater gerne in die Schublade B beziehungsweise BB, Bertolt Brecht. Das ist gut so. Denn hier finden sich Werke, die hervorrufen, was Intendant Markus Dietze in einem bemerkenswerten Beitrag für das Programmheft zur jüngsten Produktion des Theaters Koblenz so formuliert: „Wir wünschten, die Einsichten dieses Stücks müssten heute nicht wieder so schmerzlich erinnert und als Spiegel gegenwärtiger Zustände gelesen werden.“

Den letzten Brecht gab es in Koblenz vor gut einem Jahrzehnt. Im Nachgang zur Weltfinanz-/Bankenkrise 2008/09 wurde nicht nur am hiesigen Theater die „Dreigroschenoper“ gespielt. Nun hatte im Theaterzelt ein anderes der bekanntesten Brecht-Werke Premiere: „Mutter Courage und ihre Kinder“, inszeniert von Dietze selbst.

Auf der Bühne stapeln sich leere Ölfässer und Kisten, die Hintergrundkulisse zeigt von Raketen teilzerstörte Wohnblocks, wie wir sie aus der Ukraine kennen.
MATTHIAS BAUS. Matthias Baus für das Theater Koblenz

Man erkennt dies Stück vom Krieg sofort wieder, obwohl der legendäre Planwagen hier fehlt, mit dem bei der Uraufführung 1941 Therese Giehse, später Helene Weigel um die Bühne zogen  – als Marketenderin Anna Fierling, genannt Courage, den Schlachtfeldern des Dreißigjährigen Krieges folgend. Man erkennt es an der Brecht’schen Art des Spielens. Man erkennt es auch an der Musik von Paul Dessau, mit der eine sechsköpfige Combo unter Leitung von Karsten Huschke kunstvoll schrammelnd die knarzend rau gesungenen Lieder des Stückes begleitet.

Statt den Planwagen zu ziehen, schieben die beiden Söhne der Courage in Koblenz eine Drehscheibe an, auf der sich leere Ölfässer und Kisten stapeln. Oben auf den Utensilien der Marketenderei sitzen die Fierling und ihre stumme Tochter Kattrin. Sie treiben durch die Kriegsjahre, denen Christof von Büren eine Hintergrundkulisse gebaut hat, die von Raketen teilzerstörte Wohnblocks zeigt, wie wir sie aus der Ukraine kennen. Der hier zur Rede stehende Krieg ist heute, das signalisieren auch die Kostüme von Bernhard Hülfenhaus: die Courage im Blaumann, Kattrin in abgewetzter Latzjeans, allerhand Volk in runtergekommenem Altkleidern, Militärpersonal in moderner Fleck-Camouflage.

Eindrucksvolle Charakterzeichnungen zeigten Raphaela Crossey als Mutter Courage (links) und Sarah Waldner in der Rolle ihrer Tochter Kattrin.
MATTHIAS BAUS. Matthias Baus für das Theater Koblenz

Dietzes Regie formiert zahlreiche Nebenrollen immer wieder zu Sprechchören. Das ist im Hinblick auf die Textverständlichkeit zwar riskant, bringt aber eine zum Thema passende Wuchtigkeit und kollektiv-stumpfe Brutalität auf die Bühne. Raphaela Crossey hat als Titelfigur den zentralen Widerspruch des Stückes zu tragen. Mal ruft sie: „Ich lass mir den Krieg von euch nicht madig machen!“ Dann wieder: „Der Krieg soll verflucht sein!“ Einerseits lebt sie davon, den Soldaten, egal welcher Partei, Schnaps, Essen, Klamotten zu verkaufen. Andererseits verliert sie im Verlauf zweier Aufführungsstunden erst die beiden Jungs, Eilif (Jona Mues) und Schweizerkas (Linus Scherz), schließlich noch das Mädchen. Der Krieg holt sie sich, wie er peu à peu der Händlerin auch die Verkaufsware nimmt.

Heldenmut, Ehre, Tapferkeit: Das kriegerische Ethos verachtet sie, denn es führt bloß zur Schlachtbank. Davor will sie die Ihren und sich bewahren, will durchkommen, zugleich aber vom Krieg profitieren. Das ist eine Überlebensstrategie, aber auch ein unlösbarer Widerspruch, jedenfalls für die „kleinen Leut’“, die im Unterschied zu den großen Kriegsgewinnlern letztlich immer verlieren.

Raphaela Crossey hat in der Titelfigur der Mutter Courage den zentralen Widerspruch des Stückes zu tragen.
MATTHIAS BAUS. Matthias Baus für das Theater Koblenz

Crossey hält stringent das Bild von der raubeinigen, harten bis hartherzigen ärmlichen Geschäftsfrau im Vordergrund – um gelegentlich doch kurz eine andere, ihre empfindsame Seite aufscheinen zu lassen. Umworben vom Feldprediger (André Wittlich) und vom Koch (Marcel Hoffmann), kann sie freundlich sein, behauptet zugleich stramm ihre Eigenständigkeit. Wie sie in ihrer kantigen Art auch versucht, die Tochter zu bewahren vor den Gefährdungen in der Soldatenwelt und den Lockungen hübscher Kleidungsstücke der Hure Yvette (Dorothee Lochner).

Die Koblenzer Kattrin von Sarah Waldner bleibt völlig stumm. Kein Summen, kein Quietschen, kein Wimmern wie andernorts oft erlebt. Kein Ton, jedenfalls keiner, den man ab der achten Zuschauerreihe noch hören würde. Sie muss all ihre Gefühle in Körperausdruck packen. Das sind kleine Charaktermomente von großer Intensität, die in der nach Brecht’scher Art eher kühl gehaltenen Typendarstellung bei den anderen Figuren eine ebenso besondere Stellung einnehmen, wie jene Augenblicke, da die weiche Seite der Courage aufscheint.

Gegen die Gleichgültigkeit

Die Weltgeschichte hat den Krieg in unser Leben zurückgebracht – und damit auch fast zwangsläufig Bert Brechts „Mutter Courage“ wieder auf die Theaterbühne katapultiert. Denn was braucht der Mensch in solcher Zeit? Nachdenken darüber, was diese übelste seiner Erfindungen mit ihm macht. Oder wie Dietze schreibt: „Die klare Analyse und die entschiedenste Geste gegen die Gleichgültigkeit.“

Tickets unter Termine unter www.theater-koblenz.de