Dass Trier derzeit im Marx-Fieber schäumt, liegt auf der Hand. Schließlich eröffnen in den nächsten Tagen dort die Ausstellungen zum 200. Geburtstag von Karl Marx, dem weltweit berühmtesten Sohn der Moselstadt. Was jedoch hat Bad Kreuznach mit Marx zu schaffen, dass man ihm dort ein Theaterstück widmet und es ausgerechnet in einer Kirche spielt? In der Eingangsszene reibt die resolute Jenny die Antwort ihrem Karl schnippisch unter die Nase, weil der ein solch profan-privates Faktum vor lauter Weltgedanken vergessen hat: „Hier haben wir geheiratet! Es war am 19. Juni 1843.“
Während also Trier mit vier Ausstellungen und fast 600 Veranstaltungen das runde Geburtstagsjahr des am 5. Mai 1818 dort geborenen Karl Marx begeht, greift das Amateurtheater an der Nahe ein anderes Jubiläum auf: „Karl und Jenny – der 175. Hochzeitstag“ heißt das Stück und knüpft an die Vermählung der beiden in der Kreuznacher Pauluskirche an. Der 25-jährige Karl Marx und die 29-jährige Baroness Jenny von Westphalen gingen da nach sieben Jahre dauernder Verlobungszeit offiziell den Bund fürs Leben ein. Einen Bund, der trotz zahlloser materieller und politischer Gefährdungen sowie der zeitweisen Untreue des Mannes Bestand hatte, bis Jenny 1881 einem Krebsleiden erlag. Einen Bund auch, dessen Bedeutung für das Marx‘sche Schaffen gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
„Ohne Jenny von Westphalen hätte Karl Marx niemals der sein können, der er war.“ Das schreibt 1895 Eleanor Marx, jüngste der drei Töchter des Ehepaares, von dessen sieben Kindern vier früh verstarben. Die Biografen geben ihr recht. Ohne Jennys ordnende Hand im Haushalt ebenso wie über die stete Flut der Schreiberei ihres Gatten hätte sich Marx zwischen den Grunderfordernissen des Lebens, ungebärdigem Forscherdrang und überbordender Produktivität verlaufen. Denn „der geniale Stinktiefel“, so Staiber im Stückvorwort, war zwar zweifelsfrei einer der klügsten Köpfe seiner Zeit und ein ungeheuer fleißiger Intellektueller, doch fürs Familiäre hatte er wenig Sinn und im Geldbeutel schlug sich seine Schaffenswut selten nieder.
Meist war bei Marxens Schmalhans Küchenmeister oder es herrschte blanke Not. Weshalb die Jenny im Kreuznacher Stück sich lautstark empört, als Marx und Engels begeistert dem Vorschlag des Weltgeistes zustimmen: Die Wiedererweckten dürften aus der Pauluskirche hinaus in die 2018er Gegenwart treten, sobald Jenny und Karl eben hier noch einmal die Ehe schlössen. Die Männer jubeln, wollen sehen, ob der Kapitalismus durch den von ihnen prognostizierten Kommunismus abgelöst ist – was Frau Luxemburg angesichts ihrer späteren Erfahrungen mit der deutschen Sozialdemokratie bezweifelt. Die Theater-Jenny jedoch wettert: „Wer sagt denn, dass ich noch einmal Frau Marx werden möchte? Das eine Leben mit dir hat mir völlig gereicht! Woraus hat es denn bestanden? Aus Schulden, Schulden und nochmals Schulden! Immer nur Schulden, das war mein Leben mit dir. Schulden und Krankheit.“
Harte Worte legt der Stückautor Jenny in den Mund, zeichnet sie zugleich als lebensfrohe und humorige wie durchaus bissige, selbstbewusste, in politisch-philosophischen Angelegenheiten kundige und kritische Person. Damit wird das Bild unterstrichen, das man sich heute von dieser Frau macht. Ja, sie war liebende, treusorgende, hingebungsvolle Gattin an Marx‘ Seite; zugleich war sie seine Assistentin, Lektorin, intellektuelle Gefährtin. Bei mancher Versammlung im Exil ergriff sie das Wort und vertrat als überzeugte Sozialistin eigenständige Positionen. Sie allein konnte aus Marx‘ chaotischen und kaum zu entziffernden Krakelblättern lesbare Manuskripte machen – nicht zuletzt, weil sie in endlosen, oft strittigen Diskussionen mit dem Ehemann wirklich verstanden hatte, was er sagen wollte.
Die beiden kannten sich seit ihrer Kindheit in Trier. Vater Marx war dort Anwalt, Ludwig von Westphalen preußischer Regierungsrat, der seiner Tochter eine umfassende Bildung zuteilwerden ließ. Die Familien waren befreundet. Die jugendliche Jenny galt als das „schönste Mädchen Triers“ und stand im Rufe einer strahlenden „Ballkönigin“. Früh schon setzte sie ihren eigenen Kopf durch. Etwa als sie 1831 den zwar standesgemäß reizvollen Verlobungsantrag eines indes langweiligen Leutnants Karl von Pannewitz ablehnte. Oder als sie sich im Jahr 1836 heimlich und ganz unstandesgemäß mit dem eben erst sein Studium in Bonn beginnenden Bürgersohn Karl Marx verlobte.
Nach dem Tod ihres Vaters 1842 siedelte Jenny von Westphalen mit der Mutter nach Bad Kreuznach über, blieb dort etwa sechs Monate – um hernach als Frau Marx an wechselnden Orten des Exils (Paris, Brüssel, Köln, wieder Paris, schließlich London) ein mit Mühsal beladenes und von Ärmlichkeit geprägtes Leben zu führen. Ein Leben aber auch angefüllt von einer beide Eheleute umtreibenden sozialpolitischen Passion sowie vom Umgang mit den interessantesten Köpfen ihrer Zeit. Darunter Heinrich Heine, Ferdinand Freiligrath, August Bebel oder Wilhelm Liebknecht – die alle stets mit Hochachtung vom freundlichen Wesen und zugleich der zupackenden, wohlinformierten Klugheit der Jenny Marx sprachen.
Nein, Jenny und Karl werden im Theaterstück nicht noch einmal heiraten. Was allerdings keineswegs an ihnen, sondern an der Pastorin liegt. Die findet – von ihrem Smartphone unerbittlich durchs Leben im heutigen Kapitalismus gehetzt – einfach keine Zeit, die beiden erneut zu vermählen.
„Karl und Jenny – 175. Hochzeitstag“: Premiere am 19. Juni in der Pauluskirche Bad Kreuznach, weitere Termine: 22., 23., 24. Juni. Karten gibt es in der Tourist-Info Bad Kreuznach (Tel. 0671/836 00 50)