Und so wächst die Liste erfrischender Menschlichkeit, auf der sich seit Kurzem auch der Name eines Ehrenbreitsteiner Mediziners wiederfindet: Karl Heinz Kienle wollte nicht tatenlos zusehen, wie das reiche Kulturangebot seines Stadtteils der Corona-Krise zum Opfer fällt – und initiierte kurzerhand eine Rettungsaktion.
„Zukunft der Künstler sichern“
„Es ist eine alte Redewendung, dass die Kunst brotlos und bei Künstlern oft am Ende des Geldes noch Monat übrig sei. Darum heißt es jetzt, die kulturelle Zukunft Ehrenbreitsteins und den Künstlern in unserem Stadtteil das Überleben ihrer Geschäfte zu sichern“, schrieb Kienle auf Facebook, verbunden mit dem Aufruf: Kauft Gutscheine in der Krise, etwa für Theaterkarten oder Kunstwerke, mindert die Einnahmeausfälle der Kulturschaffenden und löst die Bons nach Bewältigung der Pandemie bei ihnen ein.
Doch der Reihe nach, denn was bewegt einen Mediziner überhaupt zur Unterstützung der lokalen Kreativszene? Die Tatsache, so ein Erklärungsansatz, dass Kienle als passionierter Jazzmusiker in seiner Freizeit selbst künstlerisch aktiv ist. Vor allem aber auch die Liebe zu seiner Wahlheimat, wie der 69-Jährige betont: „Ich habe in den fast 40 Jahren, in denen ich als Arzt in Ehrenbreitstein lebe, die Veränderung des Stadtteils mitverfolgt, in dem sich mittlerweile viele Künstler niedergelassen haben. Das gefällt mir persönlich sehr, und ich möchte nicht, dass ein Virus diese Menschen an den Rand ihrer Existenzfähigkeit drängt.“
Aus diesem Wunsch heraus sei schließlich die Idee für den Aufruf auf Facebook entstanden, wobei Kienle Wert darauf legt, den Künstlern in dieser Frage mit Respekt gegenüberzutreten: „Sie wollen nicht einfach nur Almosen erhalten, sondern ihren Broterwerb erarbeiten, daher das System mit den Gutscheinen.“
Darüber hinaus, und das ist der dritte Beweggrund, verweist der Mediziner auch auf seine Mitgliedschaft bei den Koblenzer Schlaraffen in Ehrenbreitstein, einer Vereinigung zur Pflege von Freundschaft, Kunst und Humor. Als solche, betont Kienle, „sind wir auch Teil der hiesigen Kulturszene und davon überzeugt, dass die Welt ohne Kunst keinen Spaß mehr macht.“ Frei nach dem Motto der Schlaraffen: „In arte voluptas“ – „In der Kunst liegt das Vergnügen“.
Wobei Kienle sein Engagement längst nicht nur auf Worte beschränkt. „Wenn ich von meiner Terrasse runterschaue, fällt mein Blick direkt auf das Theater am Ehrenbreitstein. Ich habe daher nachbarschaftlich gedacht und dort direkt nach meiner Idee Gutscheine für eine Vorstellung gekauft, zu der ich nach der Krise all meine Freunde einladen werde“, erklärt der 69-Jährige.
Was wiederum ein Echo samt positiver Begleiterscheinungen hervorrief: „Es gab daraufhin einige Rückmeldungen von Freunden, denen das gefallen hat, und mittlerweile stehen wir kurz vor der Gründung eines Fördervereins für das Theater.“ Die Idee dazu, sagt der Mediziner, sei zwar bereits vor einigen Wochen aufgekommen, werde im Zuge der Gutscheinaktion nun allerdings konkret.
Und während die Initiative auf diese Weise bereits erste Früchte trägt, verheißt die Resonanz auf Kienles Facebook-Beitrag, dass es wohl nicht die letzten waren: Schließlich weist der Post inzwischen 117 Gefällt-mir-Angaben aus und wurde satte 70-mal geteilt, während sich in der Kommentarleiste vor allem Lob und Dankbarkeit für die Aktion niederschlagen. „Klasse Beitrag“, ist dort zu lesen oder „Vielen, vielen lieben Dank für die große Unterstützung“. Doch es gibt auch weitergehende Anregungen.
So mahnt beispielsweise die Ehrenbreitsteiner Künstlerin Ute Bernhard: „Darüber hinaus ist natürlich noch mehr Unterstützung notwendig, die Künstler stehen vor einer beängstigenden Unsicherheit, müssen Termine absagen, und Besucher bleiben fern, immerhin aber ein guter Aufruf, vielleicht kommen noch mehr Ideen dazu.“ Was zweifellos wünschenswert wäre, doch genau genommen sind ähnliche Initiativen bereits angelaufen. So weist etwa die Kunstbackstube in Ehrenbreitstein darauf hin, dass auch dort Gutscheine von Kulturschaffenden erworben werden können. Und auch Kienle selbst sieht seinen Erfindungsreichtum noch lange nicht ausgeschöpft.
„Neben dem geplanten Förderkreis für das Theater überlege ich auch, wie man anderen helfen kann, zum Beispiel über den bestehenden Verein Kulturraum Ehrenbreitstein“, sagt der 69-Jährige. So habe es auf Facebook etwa einen Hilferuf der Schauspielschule Koblenz gegeben, mit deren Verantwortlichen Kienle nun das Gespräch suchen will. Der Mediziner sagt: „Man kann zwar immer nur einer Einrichtung konkret mit Geld helfen, anderen dafür vielleicht mit Ideen.“
Planen für die Zeit danach
Die wiederum hat Kienle auch für den regulären Kulturbetrieb in der Zeit nach Corona, an den Vorbereitungen für die Ehrenbreitsteiner Kulturtage im Juni ist er ebenso beteiligt wie an jenen für die Kunsttage im November. Die Planungen für Erstere, sagt der Mediziner, seien dabei bereits weitestgehend abgeschlossen, die für Letztere liefen trotz Corona weiter, ohne Treffen zwar, dafür umso intensiver über den Computer.
Bis die Veranstaltungen jedoch – hoffentlich – über die Bühne gehen, wird der Mediziner auch weiterhin kräftig die Werbetrommel für seine Gutscheininitiative rühren. Und wer von der Aktion noch nicht überzeugt ist, dem sei an dieser Stelle folgende Betrachtungsweise ans Herz gelegt: Gutscheine offerieren Hilfe für Künstler, klar. Aber sind sie für dessen Käufer nicht gleichzeitig auch Ausdruck der Zuversicht, dass die Krise irgendwann endet, der Vorfreude auf ein Miteinander ohne Sicherheitsabstand?
Stefan Schalles