Die Journalistin Juliane Liebert ist Expertin fürs Zeitgenössische - Davon lebt auch ihr erster Lyrikband
Juliane Liebert: Lyrik für Mick Jaggers Geliebte
Suhrkamp

Die Popjournalistin Juliane Liebert ist Expertin für alles Zeitgenössische. So hat sie auch einen locker-leichten Lyrikband vorgelegt - mit dem sich selbst Gangsterrapper trösten lassen.

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Als der muckibepackte Musiker und selbst ernannte „Boss“ Kollegah, der im Rhein-Hunsrück-Kreis zur Schule ging, einmal ein Ratgeberbuch mit allerlei Lebenshilfe-Brimborium auf den Markt geworfen hat, urteilte die Kritikerin Juliane Liebert in der „Süddeutschen Zeitung“ vernichtend. Kollegahs Tipps seien „sozialdarwinistischer, neoliberaler Selbstoptimierungsquatsch“.

Außerdem, so schoss Liebert in Richtung Kollegah, passe dessen bürgerlicher Name Felix Blume wohl eher zum Büchnerpreis als in das Harte-Jungs-Geschäft, in dem er sich selbst am liebsten sieht. Ein treffsicherer Diss, in einem Rapbattle hätte man wohl ehrfürchtig japsend die Hand vor den Mund gehalten.

Eine neue Generation im Feuilleton

So passt es vortrefflich, dass in „lieder an das große nichts“, der ersten Lyriksammlung von Juliane Liebert, auch ein Gedicht mit dem lakonischen Titel „na einer muss ja auch die battlerapper trösten“ vorkommt. Denn Liebert gehört zu einer modernen Generation von Feuilletonistinnen. Wie auch die „Zeit“-Journalistin Antonia Baum oder Ronja von Rönne, die lange für die „Welt“ schrieb, schließen sich für diese hoch talentierte, dauerironische Riege vermeintlich ungleiche Welten wie Popmusik und Literaturbetrieb nicht aus.

Weil Zeitgeistbetrachtung und Formen der Hochkultur sich längst nicht mehr widersprechen, haben sie stets ein Ohr auf den Schienen der Subkultur (im Hip-Hop sagt man zu Liedern auch „Tracks“) und gleichzeitig ein Auge auf den Büchnerpreis, eine Spitzenauszeichnung in der Welt der Lyrik. Dabei interessiert sich Juliane Liebert für solche elitären Titel vermutlich eher am Rande, lässt ihre Poesie in erster Linie poppig leicht daherkommen. Die gut 40 Gedichte, die in „lieder an das große nichts“ versammelt sind, machen sich weitgehend frei vom Ballast tradierter Formen. Lieber wandelt Liebert auf poetischen Trampelpfaden durch das struppige emotionale Unterholz einer um-die-30-jährigen Großstadtseele.

Mick Jaggers Geliebte und das Kadewe

Da blitzen Nudelboxen vom Asiaten auf zwischen der Trauer um Verstorbene. Die Erinnerung an die Mutter, die eine Schlampe gewesen sei, mogelt sich neben „superweiche Schamhaare“ und ein Tribut an die Popdiva Marianne Faithfull, die mit Mick Jagger durchgebrannt ist.

Dabei gelingt es Liebert, leicht lesbare Miniaturen zu formen, die dennoch nicht oberflächlich sind. Dass sich da eine auskennt in der Welt, wie sie sich der Jugend offenbart, spürt man. DJs und Bullen bevölkern die Texte, die Schauspielerin Jane Birkin oder „Sockendandys“ begegnen einem da. Schauplatz ist schon mal das Berliner Kaufhaus des Westens, kurz Kadewe. Doch Liebert gibt sich nicht der Versuchung hin, nur Poplyrik zu schreiben, die man munter „auf ex“ konsumieren kann.

Der lyrische Blick auf die Seuche

Das zeigt schon das Eingangsgedicht „gogol“ über den russischen Schriftsteller Nikolai Gogol, beginnend mit den Versen „nikolai mein partymädchen/ es waren diese sätze, sie haben dich/ lebendig begraben tot/ gruben sie dich wieder aus“ – Liebert entfaltet ein geschicktes Spiel von Zugänglichkeit und Uneindeutigkeit.

Wie sehr sich die Journalistin Liebert im Jetzt verortet, das Zeitgenössische zum Soundtrack ihrer Gedichte erhebt, zeigen Zeilen, die stark an die Corona-Krise denken lassen – wenngleich Liebert natürlich genug Stil mitbringt, dies zu verpacken. „ist dir aufgefallen/ dass man keine flugzeuge hört keine/ kondensstreifen sieht“ heißt es in „april, ende“. So klingt es, wenn eine versierte Beobachterin der Zeit dichtet.

Juliane Liebert: „lieder an das große nichts“, Suhrkamp Verlag, 84 Seiten, 18 Euro.

Von unserem Reporter Finn Holitzka