Seit einiger Zeit ist es ziemlich in, durch irgendwelche Aktionen im Internet bekannt zu werden, ein virales Video zum Beispiel oder eine hohe Schlagzahl auf Twitter, um seine gewonnene Bekanntheit bei einem Verlag zum Markt zu treiben und ein Buch rauszubringen – selbst wenn man gar nicht so viel zu sagen hat. Bei der 27-jährigen Sophie Passmann, in Baden-Württemberg groß geworden, Moderatorin und SPD-Mitglied, ist das im Grunde ähnlich – mit der wichtigen Einschränkung, dass Passmann wirklich eine wahnsinnig unterhaltsame Schreibe und viel Gespür für gesellschaftliche Themen hat.
Das hat sie schon in ihrem flotten Erstling „Alte weiße Männer“ demonstriert, in dem sie mit Grünenchef Robert Habeck, „Welt-“Chef Ulf Poschardt oder ihrem eigenen Vater über Männlichkeit und Feminismus diskutierte. Und das tut sie auch in „Komplett Gänsehaut“, das nun bei Kiepenheuer und Witsch erschienen ist und sich als Porträt ihrer Generation lesen lässt. Kernaussage in etwa: „Alles Deppen außer mir – oder vielleicht auch inklusive mir.“ Es geht darin um das harte Los, 27 Jahre alt zu sein und ein bisschen wohlstandsverwahrlost, aber eben auch zu klug, um das nicht zu bemerken. Süffisant bis spöttisch macht sich Passmann darin über Menschen ihres Alters lustig, die das Projekt „Erwachsenwerden“ mit offiziösem Ernst oder ironischen Loopings vorantreiben und sich dabei nach Ansicht der Autorin vor allem der absoluten spießbürgerlichen Lächerlichkeit preisgeben.
Sophie Passmann mit Gedankenstrom wie im Zeit-Magazin
Netterweise erspart die Autorin sich und den Lesern, diesem knapp 200-seitigen Pöbelessay eine narrative Struktur in Form irgendeines Romanplots aufzuzwingen – stattdessen ist das ungefilterter Passmann-Gedankenstrom, wie man ihn auch aus ihrer Kolumne im „Zeit“- Magazin kennt.
Und der liest sich in der Tat enorm amüsant und erschreckend akkurat. Mit großer Treffsicherheit findet Passmann für jeden gesellschaftlichen Trend, für jede zwischenmenschliche Entwicklung oder modische Absurdität die perfekten Beispiele, kennt die Buzzwords, also Markennamen oder Stichwörter, die bei den angesprochenen Mittzwanzigern einhelliges Nicken hervorrufen dürften. Die haben ein Lammfell von Ikea im Wohnzimmer und ein Poster von „Pulp Fiction“ im Bad, rühren selbstverliebt im Risotto oder kochen was von Ottolenghi nach. Sie kaufen Schallplatten, obwohl sie die Musik in besserer Qualität auf Spotify bekämen, oder stellen sich
“Komplett Gänsehaut" porträtiert Generation Lena Meyer-Landrut
Thomas Manns „Zauberberg“ ins Regal, bloß, um ihn nie zu lesen. Passmann beschreibt eine Generation, die T-Shirts von Joy Division trägt und für die der ESC-Sieg von Lena Meyer-Landrut ein identitätsstiftendes Ereignis war, die Pizza mit Ziegenkäse und karamellisierten Walnüssen isst und sich permanent fragt, was sie als Nächstes auf Netflix gucken soll. Dabei ist sie so auf den Punkt, dass man zuckt und an die Popliteraten um Christian Kracht denken muss, die das ja alles auch schon erzählt haben, nur für eine Generation davor. Die wichtigste Erkenntnis kommt schon recht früh im Buch: „In den ersten Jahren nach der Volljährigkeit war das noch eine niedliche Pose, nicht zu wissen, wie man einen Ölwechsel macht oder eine Hühnersuppe, langsam ist es nur noch albern.“ Die Abscheu vor jeglicher Pose oder Selbststilisierung lässt Passmann so knorzig auf ihre Mitmenschen schauen wie die immerböse Schriftstellerin, die sich zum Empfehlungszitat auf dem Klappentext bitten ließ. Dabei wird Passmann bewusst sein, dass die Ablehnung jeglicher Pose natürlich mittlerweile selbst eine Pose ist.
Macht nichts, solange man selbst immer eine Spur besser frotzelt als der Rest. Passmann sieht zumindest kein Problem damit, über Poetry Slam zu lästern, obwohl sie selbst mal eine Förderung von 10 000 Franken aus öffentlicher Hand für ihre Verdienste um die Kunstform bekommen hat. Oder als SPD-Mitglied zu sticheln, alle anderen seien nicht antifaschistisch genug. Es sind kleinere Selbstgerechtigkeiten, die man der Autorin aber gern verzeiht – so kompetent nimmt sie ihre Leser schließlich mit in die Gefühlswelt der Millenials.