"Herr Fresssack und die Bremer Stadtmusikanten" nach dem Hörspiel von Ton Steine Scherben als Freiluftpuppentheater in Koblenz
Koblenz: Der „König von Deutschland“ in einer besonderen „Farm der Tiere“
Starke Kostüme, starkes Ensemble: In der neuen Produktion der Koblenzer Puppensparte erklingt Musik von Ton Steine Scherben. Foto: A. Glebocki
A.Glebocki

Koblenz. Das Hörspiel "Herr Fresssack und die Bremer Stadtmusikanten" gehört zu den weniger bekannten Werken der Band Ton Steine Scherben um Sänger Rio Reiser - jetzt zeigt die Puppentheatersparte des Theaters Koblenz das Stück in einer neuen Freiluft-Location.

Susi Sau, Franz Esel, Harry Hund und alle weiteren tierischen Darsteller stimmen am Ende ein: „Aus dem Weg, Kapitalisten. Die letzte Schlacht gewinnen wir. Schmeißt die Knarre weg, Polizisten, die rote Front und die schwarze Front sind hier!“ Turbulentes Finale einer denkbar außergewöhnlichen Produktion der Puppentheatersparte des Koblenzer Theaters.

Als die Tiere merken, welch übles Spiel der Zauberer Fresssack mit ihnen treibt, gehen sie auf die Straße - da hat das Stück von 1973 nichts an Aktualität verloren. Foto: A. Glebocki
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Die hat für ihre letzte Produktion in dieser Spielzeit einen neuen Spielort erobert: Etwas abgelegen im Stadtteil Moselweiß liegt das Gelände der Alten Ziegelei, das zuletzt ein Tierheim beherbergte und nun von einem rührigen Förderverein als Freizeit- und Generationenpark erschlossen wird. Das Theater nutzt die Fläche als Breitband-Naturbühne mit einigen Dutzend Meter Breite vor bequemen Zuschauerrängen, die für „Herr Fresssack und die Bremer Stadtmusikanten“ installiert wurden. Technik sorgt dafür, dass auf den langen Distanzen weder Text noch Musik verloren gehen.

Es wäre um beides schade: Das Stück von Dietmar Roberg basiert auf einem Hörspiel, das Mitglieder von Ton Steine Scherben und dem Hoffmanns Comic Teater, allen voran Rio Reiser, 1973 aufgenommen haben. Kleiner Zeitsprung: Die Scherben hatten gerade die Veröffentlichung ihres zweiten Albums, „Keine Macht für Niemand“, hinter sich, ein kommerzieller Erfolg hatte sich noch immer nicht einstellen wollen. Da war die für Kinder gedachte Platte ein willkommenes Nebenprodukt – und das Originalhörspiel ist ein spannendes Produkt seiner Zeit, getragen von Sendungsbewusstsein, um den Traum von einer klassenlosen Gesellschaft auch einem jungen Publikum verständlich näherzubringen. Was bis heute, geht man nach den Reaktionen des Premierenpublikums, gut gelingt.

Die Theaterfassung des Stücks hat in Koblenz eine kräftige Bearbeitung erfahren: Vor allem die Hinzufügung von (späteren) Songs von Ton Steine Scherben machen aus dem gut funktionierenden Stück auch eine nostalgische Reise in die frühen 70er-Jahre. Die Geschichte ist klug erzählt: Eine Gruppe von Tieren hat sich vom Joch früherer Unterdrückung befreit, wird aber von einem ominösen Zauberer – Herr Fresssack – mit dem Versprechen großartiger Konsumgüter erneut zur abhängigen Arbeit verführt. Erst als ein Tier der Gruppe – Susi Sau – des Profits willen geschlachtet werden soll, reift der Gedanke, dass mit den neuen Verhältnissen doch nicht alles in Ordnung ist, und nach einigen Verirrungen nehmen die Tiere die Macht in die eigenen Pfoten und Krallen.

Die zum Einsatz kommenden Mitglieder des Schauspielensembles haben sich in der Regie von Friederike Förster gemeinsam mit Puppenspielern und -spielerinnen die enorm große Spielfläche zu eigen gemacht: Josephine Hock zeichnet für den Puppenbau verantwortlich, bei dem es in den die Puppenköpfe ergänzenden Kostümen (Artemiy Shokin) ausgesprochen viel zu sehen gibt.

Der Koblenzer Schauspieler Marcel Hoffmann spielt Herrn Fresssack - und das mit sichtlichem Genuss. Und in Rio Reisers "König von Deutschland" liefert er eine bemerkenswerte Interpretation. Foto: A. Glebocki
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Und Holger Kappus leitet vom Keyboard aus die Band, die den nötigen Drive beisteuert für die Überbleibsel aus dem Hörspiel und die Songs von Ton Steine Scherben bis hin zum „König von Deutschland“, der als Auftrittslied für den Zauberer Fresssack dient. Schauspieler Marcel Hoffmann hat sichtlich Spaß an dieser Eröffnung auf dem Elektroroller und im exaltierten Glitzerkostüm – und am Gesang, bei dem er auch die rauen Bereiche der stimmlichen Ausdruckspalette Rio Reisers benutzt, ohne diese nur zu kopieren.

Konditionsstarkes Ensemble

90 Minuten währt das lebhafte Spiel, das nicht nur wegen der zu überwindenden Entfernungen viel Kondition vom starken Ensemble verlangt. Svea Schiedung (Franz Esel), Anastasia Starodubova (Susi Sau), Hendrika de Kramer (Marina Huhn), Lilith Maxion (Harry Hund), Paul Hentze (Kater Raimond) und Dorothee Lochner als Hans Frosch sowie als die Geschwister Mümmelmann (mit zwei witzig-winzigen Handpuppen) lassen sich auf die körperbetonte Regie ein und haben sich beherzt den Agitrock-Gesangsstil angeeignet, der bei den Teilen des Publikums, die diesen selbst miterlebt haben, ungemein gut ankommt. So ist aus dem Finale der Koblenzer Puppentheatersparte ein unterhaltsames Familienstück geworden, das zudem gleichzeitig ein Zeitfenster öffnet in ein Stück bundesdeutscher Geschichte.

Noch weitere sechs Vorstellungen auf dem Gelände der Alten Ziegelei in Koblenz/Moselweiß, Pakrmöglichkeit 600 Meter entfernt an der Berufsbildenden Schule, Beatusstraße 167. Termine und Tickets unter www.theater-koblenz.de