Kurz danach kam Benedikt XVI. – so hatte sich Ratzinger genannt – dann nach Köln zum Weltjugendtag. Ich selbst war damals mit meiner christlichen Band dort. Wir spielten einige Konzerte, wir genossen die ausgelassene christliche Stimmung – und ich werde nie den Moment vergessen, als Benedikt XVI. geradezu triumphal mit Rheinschiff und Papamobil in Köln einzog und von Alt und Jung gefeiert wurde.
Fast hat sich die biblische Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem auch bei Papst Benedikt XVI. wiederholt. Denn auch bei ihm folgte auf das „Hosianna“ und auf die Jubelrufe recht bald das „Kreuzige ihn!“. Im Kleinen war dies schon beim Weltjugendtag spürbar: Da saßen Hunderttausende Jugendliche und warteten auf die Abschlussmesse mit dem Papst – und dann predigte Benedikt XVI. so dröge, dass er nach und nach seine Zuhörer verlor. Ich weiß noch gut, dass wir uns wie in einer langweiligen Vorlesung fühlten: Professor Ratzinger fand keinen Draht zu den jungen Leuten und kühlte die geradezu liebevolle Begeisterung umgehend ab.
Ja, Benedikt wollte nie Papst werden – das hatte er selbst immer wieder gesagt. Und als Nachfolger von Johannes Paul II. hatte er es zugegebenermaßen auch nicht leicht. Und so waren die Katholiken bei seinem Amtsantritt gespannt, wohin sich die Kirche unter seinem Pontifikat entwickeln würde. Was damals niemand ahnen konnte: Dass ab dem Jahr 2010 der nicht enden wollende Missbrauchsskandal wie ein Fegefeuer durch die Kirche hinwegbrausen und schlichtweg alles, was scheinbar so felsenfest im Vatikan festgezurrt war, auf den Kopf stellen würde.
Heute muss man feststellen, dass Benedikt es nicht geschafft hat, die katholische Kirche fit für die Zukunft zu machen. Ja, er war der erste Papst, der sich persönlich mit Missbrauchsopfern traf, doch Benedikt versagte angesichts der eigenen Kleingläubigkeit. Nicht auf Gott bezogen – seine theologischen Werke und Bücher beispielsweise über Jesus waren bahnbrechend. Nein, er war kleingläubig in Bezug auf die Schlechtigkeit, die sich längst wie ein Krebs in der Kirche ausgebreitet hatte und tief in die Wurzeln des Systems vorgedrungen war. Bis zuletzt vertrat er die These, dass es sich nur um bedauerliche Einzelfälle handele.
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Hasenfüßig stand Benedikt vor der Schwere des Problems und flüchtete sich schlussendlich in die einfache Lösung: Er suchte die Schuld an dem ganzen Desaster außerhalb der Kirche. Als stramm konservativ denkender Mensch verfestigte er noch Jahre nach seinem Rücktritt als Papst in einem Schreiben die These, die 68er-Generation und die Grünen seien mit ihrer Larifari-Moral für die Missbrauchsfälle verantwortlich, da Priester angesichts der gesellschaftlichen Liberalität ja gar nichts anderes tun könnten, als Kinder zu vergewaltigen. Damit befeuerte er zusätzlich die Spaltung der katholischen Kirche.
Denn auch dies geht leider auf Benedikts Konto: Durch seine beharrlichen Veröffentlichungen auch nach seinem Rücktritt bot er den Konservativen die Möglichkeit, ihn weiterhin als den rechtmäßigen Papst anzusehen und Franziskus mit seinen Reformbemühungen auszusitzen. Die beiden Lager in der Kirche hatten jeweils ihren eigenen Papst. Den absoluten Tiefpunkt erreichte Benedikt beim Münchner Missbrauchsgutachten, als er sein juristisches Team in seinem Namen (und in „Ich-Form“) schreckliche Taten wie Exhibitionismus vor kleinen Mädchen rechtfertigen und schönreden ließ.
Wie geht es jetzt weiter in der katholischen Kirche? Jetzt, wo es wirklich nur noch einen Papst gibt? Werden sich die Reformer nun durchsetzen können? Die Lage ist tatsächlich verworrener denn je.
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