Über kreative Potenziale
Kunst contra Leerstand: Wo Kultur die Städte belebt
"Bunt statt leer": So lautete das (inoffizielle Motto) in den vergangenen Jahren in der Casinostraße 44 in Koblenz. Die unvermieteten Räume dort nutzte der Verein Mehrkunst bis vor Kurzem als Pop-up-Galerie.
Nina Midi

Bei der dringend notwendigen Wiederbelebung der Innenstädte kann Kultur ein wichtiger Faktor sein. In Koblenz zum Beispiel wird der auch schon genutzt, in anderen Kommunen hingegen hakt es noch. Ein Blick in die Region.

Das Thema Leerstand begleitet auch die rheinland-pfälzischen Kommunen bereits seit einigen Jahren. Durch Pandemie und Energiekrise wurde der Handlungsbedarf in diesem Problemfeld seit 2020 noch einmal drastisch verschärft, inzwischen hat man vielerorts allerdings auch Konzepte entwickelt für eine Wiederbelebung der Ortszentren und Innenstädte. Grüner sollen sie werden, mehr Dienstleister ansiedeln, den Verkehr reduzieren, wobei wertvolle Lösungspotenziale nicht zuletzt auch der Kultursektor bereithält: durch entsprechende Veranstaltungen einerseits, andererseits aber auch in der Rolle als Zwischenmieter, der leer stehende Gebäude für einen Übergangszeitraum wieder mit Leben füllt.

Ein gelungenes Beispiel hierfür lieferte in Koblenz zuletzt auch die Pop-up-Galerie des Mehrkunst-Vereins in der Casinostraße. Knapp drei Jahre lang bespielte die eigentlich im Stadtteil Ehrenbreitstein beheimatete Gruppe das zentral gelegene Gebäude, das andernfalls womöglich ebenso lange ungenutzt geblieben wäre. Mehr als 20 Ausstellungen wurden dort seit Juni 2022 organisiert, ehe sich der Verein vor Kurzem mit einer standesgemäßen Abschlussfeier aus den Räumlichkeiten verabschiedete.

Beitrag zum kulturellen Leben

Das Resümee der Mehrkunst-Vorsitzenden Nina Midi? Fällt im Gespräch mit unserer Zeitung positiv aus: „Durch die Pop-up-Galerie“, sagt sie, „konnten wir unsere Sichtbarkeit enorm steigern, waren auch attraktiver für Künstler, weil die Räume in der Casinostraße nicht nur größer sind als die in unserer Galerie in Ehrenbreitstein, sondern auch superzentral gelegen.“ Wodurch neben dem sonst üblichen Fachpublikum auch mehr Laufkundschaft zu den Ausstellungen geströmt sei. Ein Potenzial, so Midi, „das wir mithilfe niedrigschwelliger Angebote immer wieder ganz gezielt genutzt haben, im Herbst 2022 zum Beispiel gab es bei uns einen Kunstmarkt mit vergleichsweise günstigen Werken, der auch Menschen angelockt hat, die sich sonst vielleicht nicht so für Kunst interessieren.“

Möglich wiederum wurde die temporäre Nutzung erst durch die Koblenzer Familie Eichele, der neben der Immobilie in der Casinostraße auch die Schloss-Apotheke gehört. „Als der vorherige Mieter, ein Augenoptiker, aus den Räumen ausgezogen ist“, erzählt Midi, „haben wir die Eigentümer einfach mal angefragt, und sie waren direkt sehr entgegenkommend.“

Heißt im Detail: Die Mehrkünstler durften das Gebäude – das nun wohl zugunsten einer Durchfahrt abgerissen werden soll – ohne Einschränkungen und vor allem kostenlos nutzen, mussten lediglich für Strom, Wasser und Heizung aufkommen. „Die Familie Eichele“, sagt Midi, „hat uns von Beginn an signalisiert, dass sie uns, solange sie auf eine Genehmigung für die geplanten Maßnahmen wartet, gern unterstützt, um auf diese Weise auch einen Beitrag zum kulturellen Leben in der Stadt zu leisten.“ 

Mehr als 20 Ausstellungen haben die Mehrkünstler in ihrer Pop-up-Galerie auf die Beine gestellt. 2023 wurden dort etwa auch Werke aus der Sammlung Küch präsentiert.
Nina Midi

Einen essenziellen Beitrag vor allem auch für die Kunstszene, „weil wir immer auf der Suche sind nach geeigneten Präsentationsflächen“, wie Midi betont, die sich gerade auch vor diesem Hintergrund einen besseren Austausch zwischen Kultur, Verwaltung und Wirtschaft wünscht, um Leerstände einer potenziellen Zwischennutzung zuzuführen – und mit diesem Anliegen bei Christiane Walther-Oeckel auf offene Ohren stößt.

Die Koblenzer Citymanagerin verweist auf Nachfrage zunächst einmal auf ähnliche Initiativen wie die Pop-up-Galerie, eine Tape-Art-Ausstellung in der ehemaligen Vapiano-Filiale am Zentralplatz etwa oder die vorübergehende kreative Nutzung eines Leerstands im Forum Mittelrhein durch den Kunstverein Kreatop (beide 2024), unterstreicht im nächsten Satz aber auch gleich die Potenziale der Kultur bei der Innenstadtbelebung: weil diese „oft mit Dingen spielt, die nicht sind“, wie Walther-Oeckel erklärt, „und uns genau deshalb dabei helfen kann, die Zukunft neu zu denken.“

„Neben den Räumen braucht es auch die Menschen, die bereit sind, Zeit und Engagement vor Ort zu investieren.“
Idar-Obersteins Citymanagerin Lara Paulus

Eine Art Perspektivwechsel also, der sich gerade in Sachen Leerstand als „wichtiger Impuls“ erweisen könne, denn: „Kunstprojekte regen dazu an, die Innenstädte mit neuen, konsumfreien, nachhaltigen und sozialen Projekten anzureichern und sie damit vielseitiger zu gestalten“, sagt die Citymanagerin, die bei der notwendigen Vermittlung allerdings – ähnlich wie Midi – noch Luft nach oben sieht.

Zwar würden potenzielle Gewerbeflächen in der Innenstadt inzwischen „systematisch erfasst“, so Walther-Oeckel, es gebe auch „zahlreiche Anlaufstellen“ wie etwa die Koblenzer Kulturlotsin Kim Viola Färber, die gezielt nach geeigneten Pop-up-Flächen für die Kreativszene suche, doch: „Vor allem die Kommunikation zu den Eigentümern der Gewerbeimmobilien gestaltet sich oft schwierig.“ Auch weil es vielen nach wie vor als „unattraktiv und zu aufwendig“ gelte, Leerstände für Zwischenlösungen freizugeben. 

In Bad Neuenahr-Ahrweiler setzt man auch auf die Vorstellungskraft: Die Fenster leer stehender Immobilien werden dort mit Motiven möglicher Nutzungsformen beklebt, um so das Potenzial der Fläche zu veranschaulichen.
Ahrtal und Bad Neuenahr-Ahrweiler Marketing GmbH

So weit also der Istzustand in Koblenz. Doch wie sieht es in anderen Kommunen aus? In Teilen offenbar ganz ähnlich – wie etwa der Blick nach Bad Neuenahr-Ahrweiler zeigt: Walther-Oeckels dortiger Kollege Florian Hüsson betont ebenfalls die Bedeutung kultureller Angebote, von deren Anziehungskraft Handel, Gastronomie und Bewohner gleichermaßen profitierten; daneben, ergänzt der Citymanager, könne Kunst in Leerständen auch „optische Lücken“ schließen und dadurch das Interesse an den Immobilien wecken. Die oft schwierige Kommunikation mit den Eigentümern allerdings beklagt auch Hüsson. Schließlich lebten diese teils im Ausland, seien aufgrund der strengen Datenschutzvorgaben vielfach gar nicht auffindbar.

Wobei das Interesse aus der Kulturszene an der Ahr nicht wirklich größer scheint: „Bisher kamen keine konkreten Anfragen für die Zwischennutzung von Leerständen“, berichtet Hüsson, der zugleich jedoch auch die Gegenmaßnahmen der Stadt hervorhebt: Leere Schaufenster, erzählt er, würden in Bad Neuenahr-Ahrweiler zum Beispiel mit dreidimensionalen Motiven von möglichen Nutzungsformen beklebt, um so das Potenzial der Fläche zu verdeutlichen. Um An- beziehungsweise Untervermietungen – auch finanziell – zu erleichtern, habe man zudem ein Förderprogramm aufgelegt.

Und damit einen ähnlichen Weg gewählt wie in Idar-Oberstein, wo man dem wachsenden Leerstand seit 2023 ebenfalls mit einem   Förderprojekt begegnet, das – unter dem Titel „Citymood“ und durch das Bundesprogramm „Zukunftsfähige Städte und Zentren“ noch bis zum Sommer finanziert – auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen setzt. Eine davon ist laut Citymanagerin Lara Paulus ein Pop-up-Store, eine zur Verfügung gestellte Ladenfläche also, die bislang zwar vor allem von Gewerbetreibenden für die Präsentation ihrer Angebote genutzt werde, grundsätzlich aber auch der (noch zögerlichen) Kulturszene offen stehe.

Wenngleich Paulus die Wiederbelebung der Innenstädte ohnehin als Gemeinschaftsaufgabe begreift – und hierzu anmerkt: „Im Idealfall greifen kulturelle, soziale, unkommerzielle und gewerbliche Ideen und Nutzungen ineinander, sodass ein vielfältiges Angebot gestellt wird, das den Raum umdenkt und neuen Menschen öffnet.“ Leerstände müssten hierfür „flexibel umgenutzt“, das Stadtbild aufgewertet und Einkaufsstraßen neu gedacht werden, doch: „Neben den Räumen“, verdeutlicht Paulus, „braucht es auch die Menschen, die bereit sind, Zeit und Engagement vor Ort zu investieren.“

Potenziale sind bekannt, das Geld fehlt

In Mayen wiederum profitiert man gleichfalls noch bis Ende des Jahres vom Bundesförderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“. Pop-up-Stores wurden hiervon bereits finanziert, eine kulturelle Nutzung allerdings gab es bislang noch nicht, wie Janine Pitzen von der Pressestelle der Stadt mitteilt, doch genau das soll sich in Zukunft ändern. Denn: Die Kultur, betont sie, „eröffnet einen anderen Blickwinkel auf die Nutzung von Ladenlokalen, trägt zu einer attraktiven Innenstadt bei und zieht auch noch mal ein anderes, neues Publikum an.“

Bei der – auch in Mayen oft schwierigen – Vermittlung zwischen Immobilieneigentümern und Leerstandnutzern unterstütze derweil die Wirtschaftsförderung, auch ein Leerstandkataster sei erstellt worden. Wohingegen die fehlenden finanziellen Mittel – neben den zurückhaltenden Vermietern – eines der Hauptprobleme darstellen: Ohne Geld nämlich, sagt Pitzen, sei gerade eine kulturelle Leerstandnutzung nur schwer umsetzbar.