Den 24. Februar 2022 wird niemand unter den jungen Musikerinnen und Musikern je vergessen, die derzeit in Schloss Engers bei einem „Kammermusiklabor“ gemeinsam proben. Damals überfiel Russland die Ukraine – die Heimat der jungen Mitglieder des Jugendsinfonieorchesters der Ukraine (YSOU), die derzeit in Engers zu Gast sind. Erneut zu Gast sind, darf man sagen, denn das musikalische Schloss, Sitz der Landesstiftung Villa Musica Rheinland-Pfalz und der Landesmusikakademie, war schon zwei Mal seit Kriegsausbruch Station des 2016 gegründeten Jugendsinfonieorchesters. Rolf Ehlers, Leiter der Landesmusikakademie, erinnert sich an die Premiere: „Vor gut einem Jahr war das ganze Orchester bei uns untergekommen – und spielte dann beim legendären Konzert in der Sayner Gießhalle, das wegen eines verheerenden Unwetters beinahe sprichwörtlich ins Wasser gefallen wäre.“
Gegründet von Oksana Lyniv
Damals war das Orchester unter Ägide seiner Gründerin und Leiterin, der international gefragten Dirigentin Oksana Lyniv, in Sayn angetreten und hatte danach noch ein zweites Konzert in Mainz absolviert. Nur sechs Wochen nach dieser Arbeitsphase, zu der damals das Kulturministerium eingeladen hatte, hatte in Engers bereits eine erste Kammermusikakademie für ausgewählte Orchestermitglieder stattfinden können, die in diesen Tagen ihre Fortsetzung findet und zum Wochenende auch in öffentliche Konzerte mündet.
Bei einer Podiumsdiskussion in Schloss Engers über die Zukunft der ukrainischen Jugend erinnert Kulturstaatssekretär Jürgen Hardeck daran, warum Rheinland-Pfalz damals seine Einladung ausgesprochen hatte und diese Kulturarbeit auch weiterhin unterstützt: „Wir haben damals erlebt, dass die großen Tourneen für die Jugendlichen auch eine große Anstrengung bedeutet haben. Deshalb kamen wir auf die Idee, dass sie auch einmal in Ruhe proben können sollten, nicht ständig unter dem Stress sind, schon wieder zum nächsten Auftritt eilen zu müssen.“
Städtepartnerschaft von Mainz und Odessa
Seither hat das Land in vielen Bereichen die Zusammenarbeit mit der Ukraine intensiviert, und dabei auch die Kultur im Blick behalten. So könnte laut Hardeck eventuell demnächst womöglich eine hochkarätige Ausstellung mit Werken aus dem Museum Odessa, die derzeit in Berlin zu sehen ist, nach Mainz umziehen – um somit der bevorstehenden Städtepartnerschaft beider Städte besonderen Glanz zu verleihen. Und Lukas Augustin von der Deutsch-Ukrainischen Gesellschaft erinnert daran, dass dies nur eine Facette von vielen Projekten ist, die derzeit zu schultern sind – und die im Kulturbereich auch ganz wesentlich mit Kulturgutschutz zu tun haben.
Am 24. Februar 2022 war Alexandra Zaitseva schon länger für YSOU – und auch sie wird diesen Tag nie vergessen. Denn das Orchester wurde unversehens und innerhalb kürzester Zeit einer der prominentesten kulturellen Botschafter der Ukraine. Das war freilich am Tag des Kriegsbeginns nicht absehbar, wie sie in Engers im Dianasaal rückblickend erzählt: „Der erste Tag des Krieges war ein totaler Horror für uns alle. Aber schon am selben Abend haben wir eine große Onlinekonferenz gemacht, um möglichst mit allen Mitgliedern in Kontakt zu bleiben.“ Viele hätten in Kellern gesessen, im Dunkeln auf die nächsten Bombenangriffe wartend.
Europaweite Evakuierungsaktionen
Das Orchester initiierte innerhalb von Tagen mehrere europaweite Evakuierungsaktionen, suchte und fand für seine jungen Musikerinnen und Musiker neue Lehrer im Ausland, bemühte sich um Unterkünfte und Studienplätze. Und es folgte schon bald eine unglaubliche fünf Monate dauernde Europatournee, in der das Orchester auch zum Zeichen der Hoffnung wurde.
Auf welch hohem Niveau beim musiziert wird, demonstriert ein Bläserquintett aus der aktuellen Arbeitsphase eindrucksvoll zur Einrahmung der Podiumsdiskussion – wie sich die Situation für die jungen Leute im Alltag darstellt, erklären zwei junge Musikerinnen. Die Geigerin Kateryna Misko war nach Kriegsausbruch für etwas mehr als ein Jahr lang in Deutschland und ist dann wieder in ihren Heimatort, Kropyvnytsky, im Zentrum der Ukraine zurückgekehrt. „Dort ist vom Krieg viel weniger zu spüren als etwa in den großen Städten“, erklärt sie.
Wie online studieren, wenn Strom rationiert wird?
Aber: „Trotzdem ist das Leben sehr beschwerlich.“ Zum Beispiel muss sie ihr Musikstudium vor allem online absolvieren – was sich wie viele Dinge des Lebens sehr kompliziert gestaltet, wenn wegen russischer Angriffe auf die zivile Infrastruktur elektrischer Strom nur wenige Stunden am Tag zur Verfügung steht. Über die Teilnahme an Projekten wie jetzt in Engers freue sie sich sehr – auch, wenn die Ein- und Ausreise wie vor wenigen Tagen mit 12 Stunden Wartezeit an der Grenze schon sehr belastend ausfalle.
Die Bratschistin Maria Volobueva stammt aus Kiew, ist aber zum Studium nach Berlin geflohen. Sie vermisst ihre Heimat – und sagt: „Ich bin so froh, dass ich das Studium fortsetzen kann. Aber am Tag des Kriegsbeginns ist etwas in meiner Seele gestorben.“ Dieser Zwiespalt sei ihr immer gegenwärtig: Es sei so wunderbar, etwa in Schloss Engers musizieren zu können – aber die Gedanken wandern immer zurück zu ihrer Heimatstadt, wo vor wenigen Tagen ein Kinderkrankenhaus mit vielen seiner Patienten dem russischem Bombardement zum Opfer fiel.
Jugend ist die Zukunft des Landes
Solche Gedanken und Erlebnisse spielen im Arbeitsalltag von Orchestermanagerin Zaitseva eine große, ja zentrale Rolle: „Wir spüren in vielen Momenten, dass wir es mit traumatisierten Menschen zu tun haben, die Und trotzdem machen wir weiter, trotzdem möchten wir mit jedem Auftritt ein Zeichen für den Frieden setzen – und für die Zukunft, für die die Jugend unseres Landes steht.“ Darin sieht sie das Orchester stellvertretend nicht nur für die Ukraine, sondern für alle Konflikte dieser Welt, die es vielleicht nicht gerade ins öffentliche Bewusstsein schaffen. Denn: „Musik ist für uns eine überwindende Kraft und hilft uns, Trauer und Wut in etwas Positives zu verwandeln, in Musik, die die Seele heilen kann.“ Schöner kann man die Kraft von Musik sicherlich kaum umschreiben.
Am Samstag, 20. Juli, spielen um 19.30 Uhr Bläser der Kammermusikakademie des YSOU im Akademiehof neben Schloss Engers, am Sonntag, 21. Juli, spielen die Streicher ein Hofkonzert auf Schloss Arenfels. Der Eintritt ist jeweils frei. Informationen zum Orchester online unter www.ysou.com.ua