Einen eindringlichen Appell für den Erhalt einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft formulierte kürzlich etwa Sven Hieronymus. Der auch als „Rocker vom Hocker“ bekannte Comedian veröffentlichte auf YouTube ein Gedicht, das er als Zugabe zu seinem aktuellen Programm „Feuer frei – für Frieden und Freiheit“ bereits seit 2022 vorträgt.
„Aufgrund der bestürzenden Enthüllungen zum konspirativen Treffen von Rechtsextremen in Potsdam“, schreibt Hieronymus zu dem „Nie wieder ist jetzt“ betitelten YouTube-Video, „habe ich mich dazu entschlossen, es zu veröffentlichen. Lasst uns alle aufstehen gegen Fremdenfeindlichkeit und Faschismus – Demokratie ist unsere gemeinsame Verantwortung.“ Ein starkes Bekenntnis, das unsere Zeitung zum Anlass genommen hat, sich umzuhören, wie die Kulturszene im nördlichen Rheinland-Pfalz die aktuellen Entwicklungen bewertet – und welche Rolle sie im politischen Diskurs einnimmt:
Julia Wallner, Direktorin des Arp Museums Bahnhof Rolandseck in Remagen, sieht auch die Kultur in der Verantwortung und sagt: „Museen sind Orte der Toleranz, der Vielfalt und des Miteinanders. Menschen können sich hier unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht, Glauben oder Hautfarbe treffen und miteinander in Dialog treten.“
Daneben verhandele Kunst jedoch auch Menschheitsthemen und stelle Fragen an unsere Zeit, weshalb es „unsere Aufgabe ist, diese in Ausstellungen und Programmen zu vermitteln und Gespräche anzuregen“, so Wallner, die zudem darauf hinweist, dass in der NS-Zeit auch die Namensgeber des Museums, Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp, Repressionen ausgesetzt gewesen seien. Daher stehe es in der „historischen Verantwortung“ des Hauses, „dieses Erbe lebendig zu halten – denn ,Nie wieder‘ ist jetzt“.
Simon Pilarski, Regisseur aus Bad Kreuznach, findet den Wählerzuwachs der AfD „mehr als bedenklich“ und hofft, „dass die Potsdam-Leaks ein Umdenken auslösen“ – auch weil es überaus fraglich sei, „ob mit der AfD in der Regierung Kino- und Filmproduktionsförderungen noch weiter bestehen würden“.
Pilarski betont zudem: „Nach aller Bescheidenheit bin ich fest davon überzeugt, dass der Film das einflussreichste kulturelle Medium unserer Zeit ist. Wir konsumieren Filme nicht nur mit verschiedenen Sinnen. Filme können uns Zuschauer auch nachhaltig verändern und Emotionen sowie komplexe Themen für jeden begreiflich erzählen. Filme können manipulieren, aber auch Hass und Verblendung offenlegen und zum Hinterfragen anregen.“
René Heinersdorff, Intendant der Landesbühne Rheinland Pfalz am Schlosstheater Neuwied, hat – wie auch Simon Pilarski – an Anti-AfD-Demos teilgenommen und kommentiert die jüngsten Entwicklungen wie folgt: „Ich halte die Bewusstmachung der Verletzbarkeit der Demokratie für eine der wichtigsten Aufgaben, privat und als Künstler. Wenn wir allerdings sehen, wie oft Meinungsvielfalt gefragt ist und wie oft diese dann auch in Parteien der Mitte eher stört, muss man weiter ausholen als beim Teilzeiterfolg einer Partei, die vielleicht auch durch diesen Umstand Zulauf erfahren hat. Die Fokussierung auf eine Partei kann schnell zur Werbung werden.“
Doch: Heidersdorff betrachtet es zugleich auch als „anmaßend“, der Kulturbranche oder einzelnen Künstlern „eine politische Kompetenz und damit eine Verantwortung zuzuschreiben oder einzufordern“. Jeder Künstler, sagt er, trage die Verantwortung, die er sich selbst auferlege. Und: „Zu der muss er stehen.“
Die Jugendkunstwerkstatt Koblenz (Jukuwe) tritt als Mitglied des Verbands Soziokultur und Kulturelle Bildung Rheinland-Pfalz bereits seit ihrer Gründung 1991 für Vielfalt und Toleranz ein. In Formaten wie Podiumsdiskussionen, Jugendforen oder Kunstprojekten, erklärt Jukuwe-Vorstandsmitglied Jewgenia Weißhaar, rücke man die „frühzeitige aktive Demokratiebildung“ in den Fokus und fördere die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in kommunalpolitischen Prozessen.
Mit Blick auf den Wählerzuwachs der AfD betont Weißhaar die Bedeutung, Menschen von klein auf an „Abläufe, Prozesse und die Kommunikation im politischen Kontext heranzuführen“, und ergänzt: „Durch die Verbindung der Arbeit des Kinder- und Jugendbüros mit der Jugendkunstwerkstatt nutzen wir kulturelle Bildung als Methode zur Vermittlung politischer Bildung, um gerade den jungen Zielgruppen einen niedrigschwelligen Einstieg in das Thema Demokratiebildung zu ermöglichen.“
Dominik Eulberg ist studierter Biologe, erfolgreicher Autor und international gebuchter DJ. Die Entwicklungen rund um die AfD beschäftigen auch den gebürtigen Westerwälder, der sagt: „Als transdisziplinär Forschender im Bereich Biodiversität stelle ich immer wieder fest, dass Vielfalt keine romantische Folklore ist, sondern ein uraltes Grundprinzip der Natur zum Erhalt des Lebens. Deswegen habe ich selbstverständlich auch an den Demos teilgenommen – ich empfinde es als meine Pflicht als Demokrat und positioniere mich klar gegen jede Form von lebensfeindlichem Extremismus.“
Kunst und Kultur, ergänzt Eulberg, könnten in diesem Kontext „wertvolle, lustvolle Vektoren der Aufklärung sein, um die Wahrheit besser zu erkennen“. Daneben müsse man jedoch auch die Menschen anhören, „die sich in finstere Sackgassen verrannt haben“, müsse versuchen, sie zu verstehen, und mit ihnen den offenen Dialog suchen. Denn: „Dieser ist die Basis einer jeden gesunden Beziehung, und die Wahrheit zeigt sich erst im Dialog, wie Platon schon so treffend erkannte.“
Der Cellist Benedict Klöckner nennt die Bühnen der Welt sein Zuhause, ist jedoch auch seiner Heimat eng verbunden, etwa als Gründer und Leiter des Internationalen Musikfestivals Koblenz (Imuko). Als „Herzstück“ der Reihe bezeichnet der in Neuwied geborene Künstler die klassische Musik – „als universelle Sprache, die Menschen mit verschiedenen kulturellen und sozialen Hintergründen generationenübergreifend verbindet“. Eine Aufgabe, so Klöckner, deren Bedeutung in der aktuellen Weltsituation wichtiger sei denn je – auch um den Menschen Zuversicht zu vermitteln.
Das Imuko versuche indes, eben hierzu seinen Beitrag zu leisten, indem es eine Basis schaffe, „auf der besondere musikalische Gemeinschaftserlebnisse möglich werden“, denn: „Im gemeinsamen Schaffen“, betont Klöckner, „wird ein Stück Zukunft gelebt, wie es wünschenswert wäre, ein Gegenpol zu Nationalismus, Krieg und Machtmissbrauch.“
Die Lyrikerin Sarah Marie Zacharias erreicht auf ihrem Instagram-Kanal „sarahmariepoetry“ knapp 79.000 Follower und sagt, die jüngsten Demos und Kundgebungen hätten sie „sehr berührt“, zugleich sei es auch überaus Mut machend gewesen zu sehen, „wie viele Herzen sich für die Bestärkung von Menschenrechten zusammentun und dass ein großer Teil der Gesellschaft so zusammensteht“.
Sie selbst werde derweil „damit weitermachen, meine Kunst zu nutzen, um für Nächstenliebe und Annahme zu plädieren“, sagt die in Koblenz lebende Lyrikerin. „Das war und bleibt mein großes Herzensanliegen, und ich denke, die Kulturbranche hat hier eine große Chance, nicht nur mit Argumenten die Köpfe, sondern mit Kunst die Herzen von Menschen zu berühren.“
Das von Sven Hieronymus veröffentlichte Video ist hier zu sehen.