Neben Till Brönner und Nils Wuelker zählt Joo Kraus zu den bekanntesten Jazz-Trompetern in Deutschland, der sich allerdings auch in musikalischen Gefilden wie Funk, Soul und Club-Sounds tummelt. Im Rahmen des Mittelrhein Musik Festivals wird er am 26. Juni in der Neuwieder Abtei Rommersdorf zusammen mit der stimmgewaltigen Soul- und Jazzsängerin Fola Dada und deren Band zu erleben sein. Im Gespräch mit dem 58-Jährigen fragen wir ihn nach seinen künstlerischen Ambitionen und streifen Stationen seiner Karriere wie das Duo Tab Two oder seine Jahre bei der Krautrockband Kraan.
Sie haben mit Musikgrößen und -legenden von Klaus Doldinger über DePhazz und Mezzoforte bis hin zu Omar Sosa und Pee Wee Elis gespielt. Wie haben Sie Fola Dada kennengelernt?
Fola hatte Background für Joy Denalane gesungen, als ich mit meiner Trompete für drei oder vier Konzerte in Joys Band eingesprungen bin und den Bläsersatz komplettiert habe. Bei einer Taxifahrt haben wir uns dann sehr nett unterhalten. Außerdem ist Folas Gesang immer wieder bei Helmut Hattler zu hören, meinem Partner im früheren Tab-Two-Duo. So ist das menschlich und auch musikalisch gewachsen; für mich ist sie heute eine wichtige Freundin.
Zusammen spielen Sie einen Mix aus Soul, Hip-Hop, Jazz und Latin. Ist das die Art von Musik, die Sie persönlich lieben?
Ja, eigentlich genau das ist es. Auch lateinamerikanische Musik und Grooves haben mich irgendwann einmal gefangengenommen und nicht mehr losgelassen. Bei mir mischt sich das dann mit Funk und Soul. Ich glaube, vor allem brasilianische Musik musste einfach in meinem Leben stattfinden, denn schon meine Großeltern waren eine Zeit lang dorthin ausgewandert, dann aber wieder nach Deutschland zurückgekehrt, weil meine Oma krank wurde. Unsere Familie pflegt heute noch viele Kontakte dorthin, da hatten meine Großeltern offenbar etwas gesät. Als ich selbst zum ersten Mal dort war, hat mich dieses Lebensgefühl der Menschen beeindruckt und gehypt. Heute spiele ich etwa 30 Prozent meiner Gigs zusammen mit lateinamerikanischen Musikern.
Fola Dadas Stil hat stellenweise etwas vom NuSoul der kürzlich verstorbenen amerikanischen Sängerin Angie Stone, die sich Anfang der 2000er-Jahre vom Hip-Hop hin zum tief in der Seele schwarzer Musik verwurzelten Old-School-Soul entwickelte. Ist das auch Folas Markenzeichen?
Das ist eine interessante Bemerkung, denn ich glaube, Angie Stone ist eine von Folas Favoritinnen. Wenn Fola ihren eigenen Soul singt, live, wenn sie abgeht, dann kann man diese Seele nachempfinden, dann hat sie den Spirit Afrikas, wo ihre Wurzeln liegen.
Auf YouTube gibt es einen Livemitschnitt aus Mannheim, wo Sie den Song „Brothers and Sisters“ spielen. Da erinnert Ihr Trompetenton an Miles Davis und den Jazz-Kornettisten Nat Adderley. Sind das für Sie Vorbilder?
Ja, richtig gehört. Miles hat mich ebenso wie Chet Baker beeinflusst. Nat Adderley aber war einer der Ersten, die mich ganz geprägt haben. Seine Musik habe ich rauf und runter gehört. Der war Jazzer, aber auch voll mit Blues und Soul. Cool halt. Was aber auch geblieben ist, ist meine Begeisterung für Earth, Wind & Fire, die Funkband. Ich habe oft überlegt, was bei denen anders ist als bei anderen Bands dieser Stilrichtung. Heute weiß ich es: Die haben Spirit, und das berührt mich.
Sie haben einige Jahre zusammen mit der Krautrock-Gruppe Kraan gespielt, die, wie andere deutsche Formationen in dieser Zeit, Hörgewohnheiten aufbrachen. Wiederum andere, etwa Embryo, setzten wichtige Akzente mit der Erkundung von Worldmusic. Inwiefern hat das Ihr Verständnis von genreübergreifender Musik, von musikalischer Offenheit geprägt?
Für mich war Kraan ein spezieller Sound. Die gingen anders an die Musik ran als das meiste, was ich bis dahin von schwarzer Musik mitgekriegt hatte. Das war zugleich virtuos, lebendig und vor allem unberechenbar. Und das insbesondere hat mich schon beeinflusst, mir den Weg geebnet für das, was dann in meiner Musik später gekommen ist. Embryo habe ich erst später entdeckt; in die Worldmusic bin ich eher durch meine Zusammenarbeit mit Omar Sosa eingestiegen.
Sie waren gemeinsam mit dem Kraan-Bassist Helmut Hattler in den 1990er-Jahren als Duo Tab Two die Pioniere von dem, was dann als Acid-Jazz, Trip-Hop oder Drum and Bass bekannt wurde. Was bedeutet Ihnen heute diese Zeit?
Das war sehr offen. Unsere Instrumente und die Elektronik gingen eine homogene Verbindung ein. Man konnte dazu auch total abgehen. Die Reaktionen des Publikums waren oft sehr direkt, da sprangen manchmal Leute auf der Bühne rum und tanzten. Es war halt völlig anders, und ich bin bis heute froh über das, was wir damals geschaffen haben. Das war für mich wichtig.
War Ihr Hip-Jazz nach internationaler Aufmerksamkeit, vielen Auftritten, Tourneen und Alben auserzählt? Oder warum haben Sie dieses Kapitel beendet?
Es waren ganz klar persönliche Gründe. Ich glaube, das Beste war damals tatsächlich erzählt, es hat sich nicht mehr groß Neues aufgetan – zumindest in der Zweierbesetzung. Und dann bekamen mit Drum and Bass und Jungle die DJs einen immer größeren Stellenwert. Wir hätten sicherlich noch ein paar Jahre die Clubs und Hallen füllen können, aber für mich ging das nicht mehr. Mir wurde es zu eng. Es hat dann 2012 noch mal eine kurze Reunion mit einem Best-of-Album und Konzerten gegeben. Das hatte auch Energie, aber dann war’s gut. Doch wer weiß: Vielleicht spielen wir ja irgendwann noch mal ein paar Auftritte…
In einem Interview haben Sie „doofe, billige Plastikmucke“ und die öffentlich-rechtlichen Sender kritisiert, weil so etwas dort ständig laufe. Stattdessen fordern Sie mehr Qualität ein. Sind die Hörer Ihres Erachtens nach Opfer von Verdummungsstrategien oder wollen sie nicht doch diese Art von Musik hören?
Man kann die Leute durchaus mit Gutem füttern, das ist wie beim Essen, und irgendwann wollen sie das billige Zeug nicht mehr. In anderen Ländern gibt es zumindest mal mehr musikalische Auswahl. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender hätten doch auch bei uns das Geld und die Möglichkeiten dafür.
Nun wird Ihr jüngstes Album „No Excuse“ als „musikalische Wundertüte“ beworben. Wer sich an Wundertüten in seiner Kindheit erinnert, weiß, dass der Inhalt oftmals enttäuscht hat. Andersherum gefragt: Muten Sie mit Ihrem Mix aus Cool Jazz über Hip-Hop und Funk bis hin zu Ambient-Sounds und sogar Songwriter-Einflüssen nicht zu viel zu?
Ganz ehrlich: Das denke ich mir auch oft. Bei mir gibt’s ja sogar Country und Rock, der den Leuten die Haare föhnt. Kann sein, dass ich den ein oder anderen damit überfordere. Ich erlaube mir meine künstlerische Kreativität und Freiheit. Und ich nehme das Risiko auf mich, denn auf der Bühne ist das etwas ganz anderes. Wir müssen ja live spielen, um unser Geld zu verdienen. Von CD-Verkäufen kann man längst nicht mehr leben, und Streaming kannst du vergessen. Auf der Bühne aber kann ich die Leute direkt ansprechen, ihnen den Zugang zu anderen Welten öffnen. Meine Erfahrung ist, dass das Publikum dadurch Neues entdeckt und sich hinterher besser fühlt.
„No Excuse“ – keine Ausreden und Entschuldigungen, so heißt Ihr Album. Sie thematisieren darauf durchaus auch negative Dinge, politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Was hingegen macht Ihnen Hoffnung?
Gott sei dank spiele ich ja viele Konzerte, und zum Glück sind es nach Corona auch wieder mehr geworden. Was positiv ist, sind die Reaktionen der Leute auf meine Musik. Das berührt mich sehr. Ich treffe bei Konzerten immer wieder tolle Menschen, auch junge Leute, die so alt sind wie meine Kinder. Und dann denke ich: Die Welt ist doch gut. Man kann in seinem kleinen Mikrokosmos etwas tun. Wir dürfen nur die Hoffnung nicht aufgeben.
Noch mal zurück zum Neuwieder Konzert: Was dürfen wir von Fola Dada und Ihnen in der Abtei Rommersdorf erwarten?
Wir wollen den Soul und den Spirit hochhalten. Es geht in unserer Musik um gute Vibes, positive Gefühle. Das sollen die Leute spüren und sich gut fühlen.
Infos und Tickets zum Konzert am 26. Juni um 20 Uhr in der Abtei Rommersdorf online unter www.mittelrheinmusik.de