Von unserem Autor Andreas Pecht
Seit gut 20 Jahren sind solche Zugriffe auf literarische Klassiker wie auch Neuheiten Mode am Theater. Folgten ihr in der hiesigen Großregion anfangs vor allem die Häuser des Rhein-Main-Raumes, hält seit Beginn der Intendanz von Bernhard Helmich 2013 alljährlich Bonn den zahlenmäßigen Rekord.
Vorhang auf: Dem heruntergekommenen Saal einer dörflichen „Speise- und Tanzgaststätte“ hat Ausstatterin Dorothee Curio zwei seitliche Bühnen verpasst, auf denen sich nachher famos kleine Rückblenden spielen lassen. Mittig dazwischen hocken seltsam ausschauende Leute, jede Gestalt für sich an einem Wirtshaustisch. „Ach du Schreck: Muschiks – arme, tumbe Bauern, wie man sie von Tolstoi oder Tschechow kennt“, schießt es einem durch den Kopf. Mit zerzausten Langbärten, dumpf glotzenden Gesichtern, in sich versunkenen Leibern geben sie eine Atmosphäre vor, die Jan Neumanns Inszenierung sogleich einen kräftigen Schritt von der Atmosphäre des Romans wegtreten lässt.
Denn „Unterleuten“ spielt nicht im 19. Jahrhundert. Vielmehr lässt Juli Zeh in einem heutigen brandenburgischen Örtchen DDR-Altdörfler des späten 20. mit Neubürgern des 21. Jahrhunderts zusammenkommen. Erstere sind seit eh und je zerstritten, Letztere treiben neue Klüfte in die Gemeinschaft und verschärfen alte. Auf die Frontlinie zwischen dem ehemaligen Parteisekretär Kron und seinem ewigen Gegenspieler, dem vormaligen LPG-Chef Gombrowski, treffen Westzuzüge: Computer-Nerd, geschäftstüchtige Pferdezüchterin, Stadtflüchtling mit dogmatischem Naturschutz-Sendungsbewusstsein, Bodenspekulant – und obendrein ein Energiekonzern, der etlichen Dorfbewohnern lukrative Aussichten den durch Bau einer Windkraftanlage verspricht.
Wo der Roman auf gut 600 Seiten mit mehr als 20 Hauptakteuren ein filigran vernetztes, großes Gesellschaftspanorama aus der Provinz in sich stets wandelnder, kontroverser Entwicklung auffächert, muss das Theater verknappen. Bonn bietet nur acht Mimen auf, die mit kleinen Kostümkniffen und teils fabelhaften, schnellen Umstellungen von Haltung, Sprechweise, Charakterzügen etliche Rollen mehr spielen. Es entsteht eine dichte Szenenfolge – die dennoch Längen hat und den Zuseher vor einige Probleme stellt.
Wer ist wer und spielt gerade wen? Bei der Romanlektüre gibt es da kaum ein Vertun, hier im Theater müht man sich gar zu arg mit dem Sortieren ab. Dann dies: Obwohl von der Regie flüssig verwoben, führt der ständige Wechsel zwischen Ich-betroffenem Dialogsprechen und distanzierter Erzählsprache der Protagonisten zu eigentümlichen bis befremdenden Brüchen. Schließlich die besagte Atmosphärenverschiebung: Neumanns Inszenierung macht aus den Figuren des Romans überwiegend Persiflagen ihrer selbst.
Am Klamauk vorbei gespielt
Das ist der Versuch, gestrigen DDR-Mief mit seinen Seilschaften und deren psychologische Nachwirkung zu verknüpfen mit den Skurrilitäten und Abgefeimtheiten der zugezogenen Westkultur. Die Neigung der Regie zu überspitzter, satirischer Süffisanz bei der Personenzeichnung in Richtung Dumpfheit hier, Kaltschnäuzigkeit da, wird signifikant. Es ist letzlich das reihum treffliche Spiel auf des Messers Schneide, das ein Abgleiten dieses Ansatzes in den Klamauk verhindert.
Höhepunkte des Abends sind freilich jene Momente, in denen Max Moor als Gombrowski und Bernd Braun als Kron sich aneinander abarbeiten. Der als Moderator des ARD-Kulturmagazins „TTT“ bekannte Moor zeigt, dass er sich noch prima auf seinen ursprünglichen Beruf versteht. Er gibt einen ambivalenten, ebenso zielstrebig und gewieft wie tiefsinnig und empfindsam gestrickten Ost-Wendegewinner. Der frühere Mainzer, nachher langjährige Bonner Schauspieler Braun hält als Ex-Kommunist und jetzt verbittertes, seinen Einfluss verlierendes, von alter Schuld beladenes Hinkebein gallig dagegen.
Tickets und Termine unter www.theater-bonn.de