Dieses Gemälde erwies sich für das Landesmuseum Mainz als Sensationsfund: Mitten in den Planungen für den 150. Geburtstag des Künstlers Max Slevogt machte ein Privatmann auf das Werk „Skizze mit Flagge“ (1908) aufmerksam. Es brachte den Stein zur Entdeckung einer sechsteiligen Werkserie ins Rollen.
Bisweilen schreibt der Zufall die besten Geschichten. Just als im Landesmuseum Mainz das Nachdenken begann, wie der Wahlpfälzer Max Slevogt anlässlich seines 150. Geburtstages 2018 gewürdigt werden könne, sprach ein Privatmann vor. Sein Ansinnen: Man möge ein Gemälde aus seinem Besitz prüfen, das von Max Slevogt signiert sei. Skeptisch machten sich Dr. Karoline Feulner und Kollegen an Echtheitsprüfung und Herkunftsrecherche. Das Ergebnis war eine kleine Sensation und der Einstieg in eine Arbeit, aus der die jetzt in Mainz laufende hoch spannende Ausstellung „Ein Tag am Meer – Slevogt, Liebermann & Cassirer“ hervorgegangen ist.
Besagtes Bild erwies sich als echt und unter dem Titel „Skizze mit Flagge“ zu einer sechs Slevogt-Werke umfassenden Serie gehörig. Von denen galten fünf bis eben als verschollen, das sechste gehört zum Bestand eines norddeutschen Museums. Gemalt hatte sie der in der Pfalz beheimatete Künstler im Jahr 1908 bei einem Aufenthalt im niederländischen Seebad Noordwijk. 2017 kaufte das Mainzer Museum das Bild an. Und Karoline Feulner wurde den Gedanken nicht mehr los, dass es wunderbar wäre, statt einer weiteren Slevogt-Retrospektive etwa mit den berühmten Gemälden pfälzischer Landschaften eine Sonderschau um die nahezu unbekannte Noordwijk-Reihe auf die Beine zu stellen.
Überblicksführungen zur Sonderausstellung
„Ein Tag am Meer – Slevogt, Liebermann & Cassirer“ ist im Landesmuseum Mainz bis zum 10. Februar zu sehen. Jeden zweiten Sonntag um 11 Uhr und jeden Dienstag um 18 Uhr werden Überblicksführungen angeboten. Eine Anmeldung dazu ist nicht notwendig. Die Kosten betragen 2 Euro plus Museumseintritt. Der Höhepunkt: Zu sehen sind bislang unveröffentlichte Werke, die als verschollen galten und erst kurz vor der Ausstellungseröffnung ausfindig gemacht werden konnten. Weitere Informationen gibt es unter
www.landesmuseum-mainz.de
Noch ein Sensationsfund
Dann die nächste Sensation: Im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen entdeckten die Mainzer bei Privatleuten zwei weitere als verschollen geltende Werke dieser Serie. So kommt es, dass Kunstfreunde im Landesmuseum nun erstmals vier jener sechs sehr besonderen Slevogt-Arbeiten versammelt finden. Ungewöhnlich an ihnen ist ihr Sujet, denn es spielt im gesamten übrigen Œuvre des Malers fast gar keine Rolle: Meer und Strandlandschaft.
Kuratorin Feulner stellt den vier Bildern Strandgemälde von Max Liebermann an die Seite, die teils zur selben Zeit am selben Ort entstanden sind. Die beiden plus Lovis Corinth trafen sich 1908 auf Einladung ihres gemeinsamen Galeristen Paul Cassirer zur Sommerfrische der „deutschen Impressionisten“ (Cassirer) in Noordwijk. Ein wesentlicher Unterschied wird sofort augenfällig: Der gesellschaftsscheue Slevogt interessierte sich primär für Landschaft, Licht, Wellen-, Wolken-, Windbewegung; der 20 Jahre ältere Liebermann hatte das teils mondäne Strandleben des Bürgertums im Blick.
Bei einem Aufenthalt auf Norderney entstand dieses Aquarell: Slevogts „Der Hafen von Norderney“ (1923).
Corinth mochte sich wohl mit beidem nicht befassen. Er malte in jenen Tagen nur ein recht seltsames Porträt, das Slevogt in einen wuchtig-gemütlichen Seebären mit Prinz-Heinrich-Mütze verwandelt. Die Ausstellung zeigt dieses Werk im Verbund mit mehreren Porträts, die die drei Kollegen im Laufe der Jahre voneinander gemacht hatten. Die 90 Exponate umfassende Schau verfolgt im Weiteren auf ebenso erhellende wie sinnliche Art den Vergleich zwischen diesen Dreien sowie ihr Verhältnis, besonders das von Slevogt zum Galeristen, Freund, Helfer, Motivator Cassirer.
Wasser – kein bewährtes Motiv
Während Liebermann dem Küstenthema anhaltend treu bleibt und immer wieder zwecks bildlicher Inspiration ans Meer fährt, taucht es beim reiseunwilligen Slevogt nur spärlich auf. 1905 malte er die Alster und den Hamburger Hafen, 1923 bei einem Aufenthalt auf Norderney entstanden einige Bleistiftskizzen und Aquarelle. Überhaupt scheint das Thema Wasser den Wahlpfälzer kaum interessiert zu haben: Von seinen rund 1200 Werken spielt es nur in etwa zwei Dutzend eine größere Rolle; einige davon entstanden anno 1900 bei einem Ausflug an den Chiemsee. So auch das in Mainz zu sehende Gemälde mit dem fälschlichen Titel „Dame am Meer“.
Das Werk „Strandbild mit Muschelfischer“ (1908) ist eines der wenigen, die der Künstler Max Slevogt dem Kosmos Meer widmete.
Ein Kabinett widmet die Schau einem Projekt Cassirers und Slevogts, das beim Noordwijk-Besuch 1908 bereits lief: Die Herausgabe eines von Slevogt illustrierten Prachtbandes des „Lederstrumpf“ zum Start von Cassirers Druckanstalt Pan-Presse. 150 Lithografien schuf er, von denen einige mitsamt Vorarbeiten in Mainz präsentiert werden – und die einerseits etwa des Malers differenzierten Umgang mit dem Aussehen von Indianern verschiedener Stämme bezeugen, andererseits seine Begeisterung für den Abenteuerstoff deutlich werden lassen. Die war offenbar so groß, dass Verleger und Künstler sich in den Dünen von Noordwijk überschäumenden kindlichen Indianerspielen hingaben. So jedenfalls notierte es Cassirers Gattin, die Schauspielerin Tilla Durieux, im Schmunzelton.
Von unserem Autor Andreas Pecht
Provokanter Kontrast zur Dauerschau
„Interventionen“ nennt das Landesmuseum Mainz seine jüngere Praxis, zeitgenössische Künstler mit eigenen aktuellen Werken Kontrastpunkte in die kulturhistorische Dauerausstellung setzen zu lassen. Eingeladen wurde dazu jetzt die in Landau lebende 65-jährige Madeleine Dietz, Ernst-Barlach-Preisträgerin und etwa in Koblenz bekannt durch ihre künstlerische Ausstattung der Ehrenbreitsteiner Festungskapelle.
Dietz mag ihre Intervention lieber weniger scharf als „Korrespondenzen“ bezeichnen. Inhaltlich teils den Bogen bis zu heutigen Fluchttragödien schlagend, wirken die 30 Arbeiten vorwiegend aus Stahl und Erde zwischen den Dauerexponaten aus Mittelalter und Renaissance dennoch befremdlich bis provokativ. Das soll jedoch so sein, gibt die Mainzer Museumsdirektorin Birgit Heide zu verstehen. Ihrer Ansicht nach eröffnen die Kontraste dem Betrachter auch neue Zugänge zum historischen Bestand.
Stahl und Erde: Dietz versteht das als spannungsreiches Zusammenkommen von Kultur, Zivilisation und Natur. Mal schließen ihre Arbeiten Erde in stählerne „Tresore“ ein; mal sind die Stahlkonstruktionen „entfestet“, perlt Erde zwischen nur noch aneinandergelehnten Kuben, Platten, Gittern hervor; mal gibt der Stahl der Erde – wie beim hier abgebildeten Kreuz – einen formenden Rahmen. ape
„Madeleine Dietz – Korrespondenzen“, bis 28. April im Landesmuseum Mainz