Anders, als der Titel vermuten lässt, greifen die 70 Skulpturen sowie 70 Zeichnungen der 1890 in Würzburg geborenen, 1971 in Mainz verstorbenen Künstlerin nicht nach den Sternen. Vielmehr stehen im Zentrum ihres Schaffens zeitlebens „nur“ ein paar simple Alltagstiere wie Ziege, Rind, Pferd; dazu kommen Menschen in ihrer Einfachheit als Badende, Arbeitende, einander Umsorgende oder solche, die für sich allein sind.
Keine erotischen Darstellungen
Ob Tier oder Mensch, vielfach lässt Emy Roeder sie – mit Bleistift gezeichnet, in Kunststein, Bronze, Gips gegossen – zu Kleinstgruppen oder trauter Zweisamkeit mit Ihresgleichen zusammenkommen. Stute mit Fohlen, Ziege mit Lamm, Mutter mit Kind, drei Kühe aneinandergeschmiegt, drei nackte Mädchen unter der Dusche oder zwei Freundinnen, untergehakt beim Spaziergang. Von ein, zwei Buben abgesehen, finden sich da keine Männer. Die tauchen erst in einem Seitenkabinett auf, als Por-trätbüsten, die Roeder nach dem Krieg von ihren Künstlerfreunden anfertigte und damals teils sehr gut verkaufte. Vornweg Karl Schmidt-Rottluff in mehreren Fassungen.
Die kinderlos gebliebene und einige Jahre wohl nicht sehr glücklich verheiratete Künstlerin mochte in ihrer Arbeit augenscheinlich von geschlechtlich gemischten Menschenpaaren so wenig wissen wie von erotischen Darstellungen. Nacktheit ist ihr zwar ein Thema, doch geht es da mehr um Proportionen des (weiblichen) Körpers und die skulpturale Geschlossenheit einer Szene. Gleichwohl kennzeichnet fast alle ihre Paare, ob Tier oder Mensch, ein Gestus der Zuneigung, des Vertrauens, des Geborgenseins im Miteinander.
Sowohl die stark ans Natürliche angelehnten Zeichnungen als auch die daraus nachher entwickelten, Form und Ausdruck mehr abstrahierenden Skulpturgüsse verströmen ein gelassenes, gelöstes, selbstverständliches Harmoniegefühl. Schwieriger zu deuten ist der Ausdruck von Roeders Einzelfiguren. Seien es die lebensgroßen Bronzen der stehenden und sitzenden Tripolitanerin, die kleine Kalksteinbüste einer Friedel Scherber oder andere: Ob deren Melancholie von quälender Einsamkeit oder gelöstem Beisichsein rührt, bleibt offen.
Das passt zum Leben der Emy Roeder wie auch die selbstbewusste Schlichtheit der schlank aufgerichteten afrikanischen Frauenfiguren ihrer letzten Schaffensphase als Mainzer Mitbürgerin. Von der Stadt mit einem Atelier, einer kleinen Wohnung und einem Lehrauftrag an der Universität ausgestattet, ließ sich die Künstlerin 1950 dort nieder. Bis dahin hatte sie seit 1933 überwiegend in Italien gelebt, mal als Gast der Villa Massimo, mal als Stipendiatin der Villa Romana, ab 1937 quasi als Exilantin, denn in Nazideutschland wurde sie zur Vertreterin der „entarteten Kunst“ abgestempelt. Oft und lange hielt sie sich in abgeschiedenen Bergregionen auf, lebte bescheiden, ja ärmlich, hatte Kontakt fast nur zu einfachen Bergbauern.
Das Aushängeschild der Stadt?
Der Zug zu Zurückgezogenheit und schlichter Lebensweise war ihr schon in jungen Jahren vor 1933 eigen. In der Kunstszene und mit den Künstlerfreunden in München, Darmstadt, Berlin zwar bestens vernetzt, scheute sie trotz bald eintretender Bekanntheit das Getriebe dieser Gesellschaft. Was sie allerdings nicht hinderte, schon als kaum 20-Jährige beharrlich und mit Erfolg ihren Wunsch durchzusetzen: „Ich will Künstlerin sein.“ Und das zu einer Zeit, da Frauen zum Kunststudium noch gar nicht zugelassen waren.
Die Stadt Mainz hatte nach dem Krieg versucht, viele namhafte Künstler in ihre Mauern zu rufen. Der Aufbau einer hochkarätigen, renommeeträchtigen Kunstlandschaft hatte den Stadtoberen vorgeschwebt. Doch Schmidt-Rottluff, Otto Dix und andere winkten ab. Es kam Emy Roeder – die aber nie Aushängeschild sein wollte, sondern nur in Ruhe ihrer künstlerischen Arbeit nachgehen. So darf sie nun als eine der bedeutendsten Künstlerinnen gelten, die je in Mainz gelebt haben. Damit ist die jetzige Ausstellung nicht nur ein besonderer Kunst- und Ruhegenuss, sondern für Rheinland-Pfälzer zugleich ein interessantes Kapitel mit der großen Kunstwelt verbundener Heimatgeschichte.
Die Emy-Roeder-Ausstellung ist bis zum 4. August zu sehen. Weitere Infos gibt es unter: www.landesmuseum-mainz.de